Wunder der Tapferkeit, alle Werke des Genie's, alle Hingebungen des Heldenmuths, kurz, alles, was man Großes in der Welt thut, auf das Kauen zurückführte. Ihm zufolge hatte alles dieses keinen andern Endzweck, noch anderes Ergebniß, als etwas unter die Zähne zu schaffen. Er predigte diese Lehre mit einem ausdruck¬ vollen Gestus, und mit einer sehr mahlerischen Bewe¬ gung der Kinnlade; und wenn man von einem schönen Gedicht, von einer großen That, von einer Verordnung sprach, alles das, sagte er, von dem Marschall von Frankreich an, bis zum Schuhflicker, und von Voltaire bis zu Chabanes oder Chebanon, geschieht unbezweifel¬ bar um etwas in den Mund zu stecken zu haben, und die Gesetze des Kauens zu erfüllen. Eines Tages, im Gespräch, sagte er, mein Oheim der Musiker ist ein großer Mann, aber mein Vater der Geiger war ein noch viel größerer Mann als er; ihr mögt urtheilen! Der wußte unter die Zähne zu bringen! Ich lebte in dem väterlichen Hause mit vieler Sorglosigkeit, denn ich war immer sehr wenig neugierig die Zukunft auszu¬ lauern; ich war über volle zweiundzwanzig Jahr alt, als mein Vater zu mir ins Zimmer trat, und so redete: Wie lange willst du noch so leben, in Faulheit und Nichtsthun? es sind zwei Jahre, daß ich auf deine Ar¬ beiten warte; weißt du, daß ich zu zwanzig Jahren gehangen war, und einen Stand hatte? -- Da ich sehr muntrer Laune war, so antwortete ich meinem Vater:
Wunder der Tapferkeit, alle Werke des Genie’s, alle Hingebungen des Heldenmuths, kurz, alles, was man Großes in der Welt thut, auf das Kauen zuruͤckfuͤhrte. Ihm zufolge hatte alles dieſes keinen andern Endzweck, noch anderes Ergebniß, als etwas unter die Zaͤhne zu ſchaffen. Er predigte dieſe Lehre mit einem ausdruck¬ vollen Geſtus, und mit einer ſehr mahleriſchen Bewe¬ gung der Kinnlade; und wenn man von einem ſchoͤnen Gedicht, von einer großen That, von einer Verordnung ſprach, alles das, ſagte er, von dem Marſchall von Frankreich an, bis zum Schuhflicker, und von Voltaire bis zu Chabanes oder Chebanon, geſchieht unbezweifel¬ bar um etwas in den Mund zu ſtecken zu haben, und die Geſetze des Kauens zu erfuͤllen. Eines Tages, im Geſpraͤch, ſagte er, mein Oheim der Muſiker iſt ein großer Mann, aber mein Vater der Geiger war ein noch viel groͤßerer Mann als er; ihr moͤgt urtheilen! Der wußte unter die Zaͤhne zu bringen! Ich lebte in dem vaͤterlichen Hauſe mit vieler Sorgloſigkeit, denn ich war immer ſehr wenig neugierig die Zukunft auszu¬ lauern; ich war uͤber volle zweiundzwanzig Jahr alt, als mein Vater zu mir ins Zimmer trat, und ſo redete: Wie lange willſt du noch ſo leben, in Faulheit und Nichtsthun? es ſind zwei Jahre, daß ich auf deine Ar¬ beiten warte; weißt du, daß ich zu zwanzig Jahren gehangen war, und einen Stand hatte? — Da ich ſehr muntrer Laune war, ſo antwortete ich meinem Vater:
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Wunder der Tapferkeit, alle Werke des Genie’s, alle
Hingebungen des Heldenmuths, kurz, alles, was man
Großes in der Welt thut, auf das Kauen zuruͤckfuͤhrte.
Ihm zufolge hatte alles dieſes keinen andern Endzweck,
noch anderes Ergebniß, als etwas unter die Zaͤhne zu
ſchaffen. Er predigte dieſe Lehre mit einem ausdruck¬
vollen Geſtus, und mit einer ſehr mahleriſchen Bewe¬
gung der Kinnlade; und wenn man von einem ſchoͤnen
Gedicht, von einer großen That, von einer Verordnung
ſprach, alles das, ſagte er, von dem Marſchall von
Frankreich an, bis zum Schuhflicker, und von Voltaire
bis zu Chabanes oder Chebanon, geſchieht unbezweifel¬
bar um etwas in den Mund zu ſtecken zu haben, und
die Geſetze des Kauens zu erfuͤllen. Eines Tages, im
Geſpraͤch, ſagte er, mein Oheim der Muſiker iſt ein
großer Mann, aber mein Vater der Geiger war ein
noch viel groͤßerer Mann als er; ihr moͤgt urtheilen!
Der wußte unter die Zaͤhne zu bringen! Ich lebte in
dem vaͤterlichen Hauſe mit vieler Sorgloſigkeit, denn ich
war immer ſehr wenig neugierig die Zukunft auszu¬
lauern; ich war uͤber volle zweiundzwanzig Jahr alt,
als mein Vater zu mir ins Zimmer trat, und ſo redete:
Wie lange willſt du noch ſo leben, in Faulheit und
Nichtsthun? es ſind zwei Jahre, daß ich auf deine Ar¬
beiten warte; weißt du, daß ich zu zwanzig Jahren
gehangen war, und einen Stand hatte? — Da ich ſehr
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/450>, abgerufen am 25.11.2024.
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