geirrt zu haben. Wie sehr ihn die thörichte Lebensart drückte, zeigt die stete Bereitwilligkeit, den Pult, an dem er Silben zählte, zu verlassen, um sich dem ersten besten unbedeutenden Besuche auf halbe Tage hinzu¬ geben. Wäre sein Gedanke nach innen gerichtet, stark oder leidenschaftlich an einen Gegenstand der Betrach¬ tung gefesselt gewesen, so hätte er unmöglich an dem langen Erörtern und oft zwecklosen Geplauder Behagen gefunden. Doch Friede und Ehre schwebe über seiner Asche! Kein Sterblicher hat es mit Zeit und Nachwelt besser gemeint." --
Schließlich theilen wir von Schlabrendorf selbst hier einige der schon erwähnten Kernsprüche, -- oder Ein¬ zelblicke, wie er sie nannte, -- in der Fassung und Gestalt mit, wie er sie eigenhändig aufgesetzt und zu verschiedenen Zeiten uns freundlich zugefertigt hat. Die Wunderlichkeit des Ausdrucks und der Sprachfügung wird freilich öfters Anstoß geben. Er fühlte selbst das Mißliche, und wünschte sich durch den Beifall der Freunde gestärkt und gerechtfertigt zu sehen. Oelsner, dem er solche Proben zur Beurtheilung vorgelegt, schrieb ihm unverhohlen wie folgt:
"Einiger Bedenklichkeiten wußte ich mich nicht zu erwehren bei Lesung des Blattes, von dessen hohem Werthe ich übrigens durchdrungen bin, denn der Lehre gehet das Muster zur Seite, beide wie nur ein Tief¬ forscher sie uns geben kann. Zuerst entstand die Frage,
geirrt zu haben. Wie ſehr ihn die thoͤrichte Lebensart druͤckte, zeigt die ſtete Bereitwilligkeit, den Pult, an dem er Silben zaͤhlte, zu verlaſſen, um ſich dem erſten beſten unbedeutenden Beſuche auf halbe Tage hinzu¬ geben. Waͤre ſein Gedanke nach innen gerichtet, ſtark oder leidenſchaftlich an einen Gegenſtand der Betrach¬ tung gefeſſelt geweſen, ſo haͤtte er unmoͤglich an dem langen Eroͤrtern und oft zweckloſen Geplauder Behagen gefunden. Doch Friede und Ehre ſchwebe uͤber ſeiner Aſche! Kein Sterblicher hat es mit Zeit und Nachwelt beſſer gemeint.“ —
Schließlich theilen wir von Schlabrendorf ſelbſt hier einige der ſchon erwaͤhnten Kernſpruͤche, — oder Ein¬ zelblicke, wie er ſie nannte, — in der Faſſung und Geſtalt mit, wie er ſie eigenhaͤndig aufgeſetzt und zu verſchiedenen Zeiten uns freundlich zugefertigt hat. Die Wunderlichkeit des Ausdrucks und der Sprachfuͤgung wird freilich oͤfters Anſtoß geben. Er fuͤhlte ſelbſt das Mißliche, und wuͤnſchte ſich durch den Beifall der Freunde geſtaͤrkt und gerechtfertigt zu ſehen. Oelsner, dem er ſolche Proben zur Beurtheilung vorgelegt, ſchrieb ihm unverhohlen wie folgt:
„Einiger Bedenklichkeiten wußte ich mich nicht zu erwehren bei Leſung des Blattes, von deſſen hohem Werthe ich uͤbrigens durchdrungen bin, denn der Lehre gehet das Muſter zur Seite, beide wie nur ein Tief¬ forſcher ſie uns geben kann. Zuerſt entſtand die Frage,
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geirrt zu haben. Wie ſehr ihn die thoͤrichte Lebensart
druͤckte, zeigt die ſtete Bereitwilligkeit, den Pult, an
dem er Silben zaͤhlte, zu verlaſſen, um ſich dem erſten
beſten unbedeutenden Beſuche auf halbe Tage hinzu¬
geben. Waͤre ſein Gedanke nach innen gerichtet, ſtark
oder leidenſchaftlich an einen Gegenſtand der Betrach¬
tung gefeſſelt geweſen, ſo haͤtte er unmoͤglich an dem
langen Eroͤrtern und oft zweckloſen Geplauder Behagen
gefunden. Doch Friede und Ehre ſchwebe uͤber ſeiner
Aſche! Kein Sterblicher hat es mit Zeit und Nachwelt
beſſer gemeint.“ —
Schließlich theilen wir von Schlabrendorf ſelbſt hier
einige der ſchon erwaͤhnten Kernſpruͤche, — oder Ein¬
zelblicke, wie er ſie nannte, — in der Faſſung und
Geſtalt mit, wie er ſie eigenhaͤndig aufgeſetzt und zu
verſchiedenen Zeiten uns freundlich zugefertigt hat. Die
Wunderlichkeit des Ausdrucks und der Sprachfuͤgung
wird freilich oͤfters Anſtoß geben. Er fuͤhlte ſelbſt das
Mißliche, und wuͤnſchte ſich durch den Beifall der
Freunde geſtaͤrkt und gerechtfertigt zu ſehen. Oelsner,
dem er ſolche Proben zur Beurtheilung vorgelegt, ſchrieb
ihm unverhohlen wie folgt:
„Einiger Bedenklichkeiten wußte ich mich nicht zu
erwehren bei Leſung des Blattes, von deſſen hohem
Werthe ich uͤbrigens durchdrungen bin, denn der Lehre
gehet das Muſter zur Seite, beide wie nur ein Tief¬
forſcher ſie uns geben kann. Zuerſt entſtand die Frage,
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/184>, abgerufen am 24.11.2024.
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