Ich begreift endlich, daß die Aerzte in der Welt, wie sie nun einmal beschaffen sind, nothwendig sind, wär's auch nur wegen des einmal verbreiteten Glaubens an die Kunst. Ein Arzt rettet schwerlich mehr Leiber, als ein Prediger Seelen, aber aus der gegenwärtigen Ordnung der Dinge lassen sich Pre¬ diger so wenig als Aerzte verbannen.
Und dazu kömmt noch, daß ein weiser Arzt schon darum Gutes thut, weil er das Böse, das ein schlechter an seinem Platz thun würde, verhindert, und weil er unendlich viel Gelegenheit hat, als Menschenfreund noch heilsam zu wirken, wo seine Kunst ihn verläßt.
Diese verschiedenen Gründe sind hinreichend, um einen ge¬ scheidten Mann zu verhindern, nicht wider die Aerzte im Allge¬ meinen zu Felde zu ziehn, und um den zu beruhigen, welcher nun einmal das Unglück hat, Arzt sein zu müssen; aber sie sind zu schwach, für mich wenigstens, um nicht begierig ein andres Handwerk zu ergreifen, wenn es vernünftigerweise geschehn kann.
Ja, wenn man gleich ein Arzt mit gemachtem Ruf und also von Autorität sein könnte, -- aber das mühselige Quälen bis man dahin kömmt, das Wartenmüssen auf Arbeit, die man sich menschenfreundlicherweise nicht einmal wünschen darf, der beständige und so gefährliche Gegensatz des eignen Vortheils und des Vortheils des Kranken, der ewige Kampf mit den mancherlei Vorurtheilen, die Nothwendigkeit, den Charlatan zu machen! -- Ich möchte besoldeter, von der Polizei angesetzter Gesundheits¬ rath sein, aber ein praktischer Doktor, der zu den Kranken um's Brod läuft, dessen Einnahme mit der Menge der Rezepte im Verhältniß steht, und der um dieser schändlichen Sklaverei willen fast niemals sagen und thun darf, was er möcht' und sollte! -- Die Praxis öffnet auch kein bestimmtes, regelmäßiges Feld der Thätigkeit, vorzüglich im Anfange nicht, und dies ist vorzüglich
Ich begreift endlich, daß die Aerzte in der Welt, wie ſie nun einmal beſchaffen ſind, nothwendig ſind, waͤr's auch nur wegen des einmal verbreiteten Glaubens an die Kunſt. Ein Arzt rettet ſchwerlich mehr Leiber, als ein Prediger Seelen, aber aus der gegenwaͤrtigen Ordnung der Dinge laſſen ſich Pre¬ diger ſo wenig als Aerzte verbannen.
Und dazu koͤmmt noch, daß ein weiſer Arzt ſchon darum Gutes thut, weil er das Boͤſe, das ein ſchlechter an ſeinem Platz thun wuͤrde, verhindert, und weil er unendlich viel Gelegenheit hat, als Menſchenfreund noch heilſam zu wirken, wo ſeine Kunſt ihn verlaͤßt.
Dieſe verſchiedenen Gruͤnde ſind hinreichend, um einen ge¬ ſcheidten Mann zu verhindern, nicht wider die Aerzte im Allge¬ meinen zu Felde zu ziehn, und um den zu beruhigen, welcher nun einmal das Ungluͤck hat, Arzt ſein zu muͤſſen; aber ſie ſind zu ſchwach, fuͤr mich wenigſtens, um nicht begierig ein andres Handwerk zu ergreifen, wenn es vernuͤnftigerweiſe geſchehn kann.
Ja, wenn man gleich ein Arzt mit gemachtem Ruf und alſo von Autoritaͤt ſein koͤnnte, — aber das muͤhſelige Quaͤlen bis man dahin koͤmmt, das Wartenmuͤſſen auf Arbeit, die man ſich menſchenfreundlicherweiſe nicht einmal wuͤnſchen darf, der beſtaͤndige und ſo gefaͤhrliche Gegenſatz des eignen Vortheils und des Vortheils des Kranken, der ewige Kampf mit den mancherlei Vorurtheilen, die Nothwendigkeit, den Charlatan zu machen! — Ich moͤchte beſoldeter, von der Polizei angeſetzter Geſundheits¬ rath ſein, aber ein praktiſcher Doktor, der zu den Kranken um's Brod laͤuft, deſſen Einnahme mit der Menge der Rezepte im Verhaͤltniß ſteht, und der um dieſer ſchaͤndlichen Sklaverei willen faſt niemals ſagen und thun darf, was er moͤcht' und ſollte! — Die Praxis oͤffnet auch kein beſtimmtes, regelmaͤßiges Feld der Thaͤtigkeit, vorzuͤglich im Anfange nicht, und dies iſt vorzuͤglich
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Ich begreift endlich, daß die Aerzte in der Welt, wie ſie
nun einmal beſchaffen ſind, nothwendig ſind, waͤr's auch nur
wegen des einmal verbreiteten Glaubens an die Kunſt. Ein
Arzt rettet ſchwerlich mehr Leiber, als ein Prediger Seelen,
aber aus der gegenwaͤrtigen Ordnung der Dinge laſſen ſich Pre¬
diger ſo wenig als Aerzte verbannen.
Und dazu koͤmmt noch, daß ein weiſer Arzt ſchon darum
Gutes thut, weil er das Boͤſe, das ein ſchlechter an ſeinem Platz
thun wuͤrde, verhindert, und weil er unendlich viel Gelegenheit
hat, als Menſchenfreund noch heilſam zu wirken, wo ſeine Kunſt
ihn verlaͤßt.
Dieſe verſchiedenen Gruͤnde ſind hinreichend, um einen ge¬
ſcheidten Mann zu verhindern, nicht wider die Aerzte im Allge¬
meinen zu Felde zu ziehn, und um den zu beruhigen, welcher
nun einmal das Ungluͤck hat, Arzt ſein zu muͤſſen; aber ſie ſind
zu ſchwach, fuͤr mich wenigſtens, um nicht begierig ein andres
Handwerk zu ergreifen, wenn es vernuͤnftigerweiſe geſchehn kann.
Ja, wenn man gleich ein Arzt mit gemachtem Ruf und
alſo von Autoritaͤt ſein koͤnnte, — aber das muͤhſelige Quaͤlen
bis man dahin koͤmmt, das Wartenmuͤſſen auf Arbeit, die man
ſich menſchenfreundlicherweiſe nicht einmal wuͤnſchen darf, der
beſtaͤndige und ſo gefaͤhrliche Gegenſatz des eignen Vortheils und
des Vortheils des Kranken, der ewige Kampf mit den mancherlei
Vorurtheilen, die Nothwendigkeit, den Charlatan zu machen! —
Ich moͤchte beſoldeter, von der Polizei angeſetzter Geſundheits¬
rath ſein, aber ein praktiſcher Doktor, der zu den Kranken um's
Brod laͤuft, deſſen Einnahme mit der Menge der Rezepte im
Verhaͤltniß ſteht, und der um dieſer ſchaͤndlichen Sklaverei willen
faſt niemals ſagen und thun darf, was er moͤcht' und ſollte! —
Die Praxis oͤffnet auch kein beſtimmtes, regelmaͤßiges Feld der
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/71>, abgerufen am 23.11.2024.
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