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Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

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2 Kap. Hauptgattungen existirender Thiere.
"schwärmen wollen; sie entfliehen, wenn sie etwas unver-
"muthet sehen, wie die Fliegen; sie riechen den Gestank oder
"den Dunst ihrer Weide und gehen ihm nach. Jn diesen
"Handlungen offenbaret sich überall ein Bestreben, um
"Triebe zu befriedigen, das sich willkührlich bestimmet, und
"ein Thier, das so handelt, muß beseelt seyn." Auch die-
ser Grund hat einen großen Schein: allein es ist unwider-
sprechlich, und schon so eben beym dritten Einwurfe gezei-
get worden, daß blos die äußern sinnlichen Eindrücke in
die Nerven der Gliedmaßen der Sinne, unabhänglich da-
von, ob die Thiere sie empfinden oder nicht, die Thiere be-
stimmen, willkührliche Handlungen als bloße Nervenwir-
kungen nachzuahmen, und daß sie dieß alles ohne eigne Ab-
sicht auf die Befriedigung einer ihnen beywohnenden Be-
gierde, oder eines sie bewegenden Triebes thun. §. 263 --
269. 552 -- 561. Wie kann man es für eine noth-
wendige Folge von der Einbildung eines angenehmen Ge-
schmacks, die Appetit erreget, halten, wenn die Jnsekten
nach ihren Speisen trachten, und sich, um sie zu erlangen,
dem Scheine nach willkührlich bemühen, da nicht einmal
ein neugebornes Kind um des Geschmacks der Milch wil-
len den Mund spitzen und an der Luft saugen kann, ehe es
an einer Brust gelegen hat, und da eine enthauptete Schild-
kröte und Schnecke, die doch unmöglich ein Trieb reizen
kann, dem Ansehen nach willkührlich umherkriecht, um
Nahrung zu finden. Wie kann es eine Absicht, andre
von einer Gefahr zu benachrichtigen, beweisen, wenn ein
Thier denen, mit welchen es in Gesellschaft lebet, ein Zei-
chen giebt, das sie insgesammt in unruhige Beschäftigung
setzet, wie man von den Ameisen saget, da die enthaupteten
Grillen und Schmetterlinge von äußern sinnlichen Eindrü-
cken ihr Zeichen der Liebe mit den Flügeln auch geben, und
die enthaupteten Männchen dadurch bestimmet werden, sich
mit ihnen zu begatten, und da auch ein äußerer sinnlicher
Eindruck, wie der von einem solchen Zeichen, eine enthau-
ptete Fliege, die man anrühret, zu den bey denkenden

Thieren

2 Kap. Hauptgattungen exiſtirender Thiere.
„ſchwaͤrmen wollen; ſie entfliehen, wenn ſie etwas unver-
„muthet ſehen, wie die Fliegen; ſie riechen den Geſtank oder
„den Dunſt ihrer Weide und gehen ihm nach. Jn dieſen
„Handlungen offenbaret ſich uͤberall ein Beſtreben, um
„Triebe zu befriedigen, das ſich willkuͤhrlich beſtimmet, und
„ein Thier, das ſo handelt, muß beſeelt ſeyn.“ Auch die-
ſer Grund hat einen großen Schein: allein es iſt unwider-
ſprechlich, und ſchon ſo eben beym dritten Einwurfe gezei-
get worden, daß blos die aͤußern ſinnlichen Eindruͤcke in
die Nerven der Gliedmaßen der Sinne, unabhaͤnglich da-
von, ob die Thiere ſie empfinden oder nicht, die Thiere be-
ſtimmen, willkuͤhrliche Handlungen als bloße Nervenwir-
kungen nachzuahmen, und daß ſie dieß alles ohne eigne Ab-
ſicht auf die Befriedigung einer ihnen beywohnenden Be-
gierde, oder eines ſie bewegenden Triebes thun. §. 263 —
269. 552 — 561. Wie kann man es fuͤr eine noth-
wendige Folge von der Einbildung eines angenehmen Ge-
ſchmacks, die Appetit erreget, halten, wenn die Jnſekten
nach ihren Speiſen trachten, und ſich, um ſie zu erlangen,
dem Scheine nach willkuͤhrlich bemuͤhen, da nicht einmal
ein neugebornes Kind um des Geſchmacks der Milch wil-
len den Mund ſpitzen und an der Luft ſaugen kann, ehe es
an einer Bruſt gelegen hat, und da eine enthauptete Schild-
kroͤte und Schnecke, die doch unmoͤglich ein Trieb reizen
kann, dem Anſehen nach willkuͤhrlich umherkriecht, um
Nahrung zu finden. Wie kann es eine Abſicht, andre
von einer Gefahr zu benachrichtigen, beweiſen, wenn ein
Thier denen, mit welchen es in Geſellſchaft lebet, ein Zei-
chen giebt, das ſie insgeſammt in unruhige Beſchaͤftigung
ſetzet, wie man von den Ameiſen ſaget, da die enthaupteten
Grillen und Schmetterlinge von aͤußern ſinnlichen Eindruͤ-
cken ihr Zeichen der Liebe mit den Fluͤgeln auch geben, und
die enthaupteten Maͤnnchen dadurch beſtimmet werden, ſich
mit ihnen zu begatten, und da auch ein aͤußerer ſinnlicher
Eindruck, wie der von einem ſolchen Zeichen, eine enthau-
ptete Fliege, die man anruͤhret, zu den bey denkenden

Thieren
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[637/0661] 2 Kap. Hauptgattungen exiſtirender Thiere. „ſchwaͤrmen wollen; ſie entfliehen, wenn ſie etwas unver- „muthet ſehen, wie die Fliegen; ſie riechen den Geſtank oder „den Dunſt ihrer Weide und gehen ihm nach. Jn dieſen „Handlungen offenbaret ſich uͤberall ein Beſtreben, um „Triebe zu befriedigen, das ſich willkuͤhrlich beſtimmet, und „ein Thier, das ſo handelt, muß beſeelt ſeyn.“ Auch die- ſer Grund hat einen großen Schein: allein es iſt unwider- ſprechlich, und ſchon ſo eben beym dritten Einwurfe gezei- get worden, daß blos die aͤußern ſinnlichen Eindruͤcke in die Nerven der Gliedmaßen der Sinne, unabhaͤnglich da- von, ob die Thiere ſie empfinden oder nicht, die Thiere be- ſtimmen, willkuͤhrliche Handlungen als bloße Nervenwir- kungen nachzuahmen, und daß ſie dieß alles ohne eigne Ab- ſicht auf die Befriedigung einer ihnen beywohnenden Be- gierde, oder eines ſie bewegenden Triebes thun. §. 263 — 269. 552 — 561. Wie kann man es fuͤr eine noth- wendige Folge von der Einbildung eines angenehmen Ge- ſchmacks, die Appetit erreget, halten, wenn die Jnſekten nach ihren Speiſen trachten, und ſich, um ſie zu erlangen, dem Scheine nach willkuͤhrlich bemuͤhen, da nicht einmal ein neugebornes Kind um des Geſchmacks der Milch wil- len den Mund ſpitzen und an der Luft ſaugen kann, ehe es an einer Bruſt gelegen hat, und da eine enthauptete Schild- kroͤte und Schnecke, die doch unmoͤglich ein Trieb reizen kann, dem Anſehen nach willkuͤhrlich umherkriecht, um Nahrung zu finden. Wie kann es eine Abſicht, andre von einer Gefahr zu benachrichtigen, beweiſen, wenn ein Thier denen, mit welchen es in Geſellſchaft lebet, ein Zei- chen giebt, das ſie insgeſammt in unruhige Beſchaͤftigung ſetzet, wie man von den Ameiſen ſaget, da die enthaupteten Grillen und Schmetterlinge von aͤußern ſinnlichen Eindruͤ- cken ihr Zeichen der Liebe mit den Fluͤgeln auch geben, und die enthaupteten Maͤnnchen dadurch beſtimmet werden, ſich mit ihnen zu begatten, und da auch ein aͤußerer ſinnlicher Eindruck, wie der von einem ſolchen Zeichen, eine enthau- ptete Fliege, die man anruͤhret, zu den bey denkenden Thieren

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Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 637. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/661>, abgerufen am 22.11.2024.