ein mehr förmliches Denkmal von mir verlangen würden, wären dies weniger flüchtige Zeilen.
Erst im Mai kam Erichsen aus Frankreich wieder. Er ließ mich seine Ankunft wissen. Mein Herz pochte, denn ich hatt' ihn lieb. Ich ging nicht, sondern ich flog zu ihm. Er empfing mich freundlich, aber mit Herablassung, welches meine Stim¬ mung so blitzschnell veränderte, daß ich mich vor's Kaminfeuer stellte und von Müdigkeit sprach. Er hatte wirklich ein Feuer, weil der Morgen sehr kalt war.
Es fehlte Erichsen, um ein ganz liebenswürdiger oder we¬ nigstens mein Mann zu sein, eine gewisse edle Erhebung der Seele. Mein Blick beim Hereintritt, mein Glühn der Freude hätt' ihn entwaffnen sollen, selbst im Fall eines begangnen Ver¬ brechens, aber er behauptete sich, und mein Zurückfahren wie Jemandes, der sich verbrannt hat, hätte seine Rache sein können, wär' anders sein Betragen Kunst und nicht Temperamentsfolge gewesen.
Ich sah ihn während seiner fünftägigen Anwesenheit in London noch einigemal, aber nur flüchtig. -- Ich wagte nicht im eigentlichen Sinne von den drei Louisd'or zu sprechen, die er mir Reisegeld gegeben hatte; er schrieb mir ein halb satirisches Billet und forderte sie. Ich sandte sie ihm auf der Stell', und sah ihn seitdem nicht wieder. Diese Art Demüthigung war seine wirkliche Rache.
Er schiffte sich noch denselben Tag ein und fuhr nach Ko¬ penhagen -- wo ihn seine Frau sehnlichst erwartete, -- und in einem eignen, für fünftausend Guineen gekauften Schiffe.
Es hat mir oft leid gethan, mit ihm zerfallen zu sein. Ich habe verschiedenemal an ihn schreiben wollen; -- nicht sein Forderungsbillet, aber seine Mienen beim ersten Wiedersehn haben mich immer davon abgehalten.
ein mehr foͤrmliches Denkmal von mir verlangen wuͤrden, waͤren dies weniger fluͤchtige Zeilen.
Erſt im Mai kam Erichſen aus Frankreich wieder. Er ließ mich ſeine Ankunft wiſſen. Mein Herz pochte, denn ich hatt’ ihn lieb. Ich ging nicht, ſondern ich flog zu ihm. Er empfing mich freundlich, aber mit Herablaſſung, welches meine Stim¬ mung ſo blitzſchnell veraͤnderte, daß ich mich vor’s Kaminfeuer ſtellte und von Muͤdigkeit ſprach. Er hatte wirklich ein Feuer, weil der Morgen ſehr kalt war.
Es fehlte Erichſen, um ein ganz liebenswuͤrdiger oder we¬ nigſtens mein Mann zu ſein, eine gewiſſe edle Erhebung der Seele. Mein Blick beim Hereintritt, mein Gluͤhn der Freude haͤtt’ ihn entwaffnen ſollen, ſelbſt im Fall eines begangnen Ver¬ brechens, aber er behauptete ſich, und mein Zuruͤckfahren wie Jemandes, der ſich verbrannt hat, haͤtte ſeine Rache ſein koͤnnen, waͤr’ anders ſein Betragen Kunſt und nicht Temperamentsfolge geweſen.
Ich ſah ihn waͤhrend ſeiner fuͤnftaͤgigen Anweſenheit in London noch einigemal, aber nur fluͤchtig. — Ich wagte nicht im eigentlichen Sinne von den drei Louisd’or zu ſprechen, die er mir Reiſegeld gegeben hatte; er ſchrieb mir ein halb ſatiriſches Billet und forderte ſie. Ich ſandte ſie ihm auf der Stell’, und ſah ihn ſeitdem nicht wieder. Dieſe Art Demuͤthigung war ſeine wirkliche Rache.
Er ſchiffte ſich noch denſelben Tag ein und fuhr nach Ko¬ penhagen — wo ihn ſeine Frau ſehnlichſt erwartete, — und in einem eignen, fuͤr fuͤnftauſend Guineen gekauften Schiffe.
Es hat mir oft leid gethan, mit ihm zerfallen zu ſein. Ich habe verſchiedenemal an ihn ſchreiben wollen; — nicht ſein Forderungsbillet, aber ſeine Mienen beim erſten Wiederſehn haben mich immer davon abgehalten.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0073"n="59"/>
ein mehr foͤrmliches Denkmal von mir verlangen wuͤrden, waͤren<lb/>
dies weniger fluͤchtige Zeilen.</p><lb/><p>Erſt im Mai kam Erichſen aus Frankreich wieder. Er ließ<lb/>
mich ſeine Ankunft wiſſen. Mein Herz pochte, denn ich hatt’<lb/>
ihn lieb. Ich ging nicht, ſondern ich flog zu ihm. Er empfing<lb/>
mich freundlich, aber mit Herablaſſung, welches meine Stim¬<lb/>
mung ſo blitzſchnell veraͤnderte, daß ich mich vor’s Kaminfeuer<lb/>ſtellte und von Muͤdigkeit ſprach. Er hatte wirklich ein Feuer,<lb/>
weil der Morgen ſehr kalt war.</p><lb/><p>Es fehlte Erichſen, um ein ganz liebenswuͤrdiger oder we¬<lb/>
nigſtens mein Mann zu ſein, eine gewiſſe edle Erhebung der<lb/>
Seele. Mein Blick beim Hereintritt, mein Gluͤhn der Freude<lb/>
haͤtt’ ihn entwaffnen ſollen, ſelbſt im Fall eines begangnen Ver¬<lb/>
brechens, aber er behauptete ſich, und mein Zuruͤckfahren wie<lb/>
Jemandes, der ſich verbrannt hat, haͤtte ſeine Rache ſein koͤnnen,<lb/>
waͤr’ anders ſein Betragen Kunſt und nicht Temperamentsfolge<lb/>
geweſen.</p><lb/><p>Ich ſah ihn waͤhrend ſeiner fuͤnftaͤgigen Anweſenheit in<lb/>
London noch einigemal, aber nur fluͤchtig. — Ich wagte nicht<lb/>
im eigentlichen Sinne von den drei Louisd’or zu ſprechen, die er<lb/>
mir Reiſegeld gegeben hatte; er ſchrieb mir ein halb ſatiriſches<lb/>
Billet und forderte ſie. Ich ſandte ſie ihm auf der Stell’, und<lb/>ſah ihn ſeitdem nicht wieder. Dieſe Art Demuͤthigung war ſeine<lb/>
wirkliche Rache.</p><lb/><p>Er ſchiffte ſich noch denſelben Tag ein und fuhr nach Ko¬<lb/>
penhagen — wo ihn ſeine Frau ſehnlichſt erwartete, — und in<lb/>
einem eignen, fuͤr fuͤnftauſend Guineen gekauften Schiffe.</p><lb/><p>Es hat mir oft leid gethan, mit ihm zerfallen zu ſein.<lb/>
Ich habe verſchiedenemal an ihn ſchreiben wollen; — nicht ſein<lb/>
Forderungsbillet, aber ſeine Mienen beim erſten Wiederſehn<lb/>
haben mich immer davon abgehalten.</p><lb/></div></div></div></div></body></text></TEI>
[59/0073]
ein mehr foͤrmliches Denkmal von mir verlangen wuͤrden, waͤren
dies weniger fluͤchtige Zeilen.
Erſt im Mai kam Erichſen aus Frankreich wieder. Er ließ
mich ſeine Ankunft wiſſen. Mein Herz pochte, denn ich hatt’
ihn lieb. Ich ging nicht, ſondern ich flog zu ihm. Er empfing
mich freundlich, aber mit Herablaſſung, welches meine Stim¬
mung ſo blitzſchnell veraͤnderte, daß ich mich vor’s Kaminfeuer
ſtellte und von Muͤdigkeit ſprach. Er hatte wirklich ein Feuer,
weil der Morgen ſehr kalt war.
Es fehlte Erichſen, um ein ganz liebenswuͤrdiger oder we¬
nigſtens mein Mann zu ſein, eine gewiſſe edle Erhebung der
Seele. Mein Blick beim Hereintritt, mein Gluͤhn der Freude
haͤtt’ ihn entwaffnen ſollen, ſelbſt im Fall eines begangnen Ver¬
brechens, aber er behauptete ſich, und mein Zuruͤckfahren wie
Jemandes, der ſich verbrannt hat, haͤtte ſeine Rache ſein koͤnnen,
waͤr’ anders ſein Betragen Kunſt und nicht Temperamentsfolge
geweſen.
Ich ſah ihn waͤhrend ſeiner fuͤnftaͤgigen Anweſenheit in
London noch einigemal, aber nur fluͤchtig. — Ich wagte nicht
im eigentlichen Sinne von den drei Louisd’or zu ſprechen, die er
mir Reiſegeld gegeben hatte; er ſchrieb mir ein halb ſatiriſches
Billet und forderte ſie. Ich ſandte ſie ihm auf der Stell’, und
ſah ihn ſeitdem nicht wieder. Dieſe Art Demuͤthigung war ſeine
wirkliche Rache.
Er ſchiffte ſich noch denſelben Tag ein und fuhr nach Ko¬
penhagen — wo ihn ſeine Frau ſehnlichſt erwartete, — und in
einem eignen, fuͤr fuͤnftauſend Guineen gekauften Schiffe.
Es hat mir oft leid gethan, mit ihm zerfallen zu ſein.
Ich habe verſchiedenemal an ihn ſchreiben wollen; — nicht ſein
Forderungsbillet, aber ſeine Mienen beim erſten Wiederſehn
haben mich immer davon abgehalten.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/73>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.