Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

verschiedenenmalen selbst auf den Hacken, vorzüglich am 10. Au¬
gust, wo mir eine Pike aufgedrungen und ich fortgerissen wurde
mitten in's Gefecht! -- Ich faßte den Entschluß, ihr das Feld
zu lassen und mich ehrerbietig zurückzuziehen! -- Aber wie und
wohin? meine erschlagenen Ritter nahmen zum Theil ihre Schul¬
den an mich in's zweite Dasein mit hinüber, und Billets de
confiance
, auf jene Welt ausgestellt, konnten mir in einem
Lande nichts helfen, wo man an jene Welt nicht mehr glaubt!
-- Haben Sie keine Sorge für mich, liebe Frau Base! Unkraut
verdirbt nicht; und Sie werden bald sehen, daß ich, der Mord¬
sucht eine Beute entwendend, worauf sie am meisten gelüstig war,
mich königlich aus der Affaire zog.

Unter den verschiedenen in Paris gemachten Bekanntschaften
war auch die der Frau von Stael, die Gemahlin des schwedischen
Gesandten, die Tochter Neckers, die Verfasserin der Briefe über
Rousseau, die sie in ihrem siebzehnten Jahre schrieb. Sie haben
wahrscheinlich jene Briefe gelesen, und folglich haben Sie eine
Idee vom Geist und von den überwiegenden Fähigkeiten dieser
Frau; aber von ihrem Herzen würd' ich mich umsonst bemühen,
Ihnen einen würdigen Begriff zu machen; denn wenn ich Ihnen
auch erzählte, wie rastlos thätig sie in den Tagen der Bedräng¬
niß für ihre Freunde war, wie sie sich selbst aussetzte, wie sie
die äußersten Schritte wagte, auch da, wo durchaus nur das
reinste freundschaftliche Interesse, nur der Wunsch Gutes zu thun,
sie leiten konnte -- wenn ich Ihnen das alles erzählte, Sie wür¬
den einen Roman, aber keine historische Wahrheit zu lesen glau¬
ben; und folglich verfehlt' ich immer meinen Zweck. Die Frau
von Stael hat einen Freund, und dieser Freund ist Narbonne,
ehemaliger Kriegsminister, und dieser Narbonne ist einer der
liebenswürdigsten Männer, die ich jemals gesehen habe. Bei einer
sehr weitausgebreiteten Menschen-, Welt- und Literaturkenntniß,

verſchiedenenmalen ſelbſt auf den Hacken, vorzuͤglich am 10. Au¬
guſt, wo mir eine Pike aufgedrungen und ich fortgeriſſen wurde
mitten in's Gefecht! — Ich faßte den Entſchluß, ihr das Feld
zu laſſen und mich ehrerbietig zuruͤckzuziehen! — Aber wie und
wohin? meine erſchlagenen Ritter nahmen zum Theil ihre Schul¬
den an mich in's zweite Daſein mit hinuͤber, und Billets de
confiance
, auf jene Welt ausgeſtellt, konnten mir in einem
Lande nichts helfen, wo man an jene Welt nicht mehr glaubt!
— Haben Sie keine Sorge fuͤr mich, liebe Frau Baſe! Unkraut
verdirbt nicht; und Sie werden bald ſehen, daß ich, der Mord¬
ſucht eine Beute entwendend, worauf ſie am meiſten geluͤſtig war,
mich koͤniglich aus der Affaire zog.

Unter den verſchiedenen in Paris gemachten Bekanntſchaften
war auch die der Frau von Staël, die Gemahlin des ſchwediſchen
Geſandten, die Tochter Neckers, die Verfaſſerin der Briefe uͤber
Rouſſeau, die ſie in ihrem ſiebzehnten Jahre ſchrieb. Sie haben
wahrſcheinlich jene Briefe geleſen, und folglich haben Sie eine
Idee vom Geiſt und von den uͤberwiegenden Faͤhigkeiten dieſer
Frau; aber von ihrem Herzen wuͤrd' ich mich umſonſt bemuͤhen,
Ihnen einen wuͤrdigen Begriff zu machen; denn wenn ich Ihnen
auch erzaͤhlte, wie raſtlos thaͤtig ſie in den Tagen der Bedraͤng¬
niß fuͤr ihre Freunde war, wie ſie ſich ſelbſt ausſetzte, wie ſie
die aͤußerſten Schritte wagte, auch da, wo durchaus nur das
reinſte freundſchaftliche Intereſſe, nur der Wunſch Gutes zu thun,
ſie leiten konnte — wenn ich Ihnen das alles erzaͤhlte, Sie wuͤr¬
den einen Roman, aber keine hiſtoriſche Wahrheit zu leſen glau¬
ben; und folglich verfehlt' ich immer meinen Zweck. Die Frau
von Staël hat einen Freund, und dieſer Freund iſt Narbonne,
ehemaliger Kriegsminiſter, und dieſer Narbonne iſt einer der
liebenswuͤrdigſten Maͤnner, die ich jemals geſehen habe. Bei einer
ſehr weitausgebreiteten Menſchen-, Welt- und Literaturkenntniß,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0039" n="25"/>
ver&#x017F;chiedenenmalen &#x017F;elb&#x017F;t auf den Hacken, vorzu&#x0364;glich am <hi rendition="#b">10</hi>. Au¬<lb/>
gu&#x017F;t, wo mir eine Pike aufgedrungen und ich fortgeri&#x017F;&#x017F;en wurde<lb/>
mitten in's Gefecht! &#x2014; Ich faßte den Ent&#x017F;chluß, ihr das Feld<lb/>
zu la&#x017F;&#x017F;en und mich ehrerbietig zuru&#x0364;ckzuziehen! &#x2014; Aber wie und<lb/>
wohin? meine er&#x017F;chlagenen Ritter nahmen zum Theil ihre Schul¬<lb/>
den an mich in's zweite Da&#x017F;ein mit hinu&#x0364;ber, und <hi rendition="#aq">Billets de<lb/>
confiance</hi>, auf jene Welt ausge&#x017F;tellt, konnten mir in einem<lb/>
Lande nichts helfen, wo man an jene Welt nicht mehr glaubt!<lb/>
&#x2014; Haben Sie keine Sorge fu&#x0364;r mich, liebe Frau Ba&#x017F;e! Unkraut<lb/>
verdirbt nicht; und Sie werden bald &#x017F;ehen, daß ich, der Mord¬<lb/>
&#x017F;ucht eine Beute entwendend, worauf &#x017F;ie am mei&#x017F;ten gelu&#x0364;&#x017F;tig war,<lb/>
mich ko&#x0364;niglich aus der Affaire zog.</p><lb/>
              <p>Unter den ver&#x017F;chiedenen in Paris gemachten Bekannt&#x017F;chaften<lb/>
war auch die der Frau von Sta<hi rendition="#aq">ë</hi>l, die Gemahlin des &#x017F;chwedi&#x017F;chen<lb/>
Ge&#x017F;andten, die Tochter Neckers, die Verfa&#x017F;&#x017F;erin der Briefe u&#x0364;ber<lb/>
Rou&#x017F;&#x017F;eau, die &#x017F;ie in ihrem &#x017F;iebzehnten Jahre &#x017F;chrieb. Sie haben<lb/>
wahr&#x017F;cheinlich jene Briefe gele&#x017F;en, und folglich haben Sie eine<lb/>
Idee vom Gei&#x017F;t und von den u&#x0364;berwiegenden Fa&#x0364;higkeiten die&#x017F;er<lb/>
Frau; aber von ihrem Herzen wu&#x0364;rd' ich mich um&#x017F;on&#x017F;t bemu&#x0364;hen,<lb/>
Ihnen einen wu&#x0364;rdigen Begriff zu machen; denn wenn ich Ihnen<lb/>
auch erza&#x0364;hlte, wie ra&#x017F;tlos tha&#x0364;tig &#x017F;ie in den Tagen der Bedra&#x0364;ng¬<lb/>
niß fu&#x0364;r ihre Freunde war, wie &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t aus&#x017F;etzte, wie &#x017F;ie<lb/>
die a&#x0364;ußer&#x017F;ten Schritte wagte, auch da, wo durchaus nur das<lb/>
rein&#x017F;te freund&#x017F;chaftliche Intere&#x017F;&#x017F;e, nur der Wun&#x017F;ch Gutes zu thun,<lb/>
&#x017F;ie leiten konnte &#x2014; wenn ich Ihnen das alles erza&#x0364;hlte, Sie wu&#x0364;<lb/>
den einen Roman, aber keine hi&#x017F;tori&#x017F;che Wahrheit zu le&#x017F;en glau¬<lb/>
ben; und folglich verfehlt' ich immer meinen Zweck. Die Frau<lb/>
von Sta<hi rendition="#aq">ë</hi>l hat einen Freund, und die&#x017F;er Freund i&#x017F;t Narbonne,<lb/>
ehemaliger Kriegsmini&#x017F;ter, und die&#x017F;er Narbonne i&#x017F;t einer der<lb/>
liebenswu&#x0364;rdig&#x017F;ten Ma&#x0364;nner, die ich jemals ge&#x017F;ehen habe. Bei einer<lb/>
&#x017F;ehr weitausgebreiteten Men&#x017F;chen-, Welt- und Literaturkenntniß,<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[25/0039] verſchiedenenmalen ſelbſt auf den Hacken, vorzuͤglich am 10. Au¬ guſt, wo mir eine Pike aufgedrungen und ich fortgeriſſen wurde mitten in's Gefecht! — Ich faßte den Entſchluß, ihr das Feld zu laſſen und mich ehrerbietig zuruͤckzuziehen! — Aber wie und wohin? meine erſchlagenen Ritter nahmen zum Theil ihre Schul¬ den an mich in's zweite Daſein mit hinuͤber, und Billets de confiance, auf jene Welt ausgeſtellt, konnten mir in einem Lande nichts helfen, wo man an jene Welt nicht mehr glaubt! — Haben Sie keine Sorge fuͤr mich, liebe Frau Baſe! Unkraut verdirbt nicht; und Sie werden bald ſehen, daß ich, der Mord¬ ſucht eine Beute entwendend, worauf ſie am meiſten geluͤſtig war, mich koͤniglich aus der Affaire zog. Unter den verſchiedenen in Paris gemachten Bekanntſchaften war auch die der Frau von Staël, die Gemahlin des ſchwediſchen Geſandten, die Tochter Neckers, die Verfaſſerin der Briefe uͤber Rouſſeau, die ſie in ihrem ſiebzehnten Jahre ſchrieb. Sie haben wahrſcheinlich jene Briefe geleſen, und folglich haben Sie eine Idee vom Geiſt und von den uͤberwiegenden Faͤhigkeiten dieſer Frau; aber von ihrem Herzen wuͤrd' ich mich umſonſt bemuͤhen, Ihnen einen wuͤrdigen Begriff zu machen; denn wenn ich Ihnen auch erzaͤhlte, wie raſtlos thaͤtig ſie in den Tagen der Bedraͤng¬ niß fuͤr ihre Freunde war, wie ſie ſich ſelbſt ausſetzte, wie ſie die aͤußerſten Schritte wagte, auch da, wo durchaus nur das reinſte freundſchaftliche Intereſſe, nur der Wunſch Gutes zu thun, ſie leiten konnte — wenn ich Ihnen das alles erzaͤhlte, Sie wuͤr¬ den einen Roman, aber keine hiſtoriſche Wahrheit zu leſen glau¬ ben; und folglich verfehlt' ich immer meinen Zweck. Die Frau von Staël hat einen Freund, und dieſer Freund iſt Narbonne, ehemaliger Kriegsminiſter, und dieſer Narbonne iſt einer der liebenswuͤrdigſten Maͤnner, die ich jemals geſehen habe. Bei einer ſehr weitausgebreiteten Menſchen-, Welt- und Literaturkenntniß,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/39
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/39>, abgerufen am 24.11.2024.