bei einem unerschöpflichen Fonds von Heiterkeit und Laune, bei einem Geist, der unablässig durchblitzt in allem, was er sagt und thut, hat er diese gänzliche Verläugnung seiner selbst, diese anspruchslose Hingebung an die Umgebenden, welche gewöhnlich nur bei dem reinen Bewußtsein innern Werths stattfindet, und diese altritterliche Offenheit, welche in unsern Tagen so selten, und in der großen Welt ein Wunder ist. Dies vorausgesetzt, werden Sie eben nicht unnatürlich finden, daß die Frau von Stael ihren Freund Narbonne lieb hat, und um so weniger, wenn ich Ihnen sage, daß diese Frau von Stael -- nicht ver¬ heirathet, sondern gekuppelt ist an einen Mann, der nicht ein¬ mal die Zubereitung eines Kartoffelgerichts, und also noch viel weniger das Pulver erfunden haben würde. Sie werden ferner nicht unnatürlich finden, daß Narbonne, bei einer hinlänglichen Anzahl von Scheingeschäften, um seine Vernunft mit seinem Her¬ zen einstimmig zu machen, die Armee verlassen hatte, um nach Paris zu kommen und seine Freundin zu sehn. Wenn Sie sich nun erinnern, daß die Jakobiner Todfeinde von Lafayette, von Narbonne und von allen wackern Leuten sind, die ihnen anhän¬ gen, wenn Sie sich erinnern, daß der 10. August die unum¬ schränkteste Gewalt in die Hände dieser Horde von Bösewichtern gegeben hatte, und wenn ich Ihnen zu dem allen noch sage, daß Narbonne, dessen Gegenwart in Paris man wußte, der erste auf der Liste der Schlachtopfer war, deren ihr Blutdurst habhaft zu werden suchte --: so werden Sie sich ungefähr eine Vorstellung von der Angst machen können, worin ich die Frau von Stael antraf, als ich den 14. August morgens in ihr Zimmer trat. Narbonne war bei ihr; man sah mich bald als das einzige Mittel an, ihn zu retten. -- Eine Menge von Motiven, wozu jedoch die Schönheit der Frau von Stael nicht gerechnet werden kann, zu meiner nicht geringen Beruhigung, -- denn sie ist häßlich --
bei einem unerſchoͤpflichen Fonds von Heiterkeit und Laune, bei einem Geiſt, der unablaͤſſig durchblitzt in allem, was er ſagt und thut, hat er dieſe gaͤnzliche Verlaͤugnung ſeiner ſelbſt, dieſe anſpruchsloſe Hingebung an die Umgebenden, welche gewoͤhnlich nur bei dem reinen Bewußtſein innern Werths ſtattfindet, und dieſe altritterliche Offenheit, welche in unſern Tagen ſo ſelten, und in der großen Welt ein Wunder iſt. Dies vorausgeſetzt, werden Sie eben nicht unnatuͤrlich finden, daß die Frau von Staël ihren Freund Narbonne lieb hat, und um ſo weniger, wenn ich Ihnen ſage, daß dieſe Frau von Staël — nicht ver¬ heirathet, ſondern gekuppelt iſt an einen Mann, der nicht ein¬ mal die Zubereitung eines Kartoffelgerichts, und alſo noch viel weniger das Pulver erfunden haben wuͤrde. Sie werden ferner nicht unnatuͤrlich finden, daß Narbonne, bei einer hinlaͤnglichen Anzahl von Scheingeſchaͤften, um ſeine Vernunft mit ſeinem Her¬ zen einſtimmig zu machen, die Armee verlaſſen hatte, um nach Paris zu kommen und ſeine Freundin zu ſehn. Wenn Sie ſich nun erinnern, daß die Jakobiner Todfeinde von Lafayette, von Narbonne und von allen wackern Leuten ſind, die ihnen anhaͤn¬ gen, wenn Sie ſich erinnern, daß der 10. Auguſt die unum¬ ſchraͤnkteſte Gewalt in die Haͤnde dieſer Horde von Boͤſewichtern gegeben hatte, und wenn ich Ihnen zu dem allen noch ſage, daß Narbonne, deſſen Gegenwart in Paris man wußte, der erſte auf der Liſte der Schlachtopfer war, deren ihr Blutdurſt habhaft zu werden ſuchte —: ſo werden Sie ſich ungefaͤhr eine Vorſtellung von der Angſt machen koͤnnen, worin ich die Frau von Staël antraf, als ich den 14. Auguſt morgens in ihr Zimmer trat. Narbonne war bei ihr; man ſah mich bald als das einzige Mittel an, ihn zu retten. — Eine Menge von Motiven, wozu jedoch die Schoͤnheit der Frau von Staël nicht gerechnet werden kann, zu meiner nicht geringen Beruhigung, — denn ſie iſt haͤßlich —
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bei einem unerſchoͤpflichen Fonds von Heiterkeit und Laune, bei
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und thut, hat er dieſe gaͤnzliche Verlaͤugnung ſeiner ſelbſt, dieſe
anſpruchsloſe Hingebung an die Umgebenden, welche gewoͤhnlich
nur bei dem reinen Bewußtſein innern Werths ſtattfindet, und
dieſe altritterliche Offenheit, welche in unſern Tagen ſo ſelten,
und in der großen Welt ein Wunder iſt. Dies vorausgeſetzt,
werden Sie eben nicht unnatuͤrlich finden, daß die Frau von
Staël ihren Freund Narbonne lieb hat, und um ſo weniger,
wenn ich Ihnen ſage, daß dieſe Frau von Staël — nicht ver¬
heirathet, ſondern gekuppelt iſt an einen Mann, der nicht ein¬
mal die Zubereitung eines Kartoffelgerichts, und alſo noch viel
weniger das Pulver erfunden haben wuͤrde. Sie werden ferner
nicht unnatuͤrlich finden, daß Narbonne, bei einer hinlaͤnglichen
Anzahl von Scheingeſchaͤften, um ſeine Vernunft mit ſeinem Her¬
zen einſtimmig zu machen, die Armee verlaſſen hatte, um nach
Paris zu kommen und ſeine Freundin zu ſehn. Wenn Sie ſich
nun erinnern, daß die Jakobiner Todfeinde von Lafayette, von
Narbonne und von allen wackern Leuten ſind, die ihnen anhaͤn¬
gen, wenn Sie ſich erinnern, daß der 10. Auguſt die unum¬
ſchraͤnkteſte Gewalt in die Haͤnde dieſer Horde von Boͤſewichtern
gegeben hatte, und wenn ich Ihnen zu dem allen noch ſage, daß
Narbonne, deſſen Gegenwart in Paris man wußte, der erſte auf
der Liſte der Schlachtopfer war, deren ihr Blutdurſt habhaft zu
werden ſuchte —: ſo werden Sie ſich ungefaͤhr eine Vorſtellung
von der Angſt machen koͤnnen, worin ich die Frau von Staël
antraf, als ich den 14. Auguſt morgens in ihr Zimmer trat.
Narbonne war bei ihr; man ſah mich bald als das einzige Mittel
an, ihn zu retten. — Eine Menge von Motiven, wozu jedoch
die Schoͤnheit der Frau von Staël nicht gerechnet werden kann,
zu meiner nicht geringen Beruhigung, — denn ſie iſt haͤßlich —
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/40>, abgerufen am 24.11.2024.
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