Besten, und Rameau nahm nicht übel, daß ich über ihn gescherzt hatte, weil er sich ziemlich gut getroffen fand. Dieser Mensch, geliebt von einigen unter denen, die ihn gekannt hatten, starb in einer geistlichen Anstalt, wo ihn seine Familie untergebracht hatte, nach vierjäh¬ riger Zurückgezogenheit, die ihm lieb geworden war, und nachdem er das Herz aller derer gewonnen hatte, die anfangs nur seine Aufseher gewesen waren. Ich halte hier mit Vergnügen seine kleine Leichenrede, weil ich noch an dem Bilde hänge, das er mir von sich ge¬ lassen hat." -- So spricht Cazotte, und welcher Leser dieser Schilderung sieht nicht mit gerührter Theilnahme den grausamen Scherz, den sich die Natur in dieser sonderbaren Mischung von einander widersprechenden Gaben gemacht zu haben scheint? Dieser Rameau mit seinem einzigen Talent für Musik und mit seiner lie¬ benswürdigen Gutmüthigkeit muß sich mit seinem hä߬ lichen Gesicht, seiner Lächerlichkeit und Unbehülflichkeit in einem widrigen Leben verbrauchen, und niemand hat gehört, wenn sein Inneres aufgeseufzt hat! Hören wir nun auch den wohlmeinenden Mercier, der weniger in¬ nig ist als Cazotte, aber doch auch freier sieht, als die meisten seiner Landsleute. Die Stelle ist aus dem zwölf¬ ten Bande des Tableau de Paris und lautet wie folgt:
"Ich habe Rameau's Neffen gekannt der halb Abbe war, halb Laye, in den Kaffehäusern lebte, und alle
28 *
Beſten, und Rameau nahm nicht uͤbel, daß ich uͤber ihn geſcherzt hatte, weil er ſich ziemlich gut getroffen fand. Dieſer Menſch, geliebt von einigen unter denen, die ihn gekannt hatten, ſtarb in einer geiſtlichen Anſtalt, wo ihn ſeine Familie untergebracht hatte, nach vierjaͤh¬ riger Zuruͤckgezogenheit, die ihm lieb geworden war, und nachdem er das Herz aller derer gewonnen hatte, die anfangs nur ſeine Aufſeher geweſen waren. Ich halte hier mit Vergnuͤgen ſeine kleine Leichenrede, weil ich noch an dem Bilde haͤnge, das er mir von ſich ge¬ laſſen hat.“ — So ſpricht Cazotte, und welcher Leſer dieſer Schilderung ſieht nicht mit geruͤhrter Theilnahme den grauſamen Scherz, den ſich die Natur in dieſer ſonderbaren Miſchung von einander widerſprechenden Gaben gemacht zu haben ſcheint? Dieſer Rameau mit ſeinem einzigen Talent fuͤr Muſik und mit ſeiner lie¬ benswuͤrdigen Gutmuͤthigkeit muß ſich mit ſeinem haͤ߬ lichen Geſicht, ſeiner Laͤcherlichkeit und Unbehuͤlflichkeit in einem widrigen Leben verbrauchen, und niemand hat gehoͤrt, wenn ſein Inneres aufgeſeufzt hat! Hoͤren wir nun auch den wohlmeinenden Mercier, der weniger in¬ nig iſt als Cazotte, aber doch auch freier ſieht, als die meiſten ſeiner Landsleute. Die Stelle iſt aus dem zwoͤlf¬ ten Bande des Tableau de Paris und lautet wie folgt:
„Ich habe Rameau's Neffen gekannt der halb Abbé war, halb Laye, in den Kaffehaͤuſern lebte, und alle
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Beſten, und Rameau nahm nicht uͤbel, daß ich uͤber
ihn geſcherzt hatte, weil er ſich ziemlich gut getroffen
fand. Dieſer Menſch, geliebt von einigen unter denen,
die ihn gekannt hatten, ſtarb in einer geiſtlichen Anſtalt,
wo ihn ſeine Familie untergebracht hatte, nach vierjaͤh¬
riger Zuruͤckgezogenheit, die ihm lieb geworden war,
und nachdem er das Herz aller derer gewonnen hatte,
die anfangs nur ſeine Aufſeher geweſen waren. Ich
halte hier mit Vergnuͤgen ſeine kleine Leichenrede, weil
ich noch an dem Bilde haͤnge, das er mir von ſich ge¬
laſſen hat.“ — So ſpricht Cazotte, und welcher Leſer
dieſer Schilderung ſieht nicht mit geruͤhrter Theilnahme
den grauſamen Scherz, den ſich die Natur in dieſer
ſonderbaren Miſchung von einander widerſprechenden
Gaben gemacht zu haben ſcheint? Dieſer Rameau mit
ſeinem einzigen Talent fuͤr Muſik und mit ſeiner lie¬
benswuͤrdigen Gutmuͤthigkeit muß ſich mit ſeinem haͤ߬
lichen Geſicht, ſeiner Laͤcherlichkeit und Unbehuͤlflichkeit
in einem widrigen Leben verbrauchen, und niemand hat
gehoͤrt, wenn ſein Inneres aufgeſeufzt hat! Hoͤren wir
nun auch den wohlmeinenden Mercier, der weniger in¬
nig iſt als Cazotte, aber doch auch freier ſieht, als die
meiſten ſeiner Landsleute. Die Stelle iſt aus dem zwoͤlf¬
ten Bande des Tableau de Paris und lautet wie
folgt:
„Ich habe Rameau's Neffen gekannt der halb Abbé
war, halb Laye, in den Kaffehaͤuſern lebte, und alle
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/449>, abgerufen am 22.11.2024.
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