Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.III Th. Natur der Thiere im Ganzen. Thieren gewöhnlichen Seelenwirkungen des Rettungstrie-bes, zum Laufen und Entfliehen, nöthigen kann, welches doch unmöglich ihre Absicht ist. Wie kann man, wenn eine Ameise ein Ey, das sie trägt, vor einer andern, die ihr zu nahe kömmt, fallen läßt, und zurückgeht, schließen, es sey ihre Absicht, daß es die andre weiter trage, und daß sie selbst ein andres suchen wolle; da auch die ungehirnten Thierchen in den Wassertropfen ihren Raub fallen lassen, wenn sie einander zu nahe kommen, und sich ausweichen. Wie kann man schließen, weil die letzte das Ey aufnimmt, daß ihre Absicht gewesen sey, es jener abzunehmen, da ih- rer Natur nach jeder äußere sinnliche Eindruck von ihren Eyern in ihnen die Wirkung haben kann, sie aufzunehmen und sich damit zu schleppen, so wie eine enthauptete Schne- cke noch ihren Fraß unterscheidet, und sich ihn beyzubrin- gen suchet, da sie doch weder die Merkmale empfinden, noch Absichten hegen kann. Wie kann man schließen, daß Thiere sich aus Feindschaft und Rachsucht bekriegen und tödten, da äußere sinnliche Eindrücke den Bauch einer Biene, ei- nes Ohrwurms, eines Vielfußes etc. nöthigen, sich seiner natürlichen Waffen und Rettungsmittel zu bedienen. Wie kann es nothwendig eine Absicht auf angenehme Empfin- dungen, einen wahren Trieb zum sinnlichen Vergnügen voraussetzen, wenn ein Thier die bey den beseelten so will- kührliche und empfindungsreiche Handlung der Begattung begeht, da sie doch bey enthaupteten Thieren, unmöglich aus Absicht der Befriedigung eines Triebes, vollständig von Statten geht? Mehr Beyspiele findet man §. 555. Das Willkührliche in diesen Bewegungen scheint es uns nur zu seyn, weil wir einen falschen Schluß von uns auf andre Thiere machen, §. 436 -- 439. 557. und das Zweckmäßige rühret von der Vorherbestimmung der Na- tur her, und ist nicht einmal in den Seelen der beseelten Thiere. §. 266. 609. 5. "Man sieht aber diese Thiere gleichwohl auch ohne "und
III Th. Natur der Thiere im Ganzen. Thieren gewoͤhnlichen Seelenwirkungen des Rettungstrie-bes, zum Laufen und Entfliehen, noͤthigen kann, welches doch unmoͤglich ihre Abſicht iſt. Wie kann man, wenn eine Ameiſe ein Ey, das ſie traͤgt, vor einer andern, die ihr zu nahe koͤmmt, fallen laͤßt, und zuruͤckgeht, ſchließen, es ſey ihre Abſicht, daß es die andre weiter trage, und daß ſie ſelbſt ein andres ſuchen wolle; da auch die ungehirnten Thierchen in den Waſſertropfen ihren Raub fallen laſſen, wenn ſie einander zu nahe kommen, und ſich ausweichen. Wie kann man ſchließen, weil die letzte das Ey aufnimmt, daß ihre Abſicht geweſen ſey, es jener abzunehmen, da ih- rer Natur nach jeder aͤußere ſinnliche Eindruck von ihren Eyern in ihnen die Wirkung haben kann, ſie aufzunehmen und ſich damit zu ſchleppen, ſo wie eine enthauptete Schne- cke noch ihren Fraß unterſcheidet, und ſich ihn beyzubrin- gen ſuchet, da ſie doch weder die Merkmale empfinden, noch Abſichten hegen kann. Wie kann man ſchließen, daß Thiere ſich aus Feindſchaft und Rachſucht bekriegen und toͤdten, da aͤußere ſinnliche Eindruͤcke den Bauch einer Biene, ei- nes Ohrwurms, eines Vielfußes ꝛc. noͤthigen, ſich ſeiner natuͤrlichen Waffen und Rettungsmittel zu bedienen. Wie kann es nothwendig eine Abſicht auf angenehme Empfin- dungen, einen wahren Trieb zum ſinnlichen Vergnuͤgen vorausſetzen, wenn ein Thier die bey den beſeelten ſo will- kuͤhrliche und empfindungsreiche Handlung der Begattung begeht, da ſie doch bey enthaupteten Thieren, unmoͤglich aus Abſicht der Befriedigung eines Triebes, vollſtaͤndig von Statten geht? Mehr Beyſpiele findet man §. 555. Das Willkuͤhrliche in dieſen Bewegungen ſcheint es uns nur zu ſeyn, weil wir einen falſchen Schluß von uns auf andre Thiere machen, §. 436 — 439. 557. und das Zweckmaͤßige ruͤhret von der Vorherbeſtimmung der Na- tur her, und iſt nicht einmal in den Seelen der beſeelten Thiere. §. 266. 609. 5. „Man ſieht aber dieſe Thiere gleichwohl auch ohne „und
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III Th. Natur der Thiere im Ganzen.
Thieren gewoͤhnlichen Seelenwirkungen des Rettungstrie-
bes, zum Laufen und Entfliehen, noͤthigen kann, welches
doch unmoͤglich ihre Abſicht iſt. Wie kann man, wenn
eine Ameiſe ein Ey, das ſie traͤgt, vor einer andern, die
ihr zu nahe koͤmmt, fallen laͤßt, und zuruͤckgeht, ſchließen,
es ſey ihre Abſicht, daß es die andre weiter trage, und daß
ſie ſelbſt ein andres ſuchen wolle; da auch die ungehirnten
Thierchen in den Waſſertropfen ihren Raub fallen laſſen,
wenn ſie einander zu nahe kommen, und ſich ausweichen.
Wie kann man ſchließen, weil die letzte das Ey aufnimmt,
daß ihre Abſicht geweſen ſey, es jener abzunehmen, da ih-
rer Natur nach jeder aͤußere ſinnliche Eindruck von ihren
Eyern in ihnen die Wirkung haben kann, ſie aufzunehmen
und ſich damit zu ſchleppen, ſo wie eine enthauptete Schne-
cke noch ihren Fraß unterſcheidet, und ſich ihn beyzubrin-
gen ſuchet, da ſie doch weder die Merkmale empfinden, noch
Abſichten hegen kann. Wie kann man ſchließen, daß Thiere
ſich aus Feindſchaft und Rachſucht bekriegen und toͤdten,
da aͤußere ſinnliche Eindruͤcke den Bauch einer Biene, ei-
nes Ohrwurms, eines Vielfußes ꝛc. noͤthigen, ſich ſeiner
natuͤrlichen Waffen und Rettungsmittel zu bedienen. Wie
kann es nothwendig eine Abſicht auf angenehme Empfin-
dungen, einen wahren Trieb zum ſinnlichen Vergnuͤgen
vorausſetzen, wenn ein Thier die bey den beſeelten ſo will-
kuͤhrliche und empfindungsreiche Handlung der Begattung
begeht, da ſie doch bey enthaupteten Thieren, unmoͤglich
aus Abſicht der Befriedigung eines Triebes, vollſtaͤndig
von Statten geht? Mehr Beyſpiele findet man §. 555.
Das Willkuͤhrliche in dieſen Bewegungen ſcheint es uns
nur zu ſeyn, weil wir einen falſchen Schluß von uns auf
andre Thiere machen, §. 436 — 439. 557. und das
Zweckmaͤßige ruͤhret von der Vorherbeſtimmung der Na-
tur her, und iſt nicht einmal in den Seelen der beſeelten
Thiere. §. 266. 609.
5. „Man ſieht aber dieſe Thiere gleichwohl auch ohne
„alle Veranlaſſung aͤußerer ſinnlicher Eindruͤcke ſelbſtthaͤtig
„und
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