Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

aber beinahe hätte der 10. August aller Noth und aller Hoffnung
auf Einmal ein Ende gemacht. Wir hörten in der Nacht das
Läuten der Glocken, und sahn am Morgen das Gewühl des be¬
waffneten Volks. Mein Heisch mußte zur Arbeit; ich selbst ging
mit einem Freund in den Garten der Tuilerien. Wir sahen
überall viel Bewegung. Zuletzt kam der König mit seiner Familie,
umgeben von Soldaten, aus dem Schlosse, und ging zur Assem¬
blee nationale
, deren damaliger Versammlungssaal an jenen
Garten stieß. Wir fanden Mittel, uns mit hinein zu drängen.
Der König war wie einer, der nicht weiß, was mit ihm ist und
mit ihm werden soll, betäubt und kraftlos. Die Königin, voll
Hoheit und Würde, schien nur Bedauern für ihre Kinder zu
haben, nur Verachtung für die Versammlung und keine Sorge
für sich selbst! -- Man verhandelte dies und jenes, als auf
Einmal die ersten Schüsse fielen. Die ganze Versammlung verlor
den Kopf, mein Freund auch! Er rannte fort wie besessen, natür¬
lich rann ich mit, denn trotz meiner Bemühungen ließ er sich
nicht halten. Wie wir draußen waren, ging die Noth erst an;
überall Waffen und Schießen; -- wir konnten nicht vor- und
nicht rückwärts. Mein Freund rettete sich in eine kleine Hütte,
wo er in den Schornstein kroch, ich selbst entkam durch's Ge¬
tümmel!

Einige Tage nachher kam der Herr Gambs zu mir, der
Prediger an der schwedischen Kapelle. Er sprach von der Rettung
eines Unglücklichen, in großer Gefahr Schwebenden; ich errieth,
wer's sei. Er führte mich zur Gemahlin des schwedischen Ge¬
sandten, Madame de Stael. Eine hochschwangere, um ihren
Geliebten jammernde Frau wirkte stark auf meine Einbildungs¬
kraft. Sie können sich's denken, wie sehr sie jammerte, denn
ihr Geliebter seit neun Jahren, sollte eigentlich bei der Armee
sein. Er war in Paris nur auf ihr Bitten und heimlich,

aber beinahe haͤtte der 10. Auguſt aller Noth und aller Hoffnung
auf Einmal ein Ende gemacht. Wir hoͤrten in der Nacht das
Laͤuten der Glocken, und ſahn am Morgen das Gewuͤhl des be¬
waffneten Volks. Mein Heiſch mußte zur Arbeit; ich ſelbſt ging
mit einem Freund in den Garten der Tuilerien. Wir ſahen
uͤberall viel Bewegung. Zuletzt kam der Koͤnig mit ſeiner Familie,
umgeben von Soldaten, aus dem Schloſſe, und ging zur Assem¬
blée nationale
, deren damaliger Verſammlungsſaal an jenen
Garten ſtieß. Wir fanden Mittel, uns mit hinein zu draͤngen.
Der Koͤnig war wie einer, der nicht weiß, was mit ihm iſt und
mit ihm werden ſoll, betaͤubt und kraftlos. Die Koͤnigin, voll
Hoheit und Wuͤrde, ſchien nur Bedauern fuͤr ihre Kinder zu
haben, nur Verachtung fuͤr die Verſammlung und keine Sorge
fuͤr ſich ſelbſt! — Man verhandelte dies und jenes, als auf
Einmal die erſten Schuͤſſe fielen. Die ganze Verſammlung verlor
den Kopf, mein Freund auch! Er rannte fort wie beſeſſen, natuͤr¬
lich rann ich mit, denn trotz meiner Bemuͤhungen ließ er ſich
nicht halten. Wie wir draußen waren, ging die Noth erſt an;
uͤberall Waffen und Schießen; — wir konnten nicht vor- und
nicht ruͤckwaͤrts. Mein Freund rettete ſich in eine kleine Huͤtte,
wo er in den Schornſtein kroch, ich ſelbſt entkam durch's Ge¬
tuͤmmel!

Einige Tage nachher kam der Herr Gambs zu mir, der
Prediger an der ſchwediſchen Kapelle. Er ſprach von der Rettung
eines Ungluͤcklichen, in großer Gefahr Schwebenden; ich errieth,
wer’s ſei. Er fuͤhrte mich zur Gemahlin des ſchwediſchen Ge¬
ſandten, Madame de Staël. Eine hochſchwangere, um ihren
Geliebten jammernde Frau wirkte ſtark auf meine Einbildungs¬
kraft. Sie koͤnnen ſich's denken, wie ſehr ſie jammerte, denn
ihr Geliebter ſeit neun Jahren, ſollte eigentlich bei der Armee
ſein. Er war in Paris nur auf ihr Bitten und heimlich,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0050" n="36"/>
aber beinahe ha&#x0364;tte der <hi rendition="#b">10</hi>. Augu&#x017F;t aller Noth und aller Hoffnung<lb/>
auf Einmal ein Ende gemacht. Wir ho&#x0364;rten in der Nacht das<lb/>
La&#x0364;uten der Glocken, und &#x017F;ahn am Morgen das Gewu&#x0364;hl des be¬<lb/>
waffneten Volks. Mein Hei&#x017F;ch mußte zur Arbeit; ich &#x017F;elb&#x017F;t ging<lb/>
mit einem Freund in den Garten der Tuilerien. Wir &#x017F;ahen<lb/>
u&#x0364;berall viel Bewegung. Zuletzt kam der Ko&#x0364;nig mit &#x017F;einer Familie,<lb/>
umgeben von Soldaten, aus dem Schlo&#x017F;&#x017F;e, und ging zur <hi rendition="#aq">Assem¬<lb/>
blée nationale</hi>, deren damaliger Ver&#x017F;ammlungs&#x017F;aal an jenen<lb/>
Garten &#x017F;tieß. Wir fanden Mittel, uns mit hinein zu dra&#x0364;ngen.<lb/>
Der Ko&#x0364;nig war wie einer, der nicht weiß, was mit ihm i&#x017F;t und<lb/>
mit ihm werden &#x017F;oll, beta&#x0364;ubt und kraftlos. Die Ko&#x0364;nigin, voll<lb/>
Hoheit und Wu&#x0364;rde, &#x017F;chien nur Bedauern fu&#x0364;r ihre Kinder zu<lb/>
haben, nur Verachtung fu&#x0364;r die Ver&#x017F;ammlung und keine Sorge<lb/>
fu&#x0364;r &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t! &#x2014; Man verhandelte dies und jenes, als auf<lb/>
Einmal die er&#x017F;ten Schu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e fielen. Die ganze Ver&#x017F;ammlung verlor<lb/>
den Kopf, mein Freund auch! Er rannte fort wie be&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en, natu&#x0364;<lb/>
lich rann ich mit, denn trotz meiner Bemu&#x0364;hungen ließ er &#x017F;ich<lb/>
nicht halten. Wie wir draußen waren, ging die Noth er&#x017F;t an;<lb/>
u&#x0364;berall Waffen und Schießen; &#x2014; wir konnten nicht vor- und<lb/>
nicht ru&#x0364;ckwa&#x0364;rts. Mein Freund rettete &#x017F;ich in eine kleine Hu&#x0364;tte,<lb/>
wo er in den Schorn&#x017F;tein kroch, ich &#x017F;elb&#x017F;t entkam durch's Ge¬<lb/>
tu&#x0364;mmel!</p><lb/>
              <p>Einige Tage nachher kam der Herr Gambs zu mir, der<lb/>
Prediger an der &#x017F;chwedi&#x017F;chen Kapelle. Er &#x017F;prach von der Rettung<lb/>
eines Unglu&#x0364;cklichen, in großer Gefahr Schwebenden; ich errieth,<lb/>
wer&#x2019;s &#x017F;ei. Er fu&#x0364;hrte mich zur Gemahlin des &#x017F;chwedi&#x017F;chen Ge¬<lb/>
&#x017F;andten, Madame de Sta<hi rendition="#aq">ë</hi>l. Eine hoch&#x017F;chwangere, um ihren<lb/>
Geliebten jammernde Frau wirkte &#x017F;tark auf meine Einbildungs¬<lb/>
kraft. Sie ko&#x0364;nnen &#x017F;ich's denken, wie <hi rendition="#g">&#x017F;ehr</hi> &#x017F;ie jammerte, denn<lb/>
ihr Geliebter &#x017F;eit neun Jahren, &#x017F;ollte eigentlich bei der Armee<lb/>
&#x017F;ein. Er war in Paris <hi rendition="#g">nur</hi> auf ihr Bitten und <hi rendition="#g">heimlich</hi>,<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36/0050] aber beinahe haͤtte der 10. Auguſt aller Noth und aller Hoffnung auf Einmal ein Ende gemacht. Wir hoͤrten in der Nacht das Laͤuten der Glocken, und ſahn am Morgen das Gewuͤhl des be¬ waffneten Volks. Mein Heiſch mußte zur Arbeit; ich ſelbſt ging mit einem Freund in den Garten der Tuilerien. Wir ſahen uͤberall viel Bewegung. Zuletzt kam der Koͤnig mit ſeiner Familie, umgeben von Soldaten, aus dem Schloſſe, und ging zur Assem¬ blée nationale, deren damaliger Verſammlungsſaal an jenen Garten ſtieß. Wir fanden Mittel, uns mit hinein zu draͤngen. Der Koͤnig war wie einer, der nicht weiß, was mit ihm iſt und mit ihm werden ſoll, betaͤubt und kraftlos. Die Koͤnigin, voll Hoheit und Wuͤrde, ſchien nur Bedauern fuͤr ihre Kinder zu haben, nur Verachtung fuͤr die Verſammlung und keine Sorge fuͤr ſich ſelbſt! — Man verhandelte dies und jenes, als auf Einmal die erſten Schuͤſſe fielen. Die ganze Verſammlung verlor den Kopf, mein Freund auch! Er rannte fort wie beſeſſen, natuͤr¬ lich rann ich mit, denn trotz meiner Bemuͤhungen ließ er ſich nicht halten. Wie wir draußen waren, ging die Noth erſt an; uͤberall Waffen und Schießen; — wir konnten nicht vor- und nicht ruͤckwaͤrts. Mein Freund rettete ſich in eine kleine Huͤtte, wo er in den Schornſtein kroch, ich ſelbſt entkam durch's Ge¬ tuͤmmel! Einige Tage nachher kam der Herr Gambs zu mir, der Prediger an der ſchwediſchen Kapelle. Er ſprach von der Rettung eines Ungluͤcklichen, in großer Gefahr Schwebenden; ich errieth, wer’s ſei. Er fuͤhrte mich zur Gemahlin des ſchwediſchen Ge¬ ſandten, Madame de Staël. Eine hochſchwangere, um ihren Geliebten jammernde Frau wirkte ſtark auf meine Einbildungs¬ kraft. Sie koͤnnen ſich's denken, wie ſehr ſie jammerte, denn ihr Geliebter ſeit neun Jahren, ſollte eigentlich bei der Armee ſein. Er war in Paris nur auf ihr Bitten und heimlich,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/50
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/50>, abgerufen am 22.11.2024.