einen ungeheuern, oft unleserlichen Kram. Aber mit wieviel Allotrien sich der gute Mann doch auch be¬ schäftigt hat! Ganze lange Listen von Ordensgliedern zu kopiren! Tag für Tag sind die Besuche angemerkt, die er erhalten hatte. Wollte er sie dereinst vielleicht wiedererstatten? Den zahlreichsten Papierstoß bilden die Hülfsgesuche. Man siehet daraus, daß er viel wohl¬ gethan, und wie sein Ruf bis in die entlegensten Ho¬ spitäler gedrungen. Bei alledem war es ein verfehltes Leben. Er hat es oft selbst gefühlt. In einer der mehreren Grabschriften drückt er den Gedanken aus, daß mit ihm nichts als Projekte, aber unermeßlich viele und unglaubliche zu Grabe gehn." --
-- "Schlabrendorf wollte im Handeln vorsichtiger sein und klüger, als die ganze übrige Welt. Niemand hat je in Hinsicht seiner selbst unglücklicher fehlgegriffen. Im Widerspruche mit seiner Natur machte er sich zum Klausner, während er nicht ohne Umgang leben und denken konnte; denn Verkehr mit Andern wirkte auf ihn wie magnetische Reibung, er gerieth dann wachend in einen Zustand von Somnambulism, der, seinen Geist aller unmittelbaren Umgebung entrückend, wahre Ge¬ nialität in ihm erzeugte. Sich selbst überlassen hin¬ gegen war der seelengute, wohlwollende, ächt fromme Greis von tausend Bedenklichkeiten umfangen, die seine Eingezogenheit ihm lästig, öde, traurig machten. Stolz versperrte den Austritt; man wollte nicht eingestehn,
einen ungeheuern, oft unleſerlichen Kram. Aber mit wieviel Allotrien ſich der gute Mann doch auch be¬ ſchaͤftigt hat! Ganze lange Liſten von Ordensgliedern zu kopiren! Tag fuͤr Tag ſind die Beſuche angemerkt, die er erhalten hatte. Wollte er ſie dereinſt vielleicht wiedererſtatten? Den zahlreichſten Papierſtoß bilden die Huͤlfsgeſuche. Man ſiehet daraus, daß er viel wohl¬ gethan, und wie ſein Ruf bis in die entlegenſten Ho¬ ſpitaͤler gedrungen. Bei alledem war es ein verfehltes Leben. Er hat es oft ſelbſt gefuͤhlt. In einer der mehreren Grabſchriften druͤckt er den Gedanken aus, daß mit ihm nichts als Projekte, aber unermeßlich viele und unglaubliche zu Grabe gehn.“ —
— „Schlabrendorf wollte im Handeln vorſichtiger ſein und kluͤger, als die ganze uͤbrige Welt. Niemand hat je in Hinſicht ſeiner ſelbſt ungluͤcklicher fehlgegriffen. Im Widerſpruche mit ſeiner Natur machte er ſich zum Klausner, waͤhrend er nicht ohne Umgang leben und denken konnte; denn Verkehr mit Andern wirkte auf ihn wie magnetiſche Reibung, er gerieth dann wachend in einen Zuſtand von Somnambulism, der, ſeinen Geiſt aller unmittelbaren Umgebung entruͤckend, wahre Ge¬ nialitaͤt in ihm erzeugte. Sich ſelbſt uͤberlaſſen hin¬ gegen war der ſeelengute, wohlwollende, aͤcht fromme Greis von tauſend Bedenklichkeiten umfangen, die ſeine Eingezogenheit ihm laͤſtig, oͤde, traurig machten. Stolz verſperrte den Austritt; man wollte nicht eingeſtehn,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0183"n="169"/>
einen ungeheuern, oft unleſerlichen Kram. Aber mit<lb/>
wieviel Allotrien ſich der gute Mann doch auch be¬<lb/>ſchaͤftigt hat! Ganze lange Liſten von Ordensgliedern<lb/>
zu kopiren! Tag fuͤr Tag ſind die Beſuche angemerkt,<lb/>
die er erhalten hatte. Wollte er ſie dereinſt vielleicht<lb/>
wiedererſtatten? Den zahlreichſten Papierſtoß bilden die<lb/>
Huͤlfsgeſuche. Man ſiehet daraus, daß er viel wohl¬<lb/>
gethan, und wie ſein Ruf bis in die entlegenſten Ho¬<lb/>ſpitaͤler gedrungen. Bei alledem war es ein verfehltes<lb/>
Leben. Er hat es oft ſelbſt gefuͤhlt. In einer der<lb/>
mehreren Grabſchriften druͤckt er den Gedanken aus,<lb/>
daß mit ihm nichts als Projekte, aber unermeßlich viele<lb/>
und unglaubliche zu Grabe gehn.“—</p><lb/><p>—„Schlabrendorf wollte im Handeln vorſichtiger<lb/>ſein und kluͤger, als die ganze uͤbrige Welt. Niemand<lb/>
hat je in Hinſicht ſeiner ſelbſt ungluͤcklicher fehlgegriffen.<lb/>
Im Widerſpruche mit ſeiner Natur machte er ſich zum<lb/>
Klausner, waͤhrend er nicht ohne Umgang leben und<lb/>
denken konnte; denn Verkehr mit Andern wirkte auf<lb/>
ihn wie magnetiſche Reibung, er gerieth dann wachend<lb/>
in einen Zuſtand von Somnambulism, der, ſeinen Geiſt<lb/>
aller unmittelbaren Umgebung entruͤckend, wahre Ge¬<lb/>
nialitaͤt in ihm erzeugte. Sich ſelbſt uͤberlaſſen hin¬<lb/>
gegen war der ſeelengute, wohlwollende, aͤcht fromme<lb/>
Greis von tauſend Bedenklichkeiten umfangen, die ſeine<lb/>
Eingezogenheit ihm laͤſtig, oͤde, traurig machten. Stolz<lb/>
verſperrte den Austritt; man wollte nicht eingeſtehn,<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[169/0183]
einen ungeheuern, oft unleſerlichen Kram. Aber mit
wieviel Allotrien ſich der gute Mann doch auch be¬
ſchaͤftigt hat! Ganze lange Liſten von Ordensgliedern
zu kopiren! Tag fuͤr Tag ſind die Beſuche angemerkt,
die er erhalten hatte. Wollte er ſie dereinſt vielleicht
wiedererſtatten? Den zahlreichſten Papierſtoß bilden die
Huͤlfsgeſuche. Man ſiehet daraus, daß er viel wohl¬
gethan, und wie ſein Ruf bis in die entlegenſten Ho¬
ſpitaͤler gedrungen. Bei alledem war es ein verfehltes
Leben. Er hat es oft ſelbſt gefuͤhlt. In einer der
mehreren Grabſchriften druͤckt er den Gedanken aus,
daß mit ihm nichts als Projekte, aber unermeßlich viele
und unglaubliche zu Grabe gehn.“ —
— „Schlabrendorf wollte im Handeln vorſichtiger
ſein und kluͤger, als die ganze uͤbrige Welt. Niemand
hat je in Hinſicht ſeiner ſelbſt ungluͤcklicher fehlgegriffen.
Im Widerſpruche mit ſeiner Natur machte er ſich zum
Klausner, waͤhrend er nicht ohne Umgang leben und
denken konnte; denn Verkehr mit Andern wirkte auf
ihn wie magnetiſche Reibung, er gerieth dann wachend
in einen Zuſtand von Somnambulism, der, ſeinen Geiſt
aller unmittelbaren Umgebung entruͤckend, wahre Ge¬
nialitaͤt in ihm erzeugte. Sich ſelbſt uͤberlaſſen hin¬
gegen war der ſeelengute, wohlwollende, aͤcht fromme
Greis von tauſend Bedenklichkeiten umfangen, die ſeine
Eingezogenheit ihm laͤſtig, oͤde, traurig machten. Stolz
verſperrte den Austritt; man wollte nicht eingeſtehn,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/183>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.