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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837.

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für mich etwas sehr Nothwendiges. Bald giebt's etwas zu
thun, bald wieder nichts; man muß immer warten auf Be¬
scheerung!

Manche dieser Unannehmlichkeiten finden auch bei andern
Fächern statt, aber durchaus bei keinem häufen sie sich so zu¬
sammen, als wie bei der praktischen Heilkunst. Ich bin indessen
nie aus diesem Fache ganz herausgetreten, liebe Frau Base,
sondern habe das Erlernte behalten und zu vermehren gesucht;
aber zugleich haben die obigen Betrachtungen, unterstützt von
meinen Meinungen und Wünschen, mich bewogen, alles Mögliche
anzuwenden, um für die politische Karriere mich geschickt zu
machen. Ich habe gesucht in eins der Bureaus von Pitt oder
Grenville zu kommen, und auf diesen Zweck los arbeit' ich
noch!--

Ich machte vom Januar an bis zu Ende Mai ziemlich viel,
mehr oder weniger interessante Bekanntschaften, aber im Ganzen
lebt' ich sehr eingezogen und still.

Sophia Hoffmann darf ich nicht übergehn. Ich lernte sie
kennen durch eine Empfehlung, welche Heisch an ihren Mann
hatte; wir wurden beide, Heisch und ich, sehr bald im Hause
derselben wie Kinder.-- Sie ist eins der seltnen Geschöpfe,
deren natürlicher Liebenswürdigkeit die Kunst nichts würde hin¬
zusetzen können. Ohne schön zu sein, ist sie äußerst interessant.
Sie hat ein sehr warmes Herz, und einen gewissen romantischen
Schwung, der ihre Gesellschaft äußerst angenehm macht. Sie
ist überdies sehr lebhaft; mit einem Worte, sie gleicht einem
deutschen Fräulein der guten alten Ritterzeit!

Ich hab' ihr pflegemütterliche Rechte über mich eingeräumt,
und sie hat die Pflichten, welche daraus entsprangen, mit einer
Güte, mit einer Sorgfalt, mit einer Aufopferung erfüllt, welche

fuͤr mich etwas ſehr Nothwendiges. Bald giebt's etwas zu
thun, bald wieder nichts; man muß immer warten auf Be¬
ſcheerung!

Manche dieſer Unannehmlichkeiten finden auch bei andern
Faͤchern ſtatt, aber durchaus bei keinem haͤufen ſie ſich ſo zu¬
ſammen, als wie bei der praktiſchen Heilkunſt. Ich bin indeſſen
nie aus dieſem Fache ganz herausgetreten, liebe Frau Baſe,
ſondern habe das Erlernte behalten und zu vermehren geſucht;
aber zugleich haben die obigen Betrachtungen, unterſtuͤtzt von
meinen Meinungen und Wuͤnſchen, mich bewogen, alles Moͤgliche
anzuwenden, um fuͤr die politiſche Karriere mich geſchickt zu
machen. Ich habe geſucht in eins der Bureaus von Pitt oder
Grenville zu kommen, und auf dieſen Zweck los arbeit' ich
noch!—

Ich machte vom Januar an bis zu Ende Mai ziemlich viel,
mehr oder weniger intereſſante Bekanntſchaften, aber im Ganzen
lebt' ich ſehr eingezogen und ſtill.

Sophia Hoffmann darf ich nicht uͤbergehn. Ich lernte ſie
kennen durch eine Empfehlung, welche Heiſch an ihren Mann
hatte; wir wurden beide, Heiſch und ich, ſehr bald im Hauſe
derſelben wie Kinder.— Sie iſt eins der ſeltnen Geſchoͤpfe,
deren natuͤrlicher Liebenswuͤrdigkeit die Kunſt nichts wuͤrde hin¬
zuſetzen koͤnnen. Ohne ſchoͤn zu ſein, iſt ſie aͤußerſt intereſſant.
Sie hat ein ſehr warmes Herz, und einen gewiſſen romantiſchen
Schwung, der ihre Geſellſchaft aͤußerſt angenehm macht. Sie
iſt uͤberdies ſehr lebhaft; mit einem Worte, ſie gleicht einem
deutſchen Fraͤulein der guten alten Ritterzeit!

Ich hab' ihr pflegemuͤtterliche Rechte uͤber mich eingeraͤumt,
und ſie hat die Pflichten, welche daraus entſprangen, mit einer
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[58/0072] fuͤr mich etwas ſehr Nothwendiges. Bald giebt's etwas zu thun, bald wieder nichts; man muß immer warten auf Be¬ ſcheerung! Manche dieſer Unannehmlichkeiten finden auch bei andern Faͤchern ſtatt, aber durchaus bei keinem haͤufen ſie ſich ſo zu¬ ſammen, als wie bei der praktiſchen Heilkunſt. Ich bin indeſſen nie aus dieſem Fache ganz herausgetreten, liebe Frau Baſe, ſondern habe das Erlernte behalten und zu vermehren geſucht; aber zugleich haben die obigen Betrachtungen, unterſtuͤtzt von meinen Meinungen und Wuͤnſchen, mich bewogen, alles Moͤgliche anzuwenden, um fuͤr die politiſche Karriere mich geſchickt zu machen. Ich habe geſucht in eins der Bureaus von Pitt oder Grenville zu kommen, und auf dieſen Zweck los arbeit' ich noch!— Ich machte vom Januar an bis zu Ende Mai ziemlich viel, mehr oder weniger intereſſante Bekanntſchaften, aber im Ganzen lebt' ich ſehr eingezogen und ſtill. Sophia Hoffmann darf ich nicht uͤbergehn. Ich lernte ſie kennen durch eine Empfehlung, welche Heiſch an ihren Mann hatte; wir wurden beide, Heiſch und ich, ſehr bald im Hauſe derſelben wie Kinder.— Sie iſt eins der ſeltnen Geſchoͤpfe, deren natuͤrlicher Liebenswuͤrdigkeit die Kunſt nichts wuͤrde hin¬ zuſetzen koͤnnen. Ohne ſchoͤn zu ſein, iſt ſie aͤußerſt intereſſant. Sie hat ein ſehr warmes Herz, und einen gewiſſen romantiſchen Schwung, der ihre Geſellſchaft aͤußerſt angenehm macht. Sie iſt uͤberdies ſehr lebhaft; mit einem Worte, ſie gleicht einem deutſchen Fraͤulein der guten alten Ritterzeit! Ich hab' ihr pflegemuͤtterliche Rechte uͤber mich eingeraͤumt, und ſie hat die Pflichten, welche daraus entſprangen, mit einer Guͤte, mit einer Sorgfalt, mit einer Aufopferung erfuͤllt, welche

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/72>, abgerufen am 03.05.2024.