schon zu einem unangenehmen Geschäft machte, hatte auf mein ganzes Leben großen Einfluß. Da ich sehr ungern schrieb, so strebte ich nach möglichster Kürze, und meine Freunde, welche den Gang meiner Ideen kannten, fanden diese Kürze selten dunkel, aber um so mehr ward ich es für Andere. Ferner hatte ich den Styl nur in meinen Gedanken, aber nicht in meiner Feder, und viele zur Sprachrichtigkeit gehörige Kennt¬ nisse, die eine frühe Uebung im Styl ausüben lernt, ohne daß man sie deutlich denkt, dachte ich mir sehr deutlich, ohne sie in Ausübung zu bringen. Diese Kargheit im Schreiben war Ursache, daß ich in einigen meiner Schriften mehr einen kurzen Inhalt von dem, was ich dachte, als das Gedachte selbst lieferte, und daß ich selten einen Grund angab, warum ich diese oder jene Ansicht der Sache nicht billigte, sondern nur die wahre darstellte. Ohne Freundschaft und Liebe hätte ich wahrscheinlich das Schreiben verlernt. Der in mir geweckte Hang zur romanhaften Liebe hatte durch meine philosophischen Untersuchungen über die Liebe selbst eine eigene Wendung genommen. Ich hielt es zu meiner gänzlichen Unabhängigkeit für nothwendig, eine Geliebte zu haben. Meinen Geschlechtstrieb hatte ich mir unter¬ worfen, und ich suchte blos freundschaftliche Liebe, bis meine äußere Lage es mir gestatten würde, Vater von Kindern zu sein; aber ich wußte durch meine ältern Freunde, daß dieser Trieb noch stärker in mir erwachen
ſchon zu einem unangenehmen Geſchaͤft machte, hatte auf mein ganzes Leben großen Einfluß. Da ich ſehr ungern ſchrieb, ſo ſtrebte ich nach moͤglichſter Kuͤrze, und meine Freunde, welche den Gang meiner Ideen kannten, fanden dieſe Kuͤrze ſelten dunkel, aber um ſo mehr ward ich es fuͤr Andere. Ferner hatte ich den Styl nur in meinen Gedanken, aber nicht in meiner Feder, und viele zur Sprachrichtigkeit gehoͤrige Kennt¬ niſſe, die eine fruͤhe Uebung im Styl ausuͤben lernt, ohne daß man ſie deutlich denkt, dachte ich mir ſehr deutlich, ohne ſie in Ausuͤbung zu bringen. Dieſe Kargheit im Schreiben war Urſache, daß ich in einigen meiner Schriften mehr einen kurzen Inhalt von dem, was ich dachte, als das Gedachte ſelbſt lieferte, und daß ich ſelten einen Grund angab, warum ich dieſe oder jene Anſicht der Sache nicht billigte, ſondern nur die wahre darſtellte. Ohne Freundſchaft und Liebe haͤtte ich wahrſcheinlich das Schreiben verlernt. Der in mir geweckte Hang zur romanhaften Liebe hatte durch meine philoſophiſchen Unterſuchungen uͤber die Liebe ſelbſt eine eigene Wendung genommen. Ich hielt es zu meiner gaͤnzlichen Unabhaͤngigkeit fuͤr nothwendig, eine Geliebte zu haben. Meinen Geſchlechtstrieb hatte ich mir unter¬ worfen, und ich ſuchte blos freundſchaftliche Liebe, bis meine aͤußere Lage es mir geſtatten wuͤrde, Vater von Kindern zu ſein; aber ich wußte durch meine aͤltern Freunde, daß dieſer Trieb noch ſtaͤrker in mir erwachen
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ſchon zu einem unangenehmen Geſchaͤft machte, hatte
auf mein ganzes Leben großen Einfluß. Da ich ſehr
ungern ſchrieb, ſo ſtrebte ich nach moͤglichſter Kuͤrze,
und meine Freunde, welche den Gang meiner Ideen
kannten, fanden dieſe Kuͤrze ſelten dunkel, aber um ſo
mehr ward ich es fuͤr Andere. Ferner hatte ich den
Styl nur in meinen Gedanken, aber nicht in meiner
Feder, und viele zur Sprachrichtigkeit gehoͤrige Kennt¬
niſſe, die eine fruͤhe Uebung im Styl ausuͤben lernt,
ohne daß man ſie deutlich denkt, dachte ich mir ſehr
deutlich, ohne ſie in Ausuͤbung zu bringen. Dieſe
Kargheit im Schreiben war Urſache, daß ich in einigen
meiner Schriften mehr einen kurzen Inhalt von dem,
was ich dachte, als das Gedachte ſelbſt lieferte, und
daß ich ſelten einen Grund angab, warum ich dieſe
oder jene Anſicht der Sache nicht billigte, ſondern nur
die wahre darſtellte. Ohne Freundſchaft und Liebe haͤtte
ich wahrſcheinlich das Schreiben verlernt. Der in mir
geweckte Hang zur romanhaften Liebe hatte durch meine
philoſophiſchen Unterſuchungen uͤber die Liebe ſelbſt eine
eigene Wendung genommen. Ich hielt es zu meiner
gaͤnzlichen Unabhaͤngigkeit fuͤr nothwendig, eine Geliebte
zu haben. Meinen Geſchlechtstrieb hatte ich mir unter¬
worfen, und ich ſuchte blos freundſchaftliche Liebe, bis
meine aͤußere Lage es mir geſtatten wuͤrde, Vater von
Kindern zu ſein; aber ich wußte durch meine aͤltern
Freunde, daß dieſer Trieb noch ſtaͤrker in mir erwachen
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/256>, abgerufen am 24.11.2024.
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