Widrige Winde hielten uns hier Tage lang in Dover zurück. Die Rilliet war neugierig, meine Verhältnisse mit Narbonne zu kennen, und ich erzählt' ihr alles, wie wir nach und nach ver¬ trauter zu werden anfingen. Sie unterstützte sehr den Entschluß, die Obligation an Narbonne zurückzugeben. Ich schrieb an ihn auf der Stelle, seine Obligation würde mir lieb gewesen sein, hätt' ich sie betrachten können als wie ein Geschenk, so wie es ein Freund dem andern giebt, selbst ohne vorhergegangene be¬ sondre Dienstleistung; seine Zurückgezogenheit mache daraus eine Bezahlung; ich sei aber nicht gewohnt, mit ähnlichen Handlungen zu wuchern, und sende ihm sein Papier zurück, um mich von einer Sache zu befreien, die mich nicht weniger drücke als ent¬ ehre; zu gleicher Zeit bekannt' ich mich als seinen Schuldner für die fünfzig empfangenen Louisd'or, und bedauert' es recht sehr, sie nicht gleich zurückgeben zu können. -- Heisch, an welchen ich diesen Brief sandte, mußte die Obligation beifügen, und alles an die Behörde befördern! -- --
Erichsen merkte, was geschehen war, und ob er gleich nichts sagte, so haben doch spätere Aeußerungen mir bewiesen, daß die Hintansetzung seines Raths ihn nicht wenig gekränkt hatte.
Es zeigte sich endlich ein günstiger, wiewohl sehr schwacher Wind, und wir schifften uns ein des Abends um 10 Uhr.
Es war eine trübe, halbhelle, ziemlich rauhe Novembernacht; die Rilliet befürchtete sehr, krank zu werden, und ich bewog sie daher, auf dem Verdecke zu bleiben, weil man sich da gewöhnlich besser befindet. Sie setzte sich wohl eingehüllt auf eine Art von niedrigem Stuhl. Ich gab ihr hernach noch meinen Oberrock und meinen Mantel. Ich setzte mich selbst hinter sie auf einen erhöhten Theil des Schiffes, und sie mußte Schultern und Kopf auf meine Knie legen, um das Schwanken des Schiffes weniger zu fühlen. Sie lag auf meinem Schoß wie eine ägyptische Mumie,
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Widrige Winde hielten uns hier Tage lang in Dover zuruͤck. Die Rilliet war neugierig, meine Verhaͤltniſſe mit Narbonne zu kennen, und ich erzaͤhlt’ ihr alles, wie wir nach und nach ver¬ trauter zu werden anfingen. Sie unterſtuͤtzte ſehr den Entſchluß, die Obligation an Narbonne zuruͤckzugeben. Ich ſchrieb an ihn auf der Stelle, ſeine Obligation wuͤrde mir lieb geweſen ſein, haͤtt’ ich ſie betrachten koͤnnen als wie ein Geſchenk, ſo wie es ein Freund dem andern giebt, ſelbſt ohne vorhergegangene be¬ ſondre Dienſtleiſtung; ſeine Zuruͤckgezogenheit mache daraus eine Bezahlung; ich ſei aber nicht gewohnt, mit aͤhnlichen Handlungen zu wuchern, und ſende ihm ſein Papier zuruͤck, um mich von einer Sache zu befreien, die mich nicht weniger druͤcke als ent¬ ehre; zu gleicher Zeit bekannt’ ich mich als ſeinen Schuldner fuͤr die fuͤnfzig empfangenen Louisd’or, und bedauert’ es recht ſehr, ſie nicht gleich zuruͤckgeben zu koͤnnen. — Heiſch, an welchen ich dieſen Brief ſandte, mußte die Obligation beifuͤgen, und alles an die Behoͤrde befoͤrdern! — —
Erichſen merkte, was geſchehen war, und ob er gleich nichts ſagte, ſo haben doch ſpaͤtere Aeußerungen mir bewieſen, daß die Hintanſetzung ſeines Raths ihn nicht wenig gekraͤnkt hatte.
Es zeigte ſich endlich ein guͤnſtiger, wiewohl ſehr ſchwacher Wind, und wir ſchifften uns ein des Abends um 10 Uhr.
Es war eine truͤbe, halbhelle, ziemlich rauhe Novembernacht; die Rilliet befuͤrchtete ſehr, krank zu werden, und ich bewog ſie daher, auf dem Verdecke zu bleiben, weil man ſich da gewoͤhnlich beſſer befindet. Sie ſetzte ſich wohl eingehuͤllt auf eine Art von niedrigem Stuhl. Ich gab ihr hernach noch meinen Oberrock und meinen Mantel. Ich ſetzte mich ſelbſt hinter ſie auf einen erhoͤhten Theil des Schiffes, und ſie mußte Schultern und Kopf auf meine Knie legen, um das Schwanken des Schiffes weniger zu fuͤhlen. Sie lag auf meinem Schoß wie eine aͤgyptiſche Mumie,
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Widrige Winde hielten uns hier Tage lang in Dover zuruͤck.
Die Rilliet war neugierig, meine Verhaͤltniſſe mit Narbonne zu
kennen, und ich erzaͤhlt’ ihr alles, wie wir nach und nach ver¬
trauter zu werden anfingen. Sie unterſtuͤtzte ſehr den Entſchluß,
die Obligation an Narbonne zuruͤckzugeben. Ich ſchrieb an ihn
auf der Stelle, ſeine Obligation wuͤrde mir lieb geweſen ſein,
haͤtt’ ich ſie betrachten koͤnnen als wie ein Geſchenk, ſo wie es
ein Freund dem andern giebt, ſelbſt ohne vorhergegangene be¬
ſondre Dienſtleiſtung; ſeine Zuruͤckgezogenheit mache daraus eine
Bezahlung; ich ſei aber nicht gewohnt, mit aͤhnlichen Handlungen
zu wuchern, und ſende ihm ſein Papier zuruͤck, um mich von
einer Sache zu befreien, die mich nicht weniger druͤcke als ent¬
ehre; zu gleicher Zeit bekannt’ ich mich als ſeinen Schuldner fuͤr
die fuͤnfzig empfangenen Louisd’or, und bedauert’ es recht ſehr,
ſie nicht gleich zuruͤckgeben zu koͤnnen. — Heiſch, an welchen ich
dieſen Brief ſandte, mußte die Obligation beifuͤgen, und alles
an die Behoͤrde befoͤrdern! — —
Erichſen merkte, was geſchehen war, und ob er gleich nichts
ſagte, ſo haben doch ſpaͤtere Aeußerungen mir bewieſen, daß die
Hintanſetzung ſeines Raths ihn nicht wenig gekraͤnkt hatte.
Es zeigte ſich endlich ein guͤnſtiger, wiewohl ſehr ſchwacher
Wind, und wir ſchifften uns ein des Abends um 10 Uhr.
Es war eine truͤbe, halbhelle, ziemlich rauhe Novembernacht;
die Rilliet befuͤrchtete ſehr, krank zu werden, und ich bewog ſie
daher, auf dem Verdecke zu bleiben, weil man ſich da gewoͤhnlich
beſſer befindet. Sie ſetzte ſich wohl eingehuͤllt auf eine Art von
niedrigem Stuhl. Ich gab ihr hernach noch meinen Oberrock
und meinen Mantel. Ich ſetzte mich ſelbſt hinter ſie auf einen
erhoͤhten Theil des Schiffes, und ſie mußte Schultern und Kopf
auf meine Knie legen, um das Schwanken des Schiffes weniger
zu fuͤhlen. Sie lag auf meinem Schoß wie eine aͤgyptiſche Mumie,
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/65>, abgerufen am 22.11.2024.
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