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Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835.

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I. Das unbefruchtete, im Eierstocke enthaltene Ei.
dem Folliculus an der Peripherie erscheint, wurde er hierdurch
ohne Zweifel zu seiner eben so sonderbaren, als unrichtigen An-
sicht verleitet. Die Nachfolger Graaf's schritten in diesem Dinge
eher rückwärts, als vorwärts. Die Idee, dass der Folliculus schon
innerhalb des Eierstockes das Eichen in sich enthalte, wurde im-
mer mehr verlassen, und vorzüglich war es die Auctorität Hal-
lers (Elem. physiol. viii. p. 43.), welche fast alle Naturforscher
zu der Annahme bewog, dass der Folliculus kein Bläschen, son-
dern eine freie Flüssigkeit in die Tuben ergiesse, die hier erst
eine eigene Membran erhalte und die Eiform annehme. Haighton,
welcher ein Jahrhundert nach Regner de Graaf die Versuche über
die ersten Wirkungen der Befruchtung bei Kaninchen wiederholte,
führt zwar als historische Meinung die Annahme eines Eichens
innerhalb des Folliculus an (Reils Archiv III. S. 69.), entscheidet
sich aber für Hallers Ansicht, dass die Substanz, welche sich aus
dem Folliculus ergiesse, das Eichen erst constituire (l. c. S. 72.).
Schon näher trat Cruikschank (Reil's Archiv III. S. 74--94.)
der Wahrheit der Sache. Wiewohl sich nirgend eine Spur fin-
det, dass er das Eichen innerhalb des Folliculus in dem unbe-
fruchteten Eierstocke gesehen habe, so spricht er doch von dem
schon in dem Ovarium gebildeten Eichen als einer bekannten und
constatirten Sache (l. c. S. 75. 90. 92.). Ja es ist wohl als ge-
wiss anzunehmen, dass er dasselbe in dem Momente, wo es den
Folliculus sprengen und in die Tuben übergehen wollte, zu beob-
achten Gelegenheit hatte. Denn in seinem siebzehnten Versuche
heisst es (l. c. S. 84.): "Drei Tage nach der Befruchtung öff-
nete ich ein anderes Weibchen. Die hervorstehenden Theile der
Corpora lutea waren sehr durchsichtig, ehe man die Gebärmutter
anrührte. Der vorliegende Theil, glaube ich, ist das Ei, das an
der Spitze des Corpus luteum steht u. s. w." -- Die ausgezeich-
neten, über die ersten Folgen der Conception an Kaninchen und
Hunden angestellten Versuche und gemachten Beobachtungen von
Prevost und Dumas (Annales des sciences naturelles Tom. III.
1824. p. 113--138. Froriep's Notizen Jan. 1825. No. 188. S.
177--186.) lieferten nicht bloss die Bestätigung der schon von Graaf
gemachten Erfahrungen über die ungemeine Kleinheit der Eier
in den ersten Tagen nach deren Eintritte in die Tuben und den
Uterus, sondern diese vorzüglichen Naturforscher sprachen sich
mit folgenden Worten deutlich genug für die Existenz des Ei-

I. Das unbefruchtete, im Eierstocke enthaltene Ei.
dem Folliculus an der Peripherie erscheint, wurde er hierdurch
ohne Zweifel zu seiner eben so sonderbaren, als unrichtigen An-
sicht verleitet. Die Nachfolger Graaf’s schritten in diesem Dinge
eher rückwärts, als vorwärts. Die Idee, daſs der Folliculus schon
innerhalb des Eierstockes das Eichen in sich enthalte, wurde im-
mer mehr verlassen, und vorzüglich war es die Auctorität Hal-
lers (Elem. physiol. viii. p. 43.), welche fast alle Naturforscher
zu der Annahme bewog, daſs der Folliculus kein Bläschen, son-
dern eine freie Flüssigkeit in die Tuben ergieſse, die hier erst
eine eigene Membran erhalte und die Eiform annehme. Haighton,
welcher ein Jahrhundert nach Regner de Graaf die Versuche über
die ersten Wirkungen der Befruchtung bei Kaninchen wiederholte,
führt zwar als historische Meinung die Annahme eines Eichens
innerhalb des Folliculus an (Reils Archiv III. S. 69.), entscheidet
sich aber für Hallers Ansicht, daſs die Substanz, welche sich aus
dem Folliculus ergieſse, das Eichen erst constituire (l. c. S. 72.).
Schon näher trat Cruikschank (Reil’s Archiv III. S. 74—94.)
der Wahrheit der Sache. Wiewohl sich nirgend eine Spur fin-
det, daſs er das Eichen innerhalb des Folliculus in dem unbe-
fruchteten Eierstocke gesehen habe, so spricht er doch von dem
schon in dem Ovarium gebildeten Eichen als einer bekannten und
constatirten Sache (l. c. S. 75. 90. 92.). Ja es ist wohl als ge-
wiſs anzunehmen, daſs er dasselbe in dem Momente, wo es den
Folliculus sprengen und in die Tuben übergehen wollte, zu beob-
achten Gelegenheit hatte. Denn in seinem siebzehnten Versuche
heiſst es (l. c. S. 84.): „Drei Tage nach der Befruchtung öff-
nete ich ein anderes Weibchen. Die hervorstehenden Theile der
Corpora lutea waren sehr durchsichtig, ehe man die Gebärmutter
anrührte. Der vorliegende Theil, glaube ich, ist das Ei, das an
der Spitze des Corpus luteum steht u. s. w.“ — Die ausgezeich-
neten, über die ersten Folgen der Conception an Kaninchen und
Hunden angestellten Versuche und gemachten Beobachtungen von
Prevost und Dumas (Annales des sciences naturelles Tom. III.
1824. p. 113—138. Froriep’s Notizen Jan. 1825. No. 188. S.
177—186.) lieferten nicht bloſs die Bestätigung der schon von Graaf
gemachten Erfahrungen über die ungemeine Kleinheit der Eier
in den ersten Tagen nach deren Eintritte in die Tuben und den
Uterus, sondern diese vorzüglichen Naturforscher sprachen sich
mit folgenden Worten deutlich genug für die Existenz des Ei-

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[12/0040] I. Das unbefruchtete, im Eierstocke enthaltene Ei. dem Folliculus an der Peripherie erscheint, wurde er hierdurch ohne Zweifel zu seiner eben so sonderbaren, als unrichtigen An- sicht verleitet. Die Nachfolger Graaf’s schritten in diesem Dinge eher rückwärts, als vorwärts. Die Idee, daſs der Folliculus schon innerhalb des Eierstockes das Eichen in sich enthalte, wurde im- mer mehr verlassen, und vorzüglich war es die Auctorität Hal- lers (Elem. physiol. viii. p. 43.), welche fast alle Naturforscher zu der Annahme bewog, daſs der Folliculus kein Bläschen, son- dern eine freie Flüssigkeit in die Tuben ergieſse, die hier erst eine eigene Membran erhalte und die Eiform annehme. Haighton, welcher ein Jahrhundert nach Regner de Graaf die Versuche über die ersten Wirkungen der Befruchtung bei Kaninchen wiederholte, führt zwar als historische Meinung die Annahme eines Eichens innerhalb des Folliculus an (Reils Archiv III. S. 69.), entscheidet sich aber für Hallers Ansicht, daſs die Substanz, welche sich aus dem Folliculus ergieſse, das Eichen erst constituire (l. c. S. 72.). Schon näher trat Cruikschank (Reil’s Archiv III. S. 74—94.) der Wahrheit der Sache. Wiewohl sich nirgend eine Spur fin- det, daſs er das Eichen innerhalb des Folliculus in dem unbe- fruchteten Eierstocke gesehen habe, so spricht er doch von dem schon in dem Ovarium gebildeten Eichen als einer bekannten und constatirten Sache (l. c. S. 75. 90. 92.). Ja es ist wohl als ge- wiſs anzunehmen, daſs er dasselbe in dem Momente, wo es den Folliculus sprengen und in die Tuben übergehen wollte, zu beob- achten Gelegenheit hatte. Denn in seinem siebzehnten Versuche heiſst es (l. c. S. 84.): „Drei Tage nach der Befruchtung öff- nete ich ein anderes Weibchen. Die hervorstehenden Theile der Corpora lutea waren sehr durchsichtig, ehe man die Gebärmutter anrührte. Der vorliegende Theil, glaube ich, ist das Ei, das an der Spitze des Corpus luteum steht u. s. w.“ — Die ausgezeich- neten, über die ersten Folgen der Conception an Kaninchen und Hunden angestellten Versuche und gemachten Beobachtungen von Prevost und Dumas (Annales des sciences naturelles Tom. III. 1824. p. 113—138. Froriep’s Notizen Jan. 1825. No. 188. S. 177—186.) lieferten nicht bloſs die Bestätigung der schon von Graaf gemachten Erfahrungen über die ungemeine Kleinheit der Eier in den ersten Tagen nach deren Eintritte in die Tuben und den Uterus, sondern diese vorzüglichen Naturforscher sprachen sich mit folgenden Worten deutlich genug für die Existenz des Ei-

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Zitationshilfe: Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/valentin_entwicklungsgeschichte_1835/40>, abgerufen am 24.04.2024.