Jch setze mir vor ein gewisses Glied meines Körpers zu bewegen, und den Augenblick ge- schieht es auch. So bald ich will, daß dassel- be wieder ruhen soll, so höret es auch auf sich zu bewegen. Jch setze aber zum voraus daß mein Körper in seinen natürlichen Zustande sey. Denn sonst ist mir nicht unbekant, daß man wegen einer Lähmung oder eines andern spastischen Zusammenziehens, zuweilen seiner Glieder nicht mächtig sey. Allein hiervon ist ietzo die Rede nicht. Wir bleiben nur bey einem gesunden Menschen; und da gehöret in der That viel Ueberredung darzu, wenn man sich einbilden soll, daß seine willkührlichen Be- wegungen alle geschehen, weil seine Maschine so eingerichtet ist, daß sie gerade zu der Zeit also erfolgen müssen. Man sehe nur einmal einem geübten Musicus zu, und probiere, ob man sich ohne seiner Einbildungskraft Gewalt anzuthun, vorstellen könne, daß seine Finger mit eben der Geschwindigkeit in eben dem Tackte und mit eben denenselben Applicationen, die Claves berühren und niederdrücken, ia die- ses alles von denen Noten absehen und auf ei- nem Clavier oder einer Orgel zur Würcklich- keit bringen würden; wenn auch der Musicus ietzo keine Sele hätte, oder wenn er an nichts weniger gedächte als daß er eben dieses Stück und kein andres hören lassen wolle. Dieser Versuch gehet noch besser von statten, wenn
man
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§. 38.
Jch ſetze mir vor ein gewiſſes Glied meines Koͤrpers zu bewegen, und den Augenblick ge- ſchieht es auch. So bald ich will, daß daſſel- be wieder ruhen ſoll, ſo hoͤret es auch auf ſich zu bewegen. Jch ſetze aber zum voraus daß mein Koͤrper in ſeinen natuͤrlichen Zuſtande ſey. Denn ſonſt iſt mir nicht unbekant, daß man wegen einer Laͤhmung oder eines andern ſpaſtiſchen Zuſammenziehens, zuweilen ſeiner Glieder nicht maͤchtig ſey. Allein hiervon iſt ietzo die Rede nicht. Wir bleiben nur bey einem geſunden Menſchen; und da gehoͤret in der That viel Ueberredung darzu, wenn man ſich einbilden ſoll, daß ſeine willkuͤhrlichen Be- wegungen alle geſchehen, weil ſeine Maſchine ſo eingerichtet iſt, daß ſie gerade zu der Zeit alſo erfolgen muͤſſen. Man ſehe nur einmal einem geuͤbten Muſicus zu, und probiere, ob man ſich ohne ſeiner Einbildungskraft Gewalt anzuthun, vorſtellen koͤnne, daß ſeine Finger mit eben der Geſchwindigkeit in eben dem Tackte und mit eben denenſelben Applicationen, die Claves beruͤhren und niederdruͤcken, ia die- ſes alles von denen Noten abſehen und auf ei- nem Clavier oder einer Orgel zur Wuͤrcklich- keit bringen wuͤrden; wenn auch der Muſicus ietzo keine Sele haͤtte, oder wenn er an nichts weniger gedaͤchte als daß er eben dieſes Stuͤck und kein andres hoͤren laſſen wolle. Dieſer Verſuch gehet noch beſſer von ſtatten, wenn
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§. 38.
Jch ſetze mir vor ein gewiſſes Glied meines
Koͤrpers zu bewegen, und den Augenblick ge-
ſchieht es auch. So bald ich will, daß daſſel-
be wieder ruhen ſoll, ſo hoͤret es auch auf ſich
zu bewegen. Jch ſetze aber zum voraus daß
mein Koͤrper in ſeinen natuͤrlichen Zuſtande
ſey. Denn ſonſt iſt mir nicht unbekant, daß
man wegen einer Laͤhmung oder eines andern
ſpaſtiſchen Zuſammenziehens, zuweilen ſeiner
Glieder nicht maͤchtig ſey. Allein hiervon iſt
ietzo die Rede nicht. Wir bleiben nur bey
einem geſunden Menſchen; und da gehoͤret in
der That viel Ueberredung darzu, wenn man
ſich einbilden ſoll, daß ſeine willkuͤhrlichen Be-
wegungen alle geſchehen, weil ſeine Maſchine
ſo eingerichtet iſt, daß ſie gerade zu der Zeit
alſo erfolgen muͤſſen. Man ſehe nur einmal
einem geuͤbten Muſicus zu, und probiere, ob
man ſich ohne ſeiner Einbildungskraft Gewalt
anzuthun, vorſtellen koͤnne, daß ſeine Finger
mit eben der Geſchwindigkeit in eben dem
Tackte und mit eben denenſelben Applicationen,
die Claves beruͤhren und niederdruͤcken, ia die-
ſes alles von denen Noten abſehen und auf ei-
nem Clavier oder einer Orgel zur Wuͤrcklich-
keit bringen wuͤrden; wenn auch der Muſicus
ietzo keine Sele haͤtte, oder wenn er an nichts
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Unzer, Johann August: Gedanken vom Einfluß der Seele in ihren Körper. Halle (Saale), 1746, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_gedanken_1746/125>, abgerufen am 16.02.2025.
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