wird der Vortrag Eingang finden? Es ist fast un¬ möglich, daß ein sehr gedrängter in gleichem Verhält¬ nisse bündig und fließend sei. Gesuchte Wendung, un¬ nöthiger Zwang sind anstößig. Man sieht keinen Grund z. B. "des fünften Karls" dem üblichen und daher allgemein verständlicheren "Karls des Fünften" vorzu¬ ziehen. Sinnsprüchen, die entweder einen politischen Satz, doch nicht ohne Rückhalt kund thun, oder eine moralische Betrachtung ans Gemüth legen sollen, wie die mir gefeierten Einzelblicke, sind der pythische Ton und Rhythmos glücklich angemessen. Sollten diese aber nicht für einen rein didaktischen Gegenstand allzu gra¬ vitätisch sein? Ganz gewiß erschweren sie den mi߬ trauischen Gang auf neugebrochener, uneingetretener Bahn. Daß Anwendung der ertheilten Vorschriften mannigfaltigen Nutzen stiften werde, unterliegt keinem Zweifel. Aber laufen wir nicht Gefahr, die Zeugungs¬ kraft unsrer Sprache über Maß zu wecken? Leicht könnte sie in polypenartige Geilheit ausschweifen, und wir geriethen dann in nicht geringe Verwirrung. An¬ drerseits ist eine vollkommen schulrechte Sprache noch darum keine anmuthige. Ich kann irren; aber mir scheint, daß, wenn jeder Vorstellung ein streng abge¬ zeichneter Ausdruck beschieden wäre, diese Einmarkung ihrer Regsamkeit höchlich schaden würde. Erst seitdem sich unsre Sprache in ihren Formen und Gebärden den ausgebildeteren Nachbarinnen genähert hat, ist sie um¬
wird der Vortrag Eingang finden? Es iſt faſt un¬ moͤglich, daß ein ſehr gedraͤngter in gleichem Verhaͤlt¬ niſſe buͤndig und fließend ſei. Geſuchte Wendung, un¬ noͤthiger Zwang ſind anſtoͤßig. Man ſieht keinen Grund z. B. „des fuͤnften Karls“ dem uͤblichen und daher allgemein verſtaͤndlicheren „Karls des Fuͤnften“ vorzu¬ ziehen. Sinnſpruͤchen, die entweder einen politiſchen Satz, doch nicht ohne Ruͤckhalt kund thun, oder eine moraliſche Betrachtung ans Gemuͤth legen ſollen, wie die mir gefeierten Einzelblicke, ſind der pythiſche Ton und Rhythmos gluͤcklich angemeſſen. Sollten dieſe aber nicht fuͤr einen rein didaktiſchen Gegenſtand allzu gra¬ vitaͤtiſch ſein? Ganz gewiß erſchweren ſie den mi߬ trauiſchen Gang auf neugebrochener, uneingetretener Bahn. Daß Anwendung der ertheilten Vorſchriften mannigfaltigen Nutzen ſtiften werde, unterliegt keinem Zweifel. Aber laufen wir nicht Gefahr, die Zeugungs¬ kraft unſrer Sprache uͤber Maß zu wecken? Leicht koͤnnte ſie in polypenartige Geilheit ausſchweifen, und wir geriethen dann in nicht geringe Verwirrung. An¬ drerſeits iſt eine vollkommen ſchulrechte Sprache noch darum keine anmuthige. Ich kann irren; aber mir ſcheint, daß, wenn jeder Vorſtellung ein ſtreng abge¬ zeichneter Ausdruck beſchieden waͤre, dieſe Einmarkung ihrer Regſamkeit hoͤchlich ſchaden wuͤrde. Erſt ſeitdem ſich unſre Sprache in ihren Formen und Gebaͤrden den ausgebildeteren Nachbarinnen genaͤhert hat, iſt ſie um¬
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wird der Vortrag Eingang finden? Es iſt faſt un¬
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niſſe buͤndig und fließend ſei. Geſuchte Wendung, un¬
noͤthiger Zwang ſind anſtoͤßig. Man ſieht keinen Grund
z. B. „des fuͤnften Karls“ dem uͤblichen und daher
allgemein verſtaͤndlicheren „Karls des Fuͤnften“ vorzu¬
ziehen. Sinnſpruͤchen, die entweder einen politiſchen
Satz, doch nicht ohne Ruͤckhalt kund thun, oder eine
moraliſche Betrachtung ans Gemuͤth legen ſollen, wie
die mir gefeierten Einzelblicke, ſind der pythiſche Ton
und Rhythmos gluͤcklich angemeſſen. Sollten dieſe aber
nicht fuͤr einen rein didaktiſchen Gegenſtand allzu gra¬
vitaͤtiſch ſein? Ganz gewiß erſchweren ſie den mi߬
trauiſchen Gang auf neugebrochener, uneingetretener
Bahn. Daß Anwendung der ertheilten Vorſchriften
mannigfaltigen Nutzen ſtiften werde, unterliegt keinem
Zweifel. Aber laufen wir nicht Gefahr, die Zeugungs¬
kraft unſrer Sprache uͤber Maß zu wecken? Leicht
koͤnnte ſie in polypenartige Geilheit ausſchweifen, und
wir geriethen dann in nicht geringe Verwirrung. An¬
drerſeits iſt eine vollkommen ſchulrechte Sprache noch
darum keine anmuthige. Ich kann irren; aber mir
ſcheint, daß, wenn jeder Vorſtellung ein ſtreng abge¬
zeichneter Ausdruck beſchieden waͤre, dieſe Einmarkung
ihrer Regſamkeit hoͤchlich ſchaden wuͤrde. Erſt ſeitdem
ſich unſre Sprache in ihren Formen und Gebaͤrden den
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/185>, abgerufen am 24.11.2024.
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