"und aus sich selbst willkührlich handeln: mithin müssen sie "Vorstellungen haben, die sie dazu bewegen." Allein diese selbstthätigen Handlungen können durch ursprüngliche innere sinnliche Eindrücke ohne Vorstellungen vollkommen ersetzet werden, §. 609. 623. N. 4. und doch wird man schwerlich erweisen können, daß dergleichen Thiere solche ohne Veranlassung äußerer sinnlicher Eindrücke verrichten sollten. Wenn ein stillliegendes Thier sich wieder reget, wenn sich eins aufmachet, als ob es Nahrung suchen woll- te, wenn sichs wieder wegbegiebt, nachdem es keine gefun- den, oder sich gesättiget hat, so wird man leicht, entweder auswendig oder innwendig in ihm, einen äußern sinnlichen Eindruck errathen können, der es zu handeln antreibt. (z. E. §. 553.)
6. "Jedoch viele von diesen Thieren handeln gesell- "schaftlich, in Gemeinschaft und zu einem Hauptzwecke; "folglich nach Absichten; z. E. die Ameisen, Bienen, u. a. "Sie unterstützen einander in ihrer gemeinschaftlichen Ar- "beit, weichen einander aus, um sich nicht zu hindern, be- "kriegen ihre Feinde, nehmen einander die Bürden ab, "oder scheinen sich in Gefahren zu benachrichtigen, u. s. w." Dieß ist in der That das Stärkste, was man für die See- len solcher Thiere sagen kann. Jndessen überlege man oh- ne vorgefaßte Meynung Folgendes: Gesetzt, die Bienen, Ameisen und andre gesellige Thiere hätten Seelen, äußere Empfindungen, andre Vorstellungen, wahre Triebe und Absichten: so werden alle ihre geselligen Handlungen See- lenwirkungen ihrer sinnlichen Triebe seyn, §. 276. N 1. und diese sind fast unmittelbare Folgen ihrer äußern Em- pfindungen. §. 579. N. 1. Also sind die geselligen Hand- lungen dieser Thiere unmittelbare oder zufällige Seelenwir- kungen der Empfindungen ihrer äußern sinnlichen Eindrü- cke. Nun ist es unstreitig, daß alle sowohl unmittelbare als zufällige Seelenwirkungen äußerer Empfindungen schlechterdings auch nur Nervenwirkungen eben derselben äußern sinnlichen Eindrücke seyn können, §. 625. N. 2.
mithin
2 Kap. Hauptgattungen exiſtirender Thiere.
„und aus ſich ſelbſt willkuͤhrlich handeln: mithin muͤſſen ſie „Vorſtellungen haben, die ſie dazu bewegen.“ Allein dieſe ſelbſtthaͤtigen Handlungen koͤnnen durch urſpruͤngliche innere ſinnliche Eindruͤcke ohne Vorſtellungen vollkommen erſetzet werden, §. 609. 623. N. 4. und doch wird man ſchwerlich erweiſen koͤnnen, daß dergleichen Thiere ſolche ohne Veranlaſſung aͤußerer ſinnlicher Eindruͤcke verrichten ſollten. Wenn ein ſtillliegendes Thier ſich wieder reget, wenn ſich eins aufmachet, als ob es Nahrung ſuchen woll- te, wenn ſichs wieder wegbegiebt, nachdem es keine gefun- den, oder ſich geſaͤttiget hat, ſo wird man leicht, entweder auswendig oder innwendig in ihm, einen aͤußern ſinnlichen Eindruck errathen koͤnnen, der es zu handeln antreibt. (z. E. §. 553.)
6. „Jedoch viele von dieſen Thieren handeln geſell- „ſchaftlich, in Gemeinſchaft und zu einem Hauptzwecke; „folglich nach Abſichten; z. E. die Ameiſen, Bienen, u. a. „Sie unterſtuͤtzen einander in ihrer gemeinſchaftlichen Ar- „beit, weichen einander aus, um ſich nicht zu hindern, be- „kriegen ihre Feinde, nehmen einander die Buͤrden ab, „oder ſcheinen ſich in Gefahren zu benachrichtigen, u. ſ. w.“ Dieß iſt in der That das Staͤrkſte, was man fuͤr die See- len ſolcher Thiere ſagen kann. Jndeſſen uͤberlege man oh- ne vorgefaßte Meynung Folgendes: Geſetzt, die Bienen, Ameiſen und andre geſellige Thiere haͤtten Seelen, aͤußere Empfindungen, andre Vorſtellungen, wahre Triebe und Abſichten: ſo werden alle ihre geſelligen Handlungen See- lenwirkungen ihrer ſinnlichen Triebe ſeyn, §. 276. N 1. und dieſe ſind faſt unmittelbare Folgen ihrer aͤußern Em- pfindungen. §. 579. N. 1. Alſo ſind die geſelligen Hand- lungen dieſer Thiere unmittelbare oder zufaͤllige Seelenwir- kungen der Empfindungen ihrer aͤußern ſinnlichen Eindruͤ- cke. Nun iſt es unſtreitig, daß alle ſowohl unmittelbare als zufaͤllige Seelenwirkungen aͤußerer Empfindungen ſchlechterdings auch nur Nervenwirkungen eben derſelben aͤußern ſinnlichen Eindruͤcke ſeyn koͤnnen, §. 625. N. 2.
mithin
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0663"n="639"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">2 Kap. Hauptgattungen exiſtirender Thiere.</hi></fw><lb/>„und aus ſich ſelbſt willkuͤhrlich handeln: mithin muͤſſen ſie<lb/>„Vorſtellungen haben, die ſie dazu bewegen.“ Allein<lb/>
dieſe ſelbſtthaͤtigen Handlungen koͤnnen durch urſpruͤngliche<lb/>
innere ſinnliche Eindruͤcke ohne Vorſtellungen vollkommen<lb/>
erſetzet werden, §. 609. 623. <hirendition="#aq">N.</hi> 4. und doch wird man<lb/>ſchwerlich erweiſen koͤnnen, daß dergleichen Thiere ſolche<lb/>
ohne Veranlaſſung aͤußerer ſinnlicher Eindruͤcke verrichten<lb/>ſollten. Wenn ein ſtillliegendes Thier ſich wieder reget,<lb/>
wenn ſich eins aufmachet, als ob es Nahrung ſuchen woll-<lb/>
te, wenn ſichs wieder wegbegiebt, nachdem es keine gefun-<lb/>
den, oder ſich geſaͤttiget hat, ſo wird man leicht, entweder<lb/>
auswendig oder innwendig in ihm, einen aͤußern ſinnlichen<lb/>
Eindruck errathen koͤnnen, der es zu handeln antreibt. (z.<lb/>
E. §. 553.)</p><lb/><p>6. „Jedoch viele von dieſen Thieren handeln geſell-<lb/>„ſchaftlich, in Gemeinſchaft und zu einem Hauptzwecke;<lb/>„folglich nach Abſichten; z. E. die Ameiſen, Bienen, u. a.<lb/>„Sie unterſtuͤtzen einander in ihrer gemeinſchaftlichen Ar-<lb/>„beit, weichen einander aus, um ſich nicht zu hindern, be-<lb/>„kriegen ihre Feinde, nehmen einander die Buͤrden ab,<lb/>„oder ſcheinen ſich in Gefahren zu benachrichtigen, u. ſ. w.“<lb/>
Dieß iſt in der That das Staͤrkſte, was man fuͤr die See-<lb/>
len ſolcher Thiere ſagen kann. Jndeſſen uͤberlege man oh-<lb/>
ne vorgefaßte Meynung Folgendes: Geſetzt, die Bienen,<lb/>
Ameiſen und andre geſellige Thiere haͤtten Seelen, aͤußere<lb/>
Empfindungen, andre Vorſtellungen, wahre Triebe und<lb/>
Abſichten: ſo werden alle ihre geſelligen Handlungen See-<lb/>
lenwirkungen ihrer ſinnlichen Triebe ſeyn, §. 276. <hirendition="#aq">N</hi> 1.<lb/>
und dieſe ſind faſt unmittelbare Folgen ihrer aͤußern Em-<lb/>
pfindungen. §. 579. <hirendition="#aq">N.</hi> 1. Alſo ſind die geſelligen Hand-<lb/>
lungen dieſer Thiere unmittelbare oder zufaͤllige Seelenwir-<lb/>
kungen der Empfindungen ihrer aͤußern ſinnlichen Eindruͤ-<lb/>
cke. Nun iſt es unſtreitig, daß alle ſowohl unmittelbare<lb/>
als zufaͤllige Seelenwirkungen aͤußerer Empfindungen<lb/>ſchlechterdings auch nur Nervenwirkungen eben derſelben<lb/>
aͤußern ſinnlichen Eindruͤcke ſeyn koͤnnen, §. 625. <hirendition="#aq">N.</hi> 2.<lb/><fwplace="bottom"type="catch">mithin</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[639/0663]
2 Kap. Hauptgattungen exiſtirender Thiere.
„und aus ſich ſelbſt willkuͤhrlich handeln: mithin muͤſſen ſie
„Vorſtellungen haben, die ſie dazu bewegen.“ Allein
dieſe ſelbſtthaͤtigen Handlungen koͤnnen durch urſpruͤngliche
innere ſinnliche Eindruͤcke ohne Vorſtellungen vollkommen
erſetzet werden, §. 609. 623. N. 4. und doch wird man
ſchwerlich erweiſen koͤnnen, daß dergleichen Thiere ſolche
ohne Veranlaſſung aͤußerer ſinnlicher Eindruͤcke verrichten
ſollten. Wenn ein ſtillliegendes Thier ſich wieder reget,
wenn ſich eins aufmachet, als ob es Nahrung ſuchen woll-
te, wenn ſichs wieder wegbegiebt, nachdem es keine gefun-
den, oder ſich geſaͤttiget hat, ſo wird man leicht, entweder
auswendig oder innwendig in ihm, einen aͤußern ſinnlichen
Eindruck errathen koͤnnen, der es zu handeln antreibt. (z.
E. §. 553.)
6. „Jedoch viele von dieſen Thieren handeln geſell-
„ſchaftlich, in Gemeinſchaft und zu einem Hauptzwecke;
„folglich nach Abſichten; z. E. die Ameiſen, Bienen, u. a.
„Sie unterſtuͤtzen einander in ihrer gemeinſchaftlichen Ar-
„beit, weichen einander aus, um ſich nicht zu hindern, be-
„kriegen ihre Feinde, nehmen einander die Buͤrden ab,
„oder ſcheinen ſich in Gefahren zu benachrichtigen, u. ſ. w.“
Dieß iſt in der That das Staͤrkſte, was man fuͤr die See-
len ſolcher Thiere ſagen kann. Jndeſſen uͤberlege man oh-
ne vorgefaßte Meynung Folgendes: Geſetzt, die Bienen,
Ameiſen und andre geſellige Thiere haͤtten Seelen, aͤußere
Empfindungen, andre Vorſtellungen, wahre Triebe und
Abſichten: ſo werden alle ihre geſelligen Handlungen See-
lenwirkungen ihrer ſinnlichen Triebe ſeyn, §. 276. N 1.
und dieſe ſind faſt unmittelbare Folgen ihrer aͤußern Em-
pfindungen. §. 579. N. 1. Alſo ſind die geſelligen Hand-
lungen dieſer Thiere unmittelbare oder zufaͤllige Seelenwir-
kungen der Empfindungen ihrer aͤußern ſinnlichen Eindruͤ-
cke. Nun iſt es unſtreitig, daß alle ſowohl unmittelbare
als zufaͤllige Seelenwirkungen aͤußerer Empfindungen
ſchlechterdings auch nur Nervenwirkungen eben derſelben
aͤußern ſinnlichen Eindruͤcke ſeyn koͤnnen, §. 625. N. 2.
mithin
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 639. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/663>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.