Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

Alle diese Genußfähigkeiten und Kräfte blieben in ihrem täglichen
Leben ungebraucht und unbefriedigt, denn ihr Mann, den sie
hatte nehmen müssen, war nur ein guter Kaufmann. Sie war
vier und zwanzig Jahr alt. Sie war eine vertraute Freundin
von Madame de Stael, wiewohl sie nicht alle Handlungen der¬
selben billigte. Sie kannte den Dienst, welchen ich derselben
geleistet hatte. Sie war sehr beklommen, wieder nach Frankreich
zu gehn, und sehr traurig, weil sie in England einen vielgelieb¬
ten Sohn zurücklassen mußte, der erst drei Jahr alt war. --
Nehmen Sie alles dieses zusammen, und urtheilen Sie selbst,
ob unsre Unterhaltungen im Wagen lange gleichgültig bleiben
konnten!

Ich bin nie verliebt geworden in Madame Rilliet, aber sie
wurde meine innigste Freundin. "Sie sind ein Mann aus mei¬
nem Lande," sagte sie, nachdem wir ein paar Tage beisammen
gewesen waren, und ich fühlte, daß sie eine Frau aus dem mei¬
nigen war. Nie hab' ich eine schönere Reise gemacht; sie dauerte
sehr lange; wir waren beinahe vierzehn Tage unterwegs. Die
Rilliet hatte sich davor gefürchtet, und ihre Furcht wurde be¬
trogen. Ich hatte mir Vergnügen versprochen, aber so viel nicht!

-- Wie viel hätt' ich zu thun, wollt' ich Ihnen nur halb mit¬
theilen, was all Interessantes und Schönes zwischen uns vorfiel!

-- Ungestört blieb indessen die Freude nicht lange. Erichsen war
zu fein, um nicht bald zu merken, wieviel die Rilliet anfing auf
mich zu halten. Er hielt selbst zu viel auf sie, und war zu
ehrgeizig, um nicht eifersüchtig zu werden. Ich hätte seine schwache
Seite schonen sollen, aber ich kannte sie nicht, und nachdem ich
sie kennen gelernt hatte, war es zu spät. Er fing an kalt zu
werden, fing an, sich gern an mir zu reiben und bitter zu dispu¬
tiren. Manche Umstände trugen dazu bei, seine üble Stimmung
zu vermehren! --

Alle dieſe Genußfaͤhigkeiten und Kraͤfte blieben in ihrem taͤglichen
Leben ungebraucht und unbefriedigt, denn ihr Mann, den ſie
hatte nehmen muͤſſen, war nur ein guter Kaufmann. Sie war
vier und zwanzig Jahr alt. Sie war eine vertraute Freundin
von Madame de Staël, wiewohl ſie nicht alle Handlungen der¬
ſelben billigte. Sie kannte den Dienſt, welchen ich derſelben
geleiſtet hatte. Sie war ſehr beklommen, wieder nach Frankreich
zu gehn, und ſehr traurig, weil ſie in England einen vielgelieb¬
ten Sohn zuruͤcklaſſen mußte, der erſt drei Jahr alt war. —
Nehmen Sie alles dieſes zuſammen, und urtheilen Sie ſelbſt,
ob unſre Unterhaltungen im Wagen lange gleichguͤltig bleiben
konnten!

Ich bin nie verliebt geworden in Madame Rilliet, aber ſie
wurde meine innigſte Freundin. „Sie ſind ein Mann aus mei¬
nem Lande,“ ſagte ſie, nachdem wir ein paar Tage beiſammen
geweſen waren, und ich fuͤhlte, daß ſie eine Frau aus dem mei¬
nigen war. Nie hab' ich eine ſchoͤnere Reiſe gemacht; ſie dauerte
ſehr lange; wir waren beinahe vierzehn Tage unterwegs. Die
Rilliet hatte ſich davor gefuͤrchtet, und ihre Furcht wurde be¬
trogen. Ich hatte mir Vergnuͤgen verſprochen, aber ſo viel nicht!

— Wie viel haͤtt' ich zu thun, wollt' ich Ihnen nur halb mit¬
theilen, was all Intereſſantes und Schoͤnes zwiſchen uns vorfiel!

— Ungeſtoͤrt blieb indeſſen die Freude nicht lange. Erichſen war
zu fein, um nicht bald zu merken, wieviel die Rilliet anfing auf
mich zu halten. Er hielt ſelbſt zu viel auf ſie, und war zu
ehrgeizig, um nicht eiferſuͤchtig zu werden. Ich haͤtte ſeine ſchwache
Seite ſchonen ſollen, aber ich kannte ſie nicht, und nachdem ich
ſie kennen gelernt hatte, war es zu ſpaͤt. Er fing an kalt zu
werden, fing an, ſich gern an mir zu reiben und bitter zu dispu¬
tiren. Manche Umſtaͤnde trugen dazu bei, ſeine uͤble Stimmung
zu vermehren! —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0064" n="50"/>
              <p>Alle die&#x017F;e Genußfa&#x0364;higkeiten und Kra&#x0364;fte blieben in ihrem ta&#x0364;glichen<lb/>
Leben ungebraucht und unbefriedigt, denn ihr Mann, den &#x017F;ie<lb/>
hatte nehmen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, war nur ein guter Kaufmann. Sie war<lb/>
vier und zwanzig Jahr alt. Sie war eine vertraute Freundin<lb/>
von Madame de Sta<hi rendition="#aq">ë</hi>l, wiewohl &#x017F;ie nicht alle Handlungen der¬<lb/>
&#x017F;elben billigte. Sie kannte den Dien&#x017F;t, welchen ich der&#x017F;elben<lb/>
gelei&#x017F;tet hatte. Sie war &#x017F;ehr beklommen, wieder nach Frankreich<lb/>
zu gehn, und &#x017F;ehr traurig, weil &#x017F;ie in England einen vielgelieb¬<lb/>
ten Sohn zuru&#x0364;ckla&#x017F;&#x017F;en mußte, der er&#x017F;t drei Jahr alt war. &#x2014;<lb/>
Nehmen Sie alles die&#x017F;es zu&#x017F;ammen, und urtheilen Sie &#x017F;elb&#x017F;t,<lb/>
ob un&#x017F;re Unterhaltungen im Wagen lange gleichgu&#x0364;ltig bleiben<lb/>
konnten!</p><lb/>
              <p>Ich bin nie verliebt geworden in Madame Rilliet, aber &#x017F;ie<lb/>
wurde meine innig&#x017F;te Freundin. &#x201E;Sie &#x017F;ind ein Mann aus mei¬<lb/>
nem Lande,&#x201C; &#x017F;agte &#x017F;ie, nachdem wir ein paar Tage bei&#x017F;ammen<lb/>
gewe&#x017F;en waren, und ich fu&#x0364;hlte, daß &#x017F;ie eine Frau aus dem mei¬<lb/>
nigen war. Nie hab' ich eine &#x017F;cho&#x0364;nere Rei&#x017F;e gemacht; &#x017F;ie dauerte<lb/>
&#x017F;ehr lange; wir waren beinahe vierzehn Tage unterwegs. Die<lb/>
Rilliet hatte &#x017F;ich davor gefu&#x0364;rchtet, und ihre Furcht wurde be¬<lb/>
trogen. Ich hatte mir Vergnu&#x0364;gen ver&#x017F;prochen, aber &#x017F;o viel nicht!</p><lb/>
              <p>&#x2014; Wie viel ha&#x0364;tt' ich zu thun, wollt' ich Ihnen nur halb mit¬<lb/>
theilen, was all Intere&#x017F;&#x017F;antes und Scho&#x0364;nes zwi&#x017F;chen uns vorfiel!</p><lb/>
              <p>&#x2014; Unge&#x017F;to&#x0364;rt blieb inde&#x017F;&#x017F;en die Freude nicht lange. Erich&#x017F;en war<lb/>
zu fein, um nicht bald zu merken, wieviel die Rilliet anfing auf<lb/>
mich zu halten. Er hielt &#x017F;elb&#x017F;t zu viel auf &#x017F;ie, und war zu<lb/>
ehrgeizig, um nicht eifer&#x017F;u&#x0364;chtig zu werden. Ich ha&#x0364;tte &#x017F;eine &#x017F;chwache<lb/>
Seite &#x017F;chonen &#x017F;ollen, aber ich kannte &#x017F;ie nicht, und nachdem ich<lb/>
&#x017F;ie kennen gelernt hatte, war es zu &#x017F;pa&#x0364;t. Er fing an kalt zu<lb/>
werden, fing an, &#x017F;ich gern an mir zu reiben und bitter zu dispu¬<lb/>
tiren. Manche Um&#x017F;ta&#x0364;nde trugen dazu bei, &#x017F;eine u&#x0364;ble Stimmung<lb/>
zu vermehren! &#x2014;</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[50/0064] Alle dieſe Genußfaͤhigkeiten und Kraͤfte blieben in ihrem taͤglichen Leben ungebraucht und unbefriedigt, denn ihr Mann, den ſie hatte nehmen muͤſſen, war nur ein guter Kaufmann. Sie war vier und zwanzig Jahr alt. Sie war eine vertraute Freundin von Madame de Staël, wiewohl ſie nicht alle Handlungen der¬ ſelben billigte. Sie kannte den Dienſt, welchen ich derſelben geleiſtet hatte. Sie war ſehr beklommen, wieder nach Frankreich zu gehn, und ſehr traurig, weil ſie in England einen vielgelieb¬ ten Sohn zuruͤcklaſſen mußte, der erſt drei Jahr alt war. — Nehmen Sie alles dieſes zuſammen, und urtheilen Sie ſelbſt, ob unſre Unterhaltungen im Wagen lange gleichguͤltig bleiben konnten! Ich bin nie verliebt geworden in Madame Rilliet, aber ſie wurde meine innigſte Freundin. „Sie ſind ein Mann aus mei¬ nem Lande,“ ſagte ſie, nachdem wir ein paar Tage beiſammen geweſen waren, und ich fuͤhlte, daß ſie eine Frau aus dem mei¬ nigen war. Nie hab' ich eine ſchoͤnere Reiſe gemacht; ſie dauerte ſehr lange; wir waren beinahe vierzehn Tage unterwegs. Die Rilliet hatte ſich davor gefuͤrchtet, und ihre Furcht wurde be¬ trogen. Ich hatte mir Vergnuͤgen verſprochen, aber ſo viel nicht! — Wie viel haͤtt' ich zu thun, wollt' ich Ihnen nur halb mit¬ theilen, was all Intereſſantes und Schoͤnes zwiſchen uns vorfiel! — Ungeſtoͤrt blieb indeſſen die Freude nicht lange. Erichſen war zu fein, um nicht bald zu merken, wieviel die Rilliet anfing auf mich zu halten. Er hielt ſelbſt zu viel auf ſie, und war zu ehrgeizig, um nicht eiferſuͤchtig zu werden. Ich haͤtte ſeine ſchwache Seite ſchonen ſollen, aber ich kannte ſie nicht, und nachdem ich ſie kennen gelernt hatte, war es zu ſpaͤt. Er fing an kalt zu werden, fing an, ſich gern an mir zu reiben und bitter zu dispu¬ tiren. Manche Umſtaͤnde trugen dazu bei, ſeine uͤble Stimmung zu vermehren! —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/64
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/64>, abgerufen am 22.11.2024.