Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Ich gebe sie hin, entgegnete die gewesene Nonne, für eine einzige Stunde des Friedens! -- Eine lange Pause herrschte, man hörte nur das schmerzlich erschütterte Athemholen der jungen Frau und das leise Gebet des Greises. Es stürmte über die Haide. Die lange Winternacht hatte schon um die vierte Nachmittagstunde angefangen. Der Schnee fiel in dichten Flocken vom Himmel und fuhr in wirbelnden Massen über die Ebene hin, bald hier, bald dort Hügel bildend, durch die der Schlitten des Reisenden und der Fuß des Wanderers sich nur mit Mühe Bahn brach. Der Wind war kalt und schnitt empfindlich und verletzend auf die Haut ein, denn er führte eine Menge kleiner, schneidender Eiskrystalle mit sich, die wie Nadelstiche wirkten. Dabei machte die Dunkelheit und die fallende Schneelage es unmöglich, den Weg inne zu halten, oder dessen kaum erkennbare Spuren mit Genauigkeit zu verfolgen. Die Reisenden, die sich um diese Stunde unterwegs befanden, sorgten dafür, daß ihre Schlitten sich so nahe wie möglich zusammenfanden, damit der Schall der Glöckchen am Geschirr der Pferde gegenseitig als Warnungs- und Erkennungsstimme diene. Ein kleiner Zug solcher Schlitten bewegte sich eben über den Klostersee, den wir aus dem Anfang unserer Erzählung kennen, und nahm die Ich gebe sie hin, entgegnete die gewesene Nonne, für eine einzige Stunde des Friedens! — Eine lange Pause herrschte, man hörte nur das schmerzlich erschütterte Athemholen der jungen Frau und das leise Gebet des Greises. Es stürmte über die Haide. Die lange Winternacht hatte schon um die vierte Nachmittagstunde angefangen. Der Schnee fiel in dichten Flocken vom Himmel und fuhr in wirbelnden Massen über die Ebene hin, bald hier, bald dort Hügel bildend, durch die der Schlitten des Reisenden und der Fuß des Wanderers sich nur mit Mühe Bahn brach. Der Wind war kalt und schnitt empfindlich und verletzend auf die Haut ein, denn er führte eine Menge kleiner, schneidender Eiskrystalle mit sich, die wie Nadelstiche wirkten. Dabei machte die Dunkelheit und die fallende Schneelage es unmöglich, den Weg inne zu halten, oder dessen kaum erkennbare Spuren mit Genauigkeit zu verfolgen. Die Reisenden, die sich um diese Stunde unterwegs befanden, sorgten dafür, daß ihre Schlitten sich so nahe wie möglich zusammenfanden, damit der Schall der Glöckchen am Geschirr der Pferde gegenseitig als Warnungs- und Erkennungsstimme diene. Ein kleiner Zug solcher Schlitten bewegte sich eben über den Klostersee, den wir aus dem Anfang unserer Erzählung kennen, und nahm die <TEI> <text> <body> <div n="3"> <pb facs="#f0099"/> <p>Ich gebe sie hin, entgegnete die gewesene Nonne, für eine einzige Stunde des Friedens! — Eine lange Pause herrschte, man hörte nur das schmerzlich erschütterte Athemholen der jungen Frau und das leise Gebet des Greises.</p><lb/> </div> <div n="4"> <p>Es stürmte über die Haide. Die lange Winternacht hatte schon um die vierte Nachmittagstunde angefangen. Der Schnee fiel in dichten Flocken vom Himmel und fuhr in wirbelnden Massen über die Ebene hin, bald hier, bald dort Hügel bildend, durch die der Schlitten des Reisenden und der Fuß des Wanderers sich nur mit Mühe Bahn brach. Der Wind war kalt und schnitt empfindlich und verletzend auf die Haut ein, denn er führte eine Menge kleiner, schneidender Eiskrystalle mit sich, die wie Nadelstiche wirkten. Dabei machte die Dunkelheit und die fallende Schneelage es unmöglich, den Weg inne zu halten, oder dessen kaum erkennbare Spuren mit Genauigkeit zu verfolgen. Die Reisenden, die sich um diese Stunde unterwegs befanden, sorgten dafür, daß ihre Schlitten sich so nahe wie möglich zusammenfanden, damit der Schall der Glöckchen am Geschirr der Pferde gegenseitig als Warnungs- und Erkennungsstimme diene. Ein kleiner Zug solcher Schlitten bewegte sich eben über den Klostersee, den wir aus dem Anfang unserer Erzählung kennen, und nahm die<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0099]
Ich gebe sie hin, entgegnete die gewesene Nonne, für eine einzige Stunde des Friedens! — Eine lange Pause herrschte, man hörte nur das schmerzlich erschütterte Athemholen der jungen Frau und das leise Gebet des Greises.
Es stürmte über die Haide. Die lange Winternacht hatte schon um die vierte Nachmittagstunde angefangen. Der Schnee fiel in dichten Flocken vom Himmel und fuhr in wirbelnden Massen über die Ebene hin, bald hier, bald dort Hügel bildend, durch die der Schlitten des Reisenden und der Fuß des Wanderers sich nur mit Mühe Bahn brach. Der Wind war kalt und schnitt empfindlich und verletzend auf die Haut ein, denn er führte eine Menge kleiner, schneidender Eiskrystalle mit sich, die wie Nadelstiche wirkten. Dabei machte die Dunkelheit und die fallende Schneelage es unmöglich, den Weg inne zu halten, oder dessen kaum erkennbare Spuren mit Genauigkeit zu verfolgen. Die Reisenden, die sich um diese Stunde unterwegs befanden, sorgten dafür, daß ihre Schlitten sich so nahe wie möglich zusammenfanden, damit der Schall der Glöckchen am Geschirr der Pferde gegenseitig als Warnungs- und Erkennungsstimme diene. Ein kleiner Zug solcher Schlitten bewegte sich eben über den Klostersee, den wir aus dem Anfang unserer Erzählung kennen, und nahm die
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Zitationshilfe: | Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/99>, abgerufen am 16.02.2025. |