Während dieser ganzen Zeit hört' ich durchaus nichts von Narbonne. An die Stael hatte ich gleich nach Zurückgabe der Obligation von Rouen aus -- sie war damals in Genf -- ge¬ schrieben und ihr alles aufrichtig erzählt. Mit der Rilliet blieb ich im Briefwechsel, so lange bis die Aufhebung aller Verbindung zwischen Frankreich und England die Fortsetzung desselben un¬ möglich machte.
In den ersten Tagen des Juni kam die Stael nach London. Sie schrieb mir ein freundschaftliches Billet, worin sie mich nur bat, sie zu besuchen.
Ich ging. Sie war mit Narbonne. "Willkommen, will¬ kommen, mein lieber Bollmann," rief die Stael. "Sie sind ein böser Mann," sagte Narbonne, "Sie haben mir einen kleinen Streich gespielt; Sie schrieben mir, Sie gingen nach Frankreich, und sind hier." Er wußte sehr wohl mein Gehn und Wieder¬ kommen. Dies war also eine von den französischen nichtssagenden Reden, worauf ich nichts erwiederte. --
"Wir müssen allein zusammen sprechen," sagte die Stael, und somit nahm sie mich beim Arm und führte mich die Treppe hinunter zu ihrem Wagen, denn sie war gerad im Begriff, einen nothwendigen Besuch abzulegen. Als wir eben einsteigen wollten, kam der genfer Gesandte, um ihr aufzuwarten; sie gab ihm gleichfalls Audienz in dem Wagen. Angekommen, wo sie hin¬ wollte, ging der Gesandte fort; die Stael stieg aus, bat mich, im Wagen zu warten, und ließ mich so eine halbe Stunde allein. -- Als sie wiederkam, brachte sie die Freundin mit, welche sie besucht hatte, um sie anderswo niederzusetzen, -- dann fuhren wir nach Hause.
Sie war im Morgenhabit, und als wir auf ihre Stube kamen, rief sie ihr Mädchen, um sich entkleiden zu lassen -- nun endlich
Waͤhrend dieſer ganzen Zeit hoͤrt' ich durchaus nichts von Narbonne. An die Staël hatte ich gleich nach Zuruͤckgabe der Obligation von Rouen aus — ſie war damals in Genf — ge¬ ſchrieben und ihr alles aufrichtig erzaͤhlt. Mit der Rilliet blieb ich im Briefwechſel, ſo lange bis die Aufhebung aller Verbindung zwiſchen Frankreich und England die Fortſetzung deſſelben un¬ moͤglich machte.
In den erſten Tagen des Juni kam die Staël nach London. Sie ſchrieb mir ein freundſchaftliches Billet, worin ſie mich nur bat, ſie zu beſuchen.
Ich ging. Sie war mit Narbonne. „Willkommen, will¬ kommen, mein lieber Bollmann,“ rief die Staël. „Sie ſind ein boͤſer Mann,“ ſagte Narbonne, „Sie haben mir einen kleinen Streich geſpielt; Sie ſchrieben mir, Sie gingen nach Frankreich, und ſind hier.“ Er wußte ſehr wohl mein Gehn und Wieder¬ kommen. Dies war alſo eine von den franzoͤſiſchen nichtsſagenden Reden, worauf ich nichts erwiederte. —
„Wir muͤſſen allein zuſammen ſprechen,“ ſagte die Staël, und ſomit nahm ſie mich beim Arm und fuͤhrte mich die Treppe hinunter zu ihrem Wagen, denn ſie war gerad im Begriff, einen nothwendigen Beſuch abzulegen. Als wir eben einſteigen wollten, kam der genfer Geſandte, um ihr aufzuwarten; ſie gab ihm gleichfalls Audienz in dem Wagen. Angekommen, wo ſie hin¬ wollte, ging der Geſandte fort; die Staël ſtieg aus, bat mich, im Wagen zu warten, und ließ mich ſo eine halbe Stunde allein. — Als ſie wiederkam, brachte ſie die Freundin mit, welche ſie beſucht hatte, um ſie anderswo niederzuſetzen, — dann fuhren wir nach Hauſe.
Sie war im Morgenhabit, und als wir auf ihre Stube kamen, rief ſie ihr Maͤdchen, um ſich entkleiden zu laſſen — nun endlich
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0074"n="60"/><p>Waͤhrend dieſer ganzen Zeit hoͤrt' ich durchaus nichts von<lb/>
Narbonne. An die Sta<hirendition="#aq">ë</hi>l hatte ich gleich nach Zuruͤckgabe der<lb/>
Obligation von Rouen aus —ſie war damals in Genf — ge¬<lb/>ſchrieben und ihr alles aufrichtig erzaͤhlt. Mit der Rilliet blieb<lb/>
ich im Briefwechſel, ſo lange bis die Aufhebung aller Verbindung<lb/>
zwiſchen Frankreich und England die Fortſetzung deſſelben un¬<lb/>
moͤglich machte.</p><lb/><p>In den erſten Tagen des Juni kam die Sta<hirendition="#aq">ë</hi>l nach London.<lb/>
Sie ſchrieb mir ein freundſchaftliches Billet, worin ſie mich nur<lb/>
bat, ſie zu beſuchen.</p><lb/><p>Ich ging. Sie war mit Narbonne. „Willkommen, will¬<lb/>
kommen, mein lieber Bollmann,“ rief die Sta<hirendition="#aq">ë</hi>l. „Sie ſind ein<lb/>
boͤſer Mann,“ſagte Narbonne, „Sie haben mir einen kleinen<lb/>
Streich geſpielt; Sie ſchrieben mir, Sie gingen nach Frankreich,<lb/>
und ſind hier.“ Er wußte ſehr wohl mein Gehn und Wieder¬<lb/>
kommen. Dies war alſo eine von den franzoͤſiſchen nichtsſagenden<lb/>
Reden, worauf ich nichts erwiederte. —</p><lb/><p>„Wir muͤſſen <hirendition="#g">allein</hi> zuſammen ſprechen,“ſagte die Sta<hirendition="#aq">ë</hi>l,<lb/>
und ſomit nahm ſie mich beim Arm und fuͤhrte mich die Treppe<lb/>
hinunter zu ihrem Wagen, denn ſie war gerad im Begriff, einen<lb/>
nothwendigen Beſuch abzulegen. Als wir eben einſteigen wollten,<lb/>
kam der genfer Geſandte, um ihr aufzuwarten; ſie gab ihm<lb/>
gleichfalls Audienz in dem Wagen. Angekommen, wo ſie hin¬<lb/>
wollte, ging der Geſandte fort; die Sta<hirendition="#aq">ë</hi>l ſtieg aus, bat mich,<lb/>
im Wagen zu warten, und ließ mich ſo eine halbe Stunde allein.<lb/>— Als ſie wiederkam, brachte ſie die Freundin mit, welche ſie<lb/>
beſucht hatte, um ſie anderswo niederzuſetzen, — dann fuhren<lb/>
wir nach Hauſe.</p><lb/><p>Sie war im Morgenhabit, und als wir auf ihre Stube kamen,<lb/>
rief ſie ihr Maͤdchen, um ſich entkleiden zu laſſen — nun endlich<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[60/0074]
Waͤhrend dieſer ganzen Zeit hoͤrt' ich durchaus nichts von
Narbonne. An die Staël hatte ich gleich nach Zuruͤckgabe der
Obligation von Rouen aus — ſie war damals in Genf — ge¬
ſchrieben und ihr alles aufrichtig erzaͤhlt. Mit der Rilliet blieb
ich im Briefwechſel, ſo lange bis die Aufhebung aller Verbindung
zwiſchen Frankreich und England die Fortſetzung deſſelben un¬
moͤglich machte.
In den erſten Tagen des Juni kam die Staël nach London.
Sie ſchrieb mir ein freundſchaftliches Billet, worin ſie mich nur
bat, ſie zu beſuchen.
Ich ging. Sie war mit Narbonne. „Willkommen, will¬
kommen, mein lieber Bollmann,“ rief die Staël. „Sie ſind ein
boͤſer Mann,“ ſagte Narbonne, „Sie haben mir einen kleinen
Streich geſpielt; Sie ſchrieben mir, Sie gingen nach Frankreich,
und ſind hier.“ Er wußte ſehr wohl mein Gehn und Wieder¬
kommen. Dies war alſo eine von den franzoͤſiſchen nichtsſagenden
Reden, worauf ich nichts erwiederte. —
„Wir muͤſſen allein zuſammen ſprechen,“ ſagte die Staël,
und ſomit nahm ſie mich beim Arm und fuͤhrte mich die Treppe
hinunter zu ihrem Wagen, denn ſie war gerad im Begriff, einen
nothwendigen Beſuch abzulegen. Als wir eben einſteigen wollten,
kam der genfer Geſandte, um ihr aufzuwarten; ſie gab ihm
gleichfalls Audienz in dem Wagen. Angekommen, wo ſie hin¬
wollte, ging der Geſandte fort; die Staël ſtieg aus, bat mich,
im Wagen zu warten, und ließ mich ſo eine halbe Stunde allein.
— Als ſie wiederkam, brachte ſie die Freundin mit, welche ſie
beſucht hatte, um ſie anderswo niederzuſetzen, — dann fuhren
wir nach Hauſe.
Sie war im Morgenhabit, und als wir auf ihre Stube kamen,
rief ſie ihr Maͤdchen, um ſich entkleiden zu laſſen — nun endlich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/74>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.