Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

Ich begreift endlich, daß die Aerzte in der Welt, wie sie
nun einmal beschaffen sind, nothwendig sind, wär's auch nur
wegen des einmal verbreiteten Glaubens an die Kunst. Ein
Arzt rettet schwerlich mehr Leiber, als ein Prediger Seelen,
aber aus der gegenwärtigen Ordnung der Dinge lassen sich Pre¬
diger so wenig als Aerzte verbannen.

Und dazu kömmt noch, daß ein weiser Arzt schon darum
Gutes thut, weil er das Böse, das ein schlechter an seinem Platz
thun würde, verhindert, und weil er unendlich viel Gelegenheit
hat, als Menschenfreund noch heilsam zu wirken, wo seine Kunst
ihn verläßt.

Diese verschiedenen Gründe sind hinreichend, um einen ge¬
scheidten Mann zu verhindern, nicht wider die Aerzte im Allge¬
meinen zu Felde zu ziehn, und um den zu beruhigen, welcher
nun einmal das Unglück hat, Arzt sein zu müssen; aber sie sind
zu schwach, für mich wenigstens, um nicht begierig ein andres
Handwerk zu ergreifen, wenn es vernünftigerweise geschehn kann.

Ja, wenn man gleich ein Arzt mit gemachtem Ruf und
also von Autorität sein könnte, -- aber das mühselige Quälen
bis man dahin kömmt, das Wartenmüssen auf Arbeit, die man
sich menschenfreundlicherweise nicht einmal wünschen darf, der
beständige und so gefährliche Gegensatz des eignen Vortheils und
des Vortheils des Kranken, der ewige Kampf mit den mancherlei
Vorurtheilen, die Nothwendigkeit, den Charlatan zu machen! --
Ich möchte besoldeter, von der Polizei angesetzter Gesundheits¬
rath sein, aber ein praktischer Doktor, der zu den Kranken um's
Brod läuft, dessen Einnahme mit der Menge der Rezepte im
Verhältniß steht, und der um dieser schändlichen Sklaverei willen
fast niemals sagen und thun darf, was er möcht' und sollte! --
Die Praxis öffnet auch kein bestimmtes, regelmäßiges Feld der
Thätigkeit, vorzüglich im Anfange nicht, und dies ist vorzüglich

Ich begreift endlich, daß die Aerzte in der Welt, wie ſie
nun einmal beſchaffen ſind, nothwendig ſind, waͤr's auch nur
wegen des einmal verbreiteten Glaubens an die Kunſt. Ein
Arzt rettet ſchwerlich mehr Leiber, als ein Prediger Seelen,
aber aus der gegenwaͤrtigen Ordnung der Dinge laſſen ſich Pre¬
diger ſo wenig als Aerzte verbannen.

Und dazu koͤmmt noch, daß ein weiſer Arzt ſchon darum
Gutes thut, weil er das Boͤſe, das ein ſchlechter an ſeinem Platz
thun wuͤrde, verhindert, und weil er unendlich viel Gelegenheit
hat, als Menſchenfreund noch heilſam zu wirken, wo ſeine Kunſt
ihn verlaͤßt.

Dieſe verſchiedenen Gruͤnde ſind hinreichend, um einen ge¬
ſcheidten Mann zu verhindern, nicht wider die Aerzte im Allge¬
meinen zu Felde zu ziehn, und um den zu beruhigen, welcher
nun einmal das Ungluͤck hat, Arzt ſein zu muͤſſen; aber ſie ſind
zu ſchwach, fuͤr mich wenigſtens, um nicht begierig ein andres
Handwerk zu ergreifen, wenn es vernuͤnftigerweiſe geſchehn kann.

Ja, wenn man gleich ein Arzt mit gemachtem Ruf und
alſo von Autoritaͤt ſein koͤnnte, — aber das muͤhſelige Quaͤlen
bis man dahin koͤmmt, das Wartenmuͤſſen auf Arbeit, die man
ſich menſchenfreundlicherweiſe nicht einmal wuͤnſchen darf, der
beſtaͤndige und ſo gefaͤhrliche Gegenſatz des eignen Vortheils und
des Vortheils des Kranken, der ewige Kampf mit den mancherlei
Vorurtheilen, die Nothwendigkeit, den Charlatan zu machen! —
Ich moͤchte beſoldeter, von der Polizei angeſetzter Geſundheits¬
rath ſein, aber ein praktiſcher Doktor, der zu den Kranken um's
Brod laͤuft, deſſen Einnahme mit der Menge der Rezepte im
Verhaͤltniß ſteht, und der um dieſer ſchaͤndlichen Sklaverei willen
faſt niemals ſagen und thun darf, was er moͤcht' und ſollte! —
Die Praxis oͤffnet auch kein beſtimmtes, regelmaͤßiges Feld der
Thaͤtigkeit, vorzuͤglich im Anfange nicht, und dies iſt vorzuͤglich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0071" n="57"/>
              <p>Ich begreift endlich, daß die Aerzte in der Welt, wie &#x017F;ie<lb/>
nun einmal be&#x017F;chaffen &#x017F;ind, nothwendig &#x017F;ind, wa&#x0364;r's auch nur<lb/>
wegen des einmal verbreiteten Glaubens an die Kun&#x017F;t. Ein<lb/>
Arzt rettet &#x017F;chwerlich mehr Leiber, als ein Prediger Seelen,<lb/>
aber aus der gegenwa&#x0364;rtigen Ordnung der Dinge la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich Pre¬<lb/>
diger &#x017F;o wenig als Aerzte verbannen.</p><lb/>
              <p>Und dazu ko&#x0364;mmt noch, daß ein wei&#x017F;er Arzt &#x017F;chon darum<lb/>
Gutes thut, weil er das Bo&#x0364;&#x017F;e, das ein &#x017F;chlechter an &#x017F;einem Platz<lb/>
thun wu&#x0364;rde, verhindert, und weil er unendlich viel Gelegenheit<lb/>
hat, als Men&#x017F;chenfreund noch heil&#x017F;am zu wirken, wo &#x017F;eine Kun&#x017F;t<lb/>
ihn verla&#x0364;ßt.</p><lb/>
              <p>Die&#x017F;e ver&#x017F;chiedenen Gru&#x0364;nde &#x017F;ind hinreichend, um einen ge¬<lb/>
&#x017F;cheidten Mann zu verhindern, nicht wider die Aerzte im Allge¬<lb/>
meinen zu Felde zu ziehn, und um <hi rendition="#g">den</hi> zu beruhigen, welcher<lb/>
nun einmal das Unglu&#x0364;ck hat, Arzt &#x017F;ein zu mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en; aber &#x017F;ie &#x017F;ind<lb/>
zu &#x017F;chwach, fu&#x0364;r mich wenig&#x017F;tens, um nicht begierig ein andres<lb/>
Handwerk zu ergreifen, wenn es vernu&#x0364;nftigerwei&#x017F;e ge&#x017F;chehn kann.</p><lb/>
              <p>Ja, wenn man gleich ein Arzt mit gemachtem Ruf und<lb/>
al&#x017F;o von Autorita&#x0364;t &#x017F;ein ko&#x0364;nnte, &#x2014; aber das mu&#x0364;h&#x017F;elige Qua&#x0364;len<lb/>
bis man dahin ko&#x0364;mmt, das Wartenmu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en auf Arbeit, die man<lb/>
&#x017F;ich men&#x017F;chenfreundlicherwei&#x017F;e nicht einmal wu&#x0364;n&#x017F;chen darf, der<lb/>
be&#x017F;ta&#x0364;ndige und &#x017F;o gefa&#x0364;hrliche Gegen&#x017F;atz des eignen Vortheils und<lb/>
des Vortheils des Kranken, der ewige Kampf mit den mancherlei<lb/>
Vorurtheilen, die Nothwendigkeit, den Charlatan zu machen! &#x2014;<lb/>
Ich mo&#x0364;chte be&#x017F;oldeter, von der Polizei ange&#x017F;etzter Ge&#x017F;undheits¬<lb/>
rath &#x017F;ein, aber ein prakti&#x017F;cher Doktor, der zu den Kranken um's<lb/>
Brod la&#x0364;uft, de&#x017F;&#x017F;en Einnahme mit der Menge der Rezepte im<lb/>
Verha&#x0364;ltniß &#x017F;teht, und der um die&#x017F;er &#x017F;cha&#x0364;ndlichen Sklaverei willen<lb/>
fa&#x017F;t niemals &#x017F;agen und thun darf, was er mo&#x0364;cht' und &#x017F;ollte! &#x2014;<lb/>
Die Praxis o&#x0364;ffnet auch kein be&#x017F;timmtes, regelma&#x0364;ßiges Feld der<lb/>
Tha&#x0364;tigkeit, vorzu&#x0364;glich im Anfange nicht, und dies i&#x017F;t vorzu&#x0364;glich<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[57/0071] Ich begreift endlich, daß die Aerzte in der Welt, wie ſie nun einmal beſchaffen ſind, nothwendig ſind, waͤr's auch nur wegen des einmal verbreiteten Glaubens an die Kunſt. Ein Arzt rettet ſchwerlich mehr Leiber, als ein Prediger Seelen, aber aus der gegenwaͤrtigen Ordnung der Dinge laſſen ſich Pre¬ diger ſo wenig als Aerzte verbannen. Und dazu koͤmmt noch, daß ein weiſer Arzt ſchon darum Gutes thut, weil er das Boͤſe, das ein ſchlechter an ſeinem Platz thun wuͤrde, verhindert, und weil er unendlich viel Gelegenheit hat, als Menſchenfreund noch heilſam zu wirken, wo ſeine Kunſt ihn verlaͤßt. Dieſe verſchiedenen Gruͤnde ſind hinreichend, um einen ge¬ ſcheidten Mann zu verhindern, nicht wider die Aerzte im Allge¬ meinen zu Felde zu ziehn, und um den zu beruhigen, welcher nun einmal das Ungluͤck hat, Arzt ſein zu muͤſſen; aber ſie ſind zu ſchwach, fuͤr mich wenigſtens, um nicht begierig ein andres Handwerk zu ergreifen, wenn es vernuͤnftigerweiſe geſchehn kann. Ja, wenn man gleich ein Arzt mit gemachtem Ruf und alſo von Autoritaͤt ſein koͤnnte, — aber das muͤhſelige Quaͤlen bis man dahin koͤmmt, das Wartenmuͤſſen auf Arbeit, die man ſich menſchenfreundlicherweiſe nicht einmal wuͤnſchen darf, der beſtaͤndige und ſo gefaͤhrliche Gegenſatz des eignen Vortheils und des Vortheils des Kranken, der ewige Kampf mit den mancherlei Vorurtheilen, die Nothwendigkeit, den Charlatan zu machen! — Ich moͤchte beſoldeter, von der Polizei angeſetzter Geſundheits¬ rath ſein, aber ein praktiſcher Doktor, der zu den Kranken um's Brod laͤuft, deſſen Einnahme mit der Menge der Rezepte im Verhaͤltniß ſteht, und der um dieſer ſchaͤndlichen Sklaverei willen faſt niemals ſagen und thun darf, was er moͤcht' und ſollte! — Die Praxis oͤffnet auch kein beſtimmtes, regelmaͤßiges Feld der Thaͤtigkeit, vorzuͤglich im Anfange nicht, und dies iſt vorzuͤglich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/71
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/71>, abgerufen am 03.05.2024.