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Unzer, Johann August: Gedanken vom Einfluß der Seele in ihren Körper. Halle (Saale), 1746.

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niger Wichtigkeit. Der eigentliche Unter-
schied zwischen denen nothwendigen, natürli-
chen, und zwischen denen willkührlichen Be-
wegungen bestehet darin, daß wir von ienen
weder bey ihrem Anfange noch Fortdauer ei-
nige Vorstellungen haben, vermöge deren wir
uns derselben bewust wären, dahingegen die
willkührlichen Bewegungen also beschaffen sind,
daß wir zum wenigsten im Anfange, ehe wir
uns dran gewöhnen, wo nicht auch im Fort-
gange Vorstellungen haben, dadurch wir uns
ihrer bewust sind. Wer also den Unterscheid
unter nothwendigen und willkührlichen Bewe-
gungen verwerfen wolte, der müste behaupten,
daß wir uns entweder aller Bewegungen un-
sers Körpers ohne Unterscheid bewust wären,
oder daß wir von keiner einigen etwas wüßten.
Beydes ist wieder alle Erfahrung, und dem-
nach muß auch dieser Unterschied nothwendig
beybehalten werden. Jch will erweisen, daß
dieses hinwegfalle, wenn man nicht die Sele
vor eine Ursach der willkührlichen Bewegun-
gen erkennen will. Jch schliesse so: wenn die
Sele gar nichts zu denen willkührlichen Bewe-
gungen beyträgt; so ist es möglich, daß eine
willkührliche Bewegung entstehen könte; ob-
gleich die Sele keine Vorstellung davon hätte.
Nun aber ist eine willkührliche Bewegung die-
ienige, welche nicht entstehen kan, ohne ein
Bewustseyn derselben: also wäre es möglich,
daß bey dem Menschen eine Bewegung welche

ohne

niger Wichtigkeit. Der eigentliche Unter-
ſchied zwiſchen denen nothwendigen, natuͤrli-
chen, und zwiſchen denen willkuͤhrlichen Be-
wegungen beſtehet darin, daß wir von ienen
weder bey ihrem Anfange noch Fortdauer ei-
nige Vorſtellungen haben, vermoͤge deren wir
uns derſelben bewuſt waͤren, dahingegen die
willkuͤhrlichen Bewegungen alſo beſchaffen ſind,
daß wir zum wenigſten im Anfange, ehe wir
uns dran gewoͤhnen, wo nicht auch im Fort-
gange Vorſtellungen haben, dadurch wir uns
ihrer bewuſt ſind. Wer alſo den Unterſcheid
unter nothwendigen und willkuͤhrlichen Bewe-
gungen verwerfen wolte, der muͤſte behaupten,
daß wir uns entweder aller Bewegungen un-
ſers Koͤrpers ohne Unterſcheid bewuſt waͤren,
oder daß wir von keiner einigen etwas wuͤßten.
Beydes iſt wieder alle Erfahrung, und dem-
nach muß auch dieſer Unterſchied nothwendig
beybehalten werden. Jch will erweiſen, daß
dieſes hinwegfalle, wenn man nicht die Sele
vor eine Urſach der willkuͤhrlichen Bewegun-
gen erkennen will. Jch ſchlieſſe ſo: wenn die
Sele gar nichts zu denen willkuͤhrlichen Bewe-
gungen beytraͤgt; ſo iſt es moͤglich, daß eine
willkuͤhrliche Bewegung entſtehen koͤnte; ob-
gleich die Sele keine Vorſtellung davon haͤtte.
Nun aber iſt eine willkuͤhrliche Bewegung die-
ienige, welche nicht entſtehen kan, ohne ein
Bewuſtſeyn derſelben: alſo waͤre es moͤglich,
daß bey dem Menſchen eine Bewegung welche

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[97/0127] niger Wichtigkeit. Der eigentliche Unter- ſchied zwiſchen denen nothwendigen, natuͤrli- chen, und zwiſchen denen willkuͤhrlichen Be- wegungen beſtehet darin, daß wir von ienen weder bey ihrem Anfange noch Fortdauer ei- nige Vorſtellungen haben, vermoͤge deren wir uns derſelben bewuſt waͤren, dahingegen die willkuͤhrlichen Bewegungen alſo beſchaffen ſind, daß wir zum wenigſten im Anfange, ehe wir uns dran gewoͤhnen, wo nicht auch im Fort- gange Vorſtellungen haben, dadurch wir uns ihrer bewuſt ſind. Wer alſo den Unterſcheid unter nothwendigen und willkuͤhrlichen Bewe- gungen verwerfen wolte, der muͤſte behaupten, daß wir uns entweder aller Bewegungen un- ſers Koͤrpers ohne Unterſcheid bewuſt waͤren, oder daß wir von keiner einigen etwas wuͤßten. Beydes iſt wieder alle Erfahrung, und dem- nach muß auch dieſer Unterſchied nothwendig beybehalten werden. Jch will erweiſen, daß dieſes hinwegfalle, wenn man nicht die Sele vor eine Urſach der willkuͤhrlichen Bewegun- gen erkennen will. Jch ſchlieſſe ſo: wenn die Sele gar nichts zu denen willkuͤhrlichen Bewe- gungen beytraͤgt; ſo iſt es moͤglich, daß eine willkuͤhrliche Bewegung entſtehen koͤnte; ob- gleich die Sele keine Vorſtellung davon haͤtte. Nun aber iſt eine willkuͤhrliche Bewegung die- ienige, welche nicht entſtehen kan, ohne ein Bewuſtſeyn derſelben: alſo waͤre es moͤglich, daß bey dem Menſchen eine Bewegung welche ohne

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Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Gedanken vom Einfluß der Seele in ihren Körper. Halle (Saale), 1746, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_gedanken_1746/127>, abgerufen am 08.05.2024.