Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

digsten war Nikolaus Harscher aus Basel, der Medizin
beflissen, aber seit längerer Zeit fast nur Zuhörer von
Steffens und Schleiermacher, indem die philosophische
Richtung bei ihm jede andre zurückdrängte. Sein dialek¬
tisches Hebezeug, durch eine unglaubliche Leichtigkeit
eines gar nicht schönen, aber raschen und bezeichnungs¬
vollen Sprechens unterstützt, scheute weder die größten
Massen noch die feinsten Verwickelungen. Mit den
Naturwissenschaften schon ziemlich vertraut, hatte er seine
Stätte jetzt vorzüglich in Schleiermacher's Ethik aufge¬
schlagen, und von hier aus sich um das Alterthum,
worin er ebenfalls mit Hülfe Bekkers das Versäumte
nachzuholen strebte, um Geschichte und Dichtkunst eifrig
bekümmert, besonders aber die Lebensverhältnisse selbst,
die Neigungen, Thätigkeiten und Formen des einzelnen
Daseins wie die Geselligkeit, zum Gegenstande seiner
nie rastenden Untersuchungen und Besprechungen erwählt.
Da er mit seinen eignen Zwecken und Neigungen gar
nicht auf dem Reinen war, auch in persönlicher Hinsicht
durch eine Drüsenkrankheit sich in ein eignes Mißbe¬
hagen gegen die Natur versetzt fand, so war sein Geist
sehr zum Ironischen und Humoristischen hingetrieben,
und darin eben so gewandt als kühn, und oft wirklich
bewundrungswerth. Eine Eitelkeit, die er selbst ver¬
dammte, beherrschte ihn; er mochte sich nicht unvor¬
theilhaft zeigen, und weil er doch in mancher Hinsicht
nicht anders konnte, that er es grade aus Rache, und

7

digſten war Nikolaus Harſcher aus Baſel, der Medizin
befliſſen, aber ſeit laͤngerer Zeit faſt nur Zuhoͤrer von
Steffens und Schleiermacher, indem die philoſophiſche
Richtung bei ihm jede andre zuruͤckdraͤngte. Sein dialek¬
tiſches Hebezeug, durch eine unglaubliche Leichtigkeit
eines gar nicht ſchoͤnen, aber raſchen und bezeichnungs¬
vollen Sprechens unterſtuͤtzt, ſcheute weder die groͤßten
Maſſen noch die feinſten Verwickelungen. Mit den
Naturwiſſenſchaften ſchon ziemlich vertraut, hatte er ſeine
Staͤtte jetzt vorzuͤglich in Schleiermacher’s Ethik aufge¬
ſchlagen, und von hier aus ſich um das Alterthum,
worin er ebenfalls mit Huͤlfe Bekkers das Verſaͤumte
nachzuholen ſtrebte, um Geſchichte und Dichtkunſt eifrig
bekuͤmmert, beſonders aber die Lebensverhaͤltniſſe ſelbſt,
die Neigungen, Thaͤtigkeiten und Formen des einzelnen
Daſeins wie die Geſelligkeit, zum Gegenſtande ſeiner
nie raſtenden Unterſuchungen und Beſprechungen erwaͤhlt.
Da er mit ſeinen eignen Zwecken und Neigungen gar
nicht auf dem Reinen war, auch in perſoͤnlicher Hinſicht
durch eine Druͤſenkrankheit ſich in ein eignes Mißbe¬
hagen gegen die Natur verſetzt fand, ſo war ſein Geiſt
ſehr zum Ironiſchen und Humoriſtiſchen hingetrieben,
und darin eben ſo gewandt als kuͤhn, und oft wirklich
bewundrungswerth. Eine Eitelkeit, die er ſelbſt ver¬
dammte, beherrſchte ihn; er mochte ſich nicht unvor¬
theilhaft zeigen, und weil er doch in mancher Hinſicht
nicht anders konnte, that er es grade aus Rache, und

7
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0113" n="99"/>
dig&#x017F;ten war Nikolaus Har&#x017F;cher aus Ba&#x017F;el, der Medizin<lb/>
befli&#x017F;&#x017F;en, aber &#x017F;eit la&#x0364;ngerer Zeit fa&#x017F;t nur Zuho&#x0364;rer von<lb/>
Steffens und Schleiermacher, indem die philo&#x017F;ophi&#x017F;che<lb/>
Richtung bei ihm jede andre zuru&#x0364;ckdra&#x0364;ngte. Sein dialek¬<lb/>
ti&#x017F;ches Hebezeug, durch eine unglaubliche Leichtigkeit<lb/>
eines gar nicht &#x017F;cho&#x0364;nen, aber ra&#x017F;chen und bezeichnungs¬<lb/>
vollen Sprechens unter&#x017F;tu&#x0364;tzt, &#x017F;cheute weder die gro&#x0364;ßten<lb/>
Ma&#x017F;&#x017F;en noch die fein&#x017F;ten Verwickelungen. Mit den<lb/>
Naturwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften &#x017F;chon ziemlich vertraut, hatte er &#x017F;eine<lb/>
Sta&#x0364;tte jetzt vorzu&#x0364;glich in Schleiermacher&#x2019;s Ethik aufge¬<lb/>
&#x017F;chlagen, und von hier aus &#x017F;ich um das Alterthum,<lb/>
worin er ebenfalls mit Hu&#x0364;lfe Bekkers das Ver&#x017F;a&#x0364;umte<lb/>
nachzuholen &#x017F;trebte, um Ge&#x017F;chichte und Dichtkun&#x017F;t eifrig<lb/>
beku&#x0364;mmert, be&#x017F;onders aber die Lebensverha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;elb&#x017F;t,<lb/>
die Neigungen, Tha&#x0364;tigkeiten und Formen des einzelnen<lb/>
Da&#x017F;eins wie die Ge&#x017F;elligkeit, zum Gegen&#x017F;tande &#x017F;einer<lb/>
nie ra&#x017F;tenden Unter&#x017F;uchungen und Be&#x017F;prechungen erwa&#x0364;hlt.<lb/>
Da er mit &#x017F;einen eignen Zwecken und Neigungen gar<lb/>
nicht auf dem Reinen war, auch in per&#x017F;o&#x0364;nlicher Hin&#x017F;icht<lb/>
durch eine Dru&#x0364;&#x017F;enkrankheit &#x017F;ich in ein eignes Mißbe¬<lb/>
hagen gegen die Natur ver&#x017F;etzt fand, &#x017F;o war &#x017F;ein Gei&#x017F;t<lb/>
&#x017F;ehr zum Ironi&#x017F;chen und Humori&#x017F;ti&#x017F;chen hingetrieben,<lb/>
und darin eben &#x017F;o gewandt als ku&#x0364;hn, und oft wirklich<lb/>
bewundrungswerth. Eine Eitelkeit, die er &#x017F;elb&#x017F;t ver¬<lb/>
dammte, beherr&#x017F;chte ihn; er mochte &#x017F;ich nicht unvor¬<lb/>
theilhaft zeigen, und weil er doch in mancher Hin&#x017F;icht<lb/>
nicht anders konnte, that er es grade aus Rache, und<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#b">7</hi> &#x2737;<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[99/0113] digſten war Nikolaus Harſcher aus Baſel, der Medizin befliſſen, aber ſeit laͤngerer Zeit faſt nur Zuhoͤrer von Steffens und Schleiermacher, indem die philoſophiſche Richtung bei ihm jede andre zuruͤckdraͤngte. Sein dialek¬ tiſches Hebezeug, durch eine unglaubliche Leichtigkeit eines gar nicht ſchoͤnen, aber raſchen und bezeichnungs¬ vollen Sprechens unterſtuͤtzt, ſcheute weder die groͤßten Maſſen noch die feinſten Verwickelungen. Mit den Naturwiſſenſchaften ſchon ziemlich vertraut, hatte er ſeine Staͤtte jetzt vorzuͤglich in Schleiermacher’s Ethik aufge¬ ſchlagen, und von hier aus ſich um das Alterthum, worin er ebenfalls mit Huͤlfe Bekkers das Verſaͤumte nachzuholen ſtrebte, um Geſchichte und Dichtkunſt eifrig bekuͤmmert, beſonders aber die Lebensverhaͤltniſſe ſelbſt, die Neigungen, Thaͤtigkeiten und Formen des einzelnen Daſeins wie die Geſelligkeit, zum Gegenſtande ſeiner nie raſtenden Unterſuchungen und Beſprechungen erwaͤhlt. Da er mit ſeinen eignen Zwecken und Neigungen gar nicht auf dem Reinen war, auch in perſoͤnlicher Hinſicht durch eine Druͤſenkrankheit ſich in ein eignes Mißbe¬ hagen gegen die Natur verſetzt fand, ſo war ſein Geiſt ſehr zum Ironiſchen und Humoriſtiſchen hingetrieben, und darin eben ſo gewandt als kuͤhn, und oft wirklich bewundrungswerth. Eine Eitelkeit, die er ſelbſt ver¬ dammte, beherrſchte ihn; er mochte ſich nicht unvor¬ theilhaft zeigen, und weil er doch in mancher Hinſicht nicht anders konnte, that er es grade aus Rache, und 7 ✷

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/113
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/113>, abgerufen am 01.05.2024.