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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837.

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Mühe folgerecht und nachhaltig mitwirkten, und den
Gewinn ordnen und bewahren konnten, ihm selbst aber
nimmermehr hervorzubringen vermocht hätten. Solcher
gesteigerten Lebensstufen zählte ich bis dahin hauptsäch¬
lich drei, das erste Andringen allgemeinen geistigen Lebens
im Beginn meiner Studien zu Berlin, das Freiwerden
eines sich selbst bestimmenden und lebensthätigen Da¬
stehens, und die kräftigende Weihe der akademischen
Herrlichkeit zu Halle. Jetzt kam, acht Jahre nach jener
ersten, die vierte Stufe hinzu, durch das Bekanntwerden
mit Rahel; ein Wiederaufnehmen, ein Zusammenfassen
und ein Abschließen aller früheren, ja der ganzen Er¬
lebungsweise, -- denn wie viel Neues, Großes und
Unerwartetes auch ferner mir in einem wechselvollen
Leben begegnet ist, wie mancherlei Gutes und Liebes
sich mir entwickelt und angeeignet hat, so ist doch in
diesen vierundzwanzig Jahren, die ich seit jenem Zeit¬
punkte zähle, mir kein Begegniß, keine innere noch
äußere Lebenserfahrung mir wiedergekehrt, die ich jener
genannten anreihen, und mit ihr, und den vorher¬
gegangenen in gleichen Werth stellen könnte. So ist
mir noch heute *Rahel das neueste und Frischeste
meines ganzen Lebens, und indem ich aufzeichnen will,
von welchen Umständen und Stimmungen unser begin¬
nendes Verhältniß begleitet war, darf ich den warmen

* Geschrieben im Sommer 1832.

Muͤhe folgerecht und nachhaltig mitwirkten, und den
Gewinn ordnen und bewahren konnten, ihm ſelbſt aber
nimmermehr hervorzubringen vermocht haͤtten. Solcher
geſteigerten Lebensſtufen zaͤhlte ich bis dahin hauptſaͤch¬
lich drei, das erſte Andringen allgemeinen geiſtigen Lebens
im Beginn meiner Studien zu Berlin, das Freiwerden
eines ſich ſelbſt beſtimmenden und lebensthaͤtigen Da¬
ſtehens, und die kraͤftigende Weihe der akademiſchen
Herrlichkeit zu Halle. Jetzt kam, acht Jahre nach jener
erſten, die vierte Stufe hinzu, durch das Bekanntwerden
mit Rahel; ein Wiederaufnehmen, ein Zuſammenfaſſen
und ein Abſchließen aller fruͤheren, ja der ganzen Er¬
lebungsweiſe, — denn wie viel Neues, Großes und
Unerwartetes auch ferner mir in einem wechſelvollen
Leben begegnet iſt, wie mancherlei Gutes und Liebes
ſich mir entwickelt und angeeignet hat, ſo iſt doch in
dieſen vierundzwanzig Jahren, die ich ſeit jenem Zeit¬
punkte zaͤhle, mir kein Begegniß, keine innere noch
aͤußere Lebenserfahrung mir wiedergekehrt, die ich jener
genannten anreihen, und mit ihr, und den vorher¬
gegangenen in gleichen Werth ſtellen koͤnnte. So iſt
mir noch heute *Rahel das neueſte und Friſcheſte
meines ganzen Lebens, und indem ich aufzeichnen will,
von welchen Umſtaͤnden und Stimmungen unſer begin¬
nendes Verhaͤltniß begleitet war, darf ich den warmen

* Geſchrieben im Sommer 1832.
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[156/0170] Muͤhe folgerecht und nachhaltig mitwirkten, und den Gewinn ordnen und bewahren konnten, ihm ſelbſt aber nimmermehr hervorzubringen vermocht haͤtten. Solcher geſteigerten Lebensſtufen zaͤhlte ich bis dahin hauptſaͤch¬ lich drei, das erſte Andringen allgemeinen geiſtigen Lebens im Beginn meiner Studien zu Berlin, das Freiwerden eines ſich ſelbſt beſtimmenden und lebensthaͤtigen Da¬ ſtehens, und die kraͤftigende Weihe der akademiſchen Herrlichkeit zu Halle. Jetzt kam, acht Jahre nach jener erſten, die vierte Stufe hinzu, durch das Bekanntwerden mit Rahel; ein Wiederaufnehmen, ein Zuſammenfaſſen und ein Abſchließen aller fruͤheren, ja der ganzen Er¬ lebungsweiſe, — denn wie viel Neues, Großes und Unerwartetes auch ferner mir in einem wechſelvollen Leben begegnet iſt, wie mancherlei Gutes und Liebes ſich mir entwickelt und angeeignet hat, ſo iſt doch in dieſen vierundzwanzig Jahren, die ich ſeit jenem Zeit¬ punkte zaͤhle, mir kein Begegniß, keine innere noch aͤußere Lebenserfahrung mir wiedergekehrt, die ich jener genannten anreihen, und mit ihr, und den vorher¬ gegangenen in gleichen Werth ſtellen koͤnnte. So iſt mir noch heute *Rahel das neueſte und Friſcheſte meines ganzen Lebens, und indem ich aufzeichnen will, von welchen Umſtaͤnden und Stimmungen unſer begin¬ nendes Verhaͤltniß begleitet war, darf ich den warmen * Geſchrieben im Sommer 1832.

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/170>, abgerufen am 27.04.2024.