Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.standen mystische Gebilde, von einem fremden, aber wunderbar fesselnden Geiste eingegeben. Mehre dieser Blätter bewahrte Scholastika. Auf einem derselben sah man einen breiten Strom, der einen Fall jähe Felsen hinab that. Auf dem Spiegel des Wassers und in einiger Entfernung von seinem Sturze erblickte der Beschauer eine Anzahl Kähne in Form von Särgen. In jedem dieser Kähne oder schwimmenden Särge lag ein bleicher, hingestreckter Körper mit enthülltem Antlitz. Dieses Antlitz zeigte Kälte und starre Ruhe bei denjenigen Schiffenden, die vom Sturze noch entfernt waren, bei andern jedoch, die schon nah und immer näher dem Wasserfalle kamen, ging die leblose Todtenmaske der Schläfer in den Ausdruck der Angst, der Qual, des Entsetzens über, und bei denen, die dem Sturze ganz nahe waren, sah man Verzerrungen, wie sie die gräßlichste Pein nur auf ein Menschengesicht zeichnen kann. Der Strom war öde, die Ufer nackt, der Himmel ohne Sterne, ohne Mond, ohne Sonne. Scholastika sah in diesem Bilde die Geschicke der Seelen, die, durch Sünde und Thorheit entwürdigt, dem Gerichte entgegeneilen; eine grausenvolle Hindeutung auf den Tod und den Schlummer im Grabe. Ein anderes Bild zeigte ein Meer von Blut, auf dem drei silberne Todtenköpfe schwammen. Ein Engel hob einen dieser Köpfe aus der Blutlake, und siehe, es haftete kein Flecken an ihm. Aus Blut und Verwesung, aus Nacht und Grauen geht die schöne, helle Stirn des Frommen ungetrübt und un- standen mystische Gebilde, von einem fremden, aber wunderbar fesselnden Geiste eingegeben. Mehre dieser Blätter bewahrte Scholastika. Auf einem derselben sah man einen breiten Strom, der einen Fall jähe Felsen hinab that. Auf dem Spiegel des Wassers und in einiger Entfernung von seinem Sturze erblickte der Beschauer eine Anzahl Kähne in Form von Särgen. In jedem dieser Kähne oder schwimmenden Särge lag ein bleicher, hingestreckter Körper mit enthülltem Antlitz. Dieses Antlitz zeigte Kälte und starre Ruhe bei denjenigen Schiffenden, die vom Sturze noch entfernt waren, bei andern jedoch, die schon nah und immer näher dem Wasserfalle kamen, ging die leblose Todtenmaske der Schläfer in den Ausdruck der Angst, der Qual, des Entsetzens über, und bei denen, die dem Sturze ganz nahe waren, sah man Verzerrungen, wie sie die gräßlichste Pein nur auf ein Menschengesicht zeichnen kann. Der Strom war öde, die Ufer nackt, der Himmel ohne Sterne, ohne Mond, ohne Sonne. Scholastika sah in diesem Bilde die Geschicke der Seelen, die, durch Sünde und Thorheit entwürdigt, dem Gerichte entgegeneilen; eine grausenvolle Hindeutung auf den Tod und den Schlummer im Grabe. Ein anderes Bild zeigte ein Meer von Blut, auf dem drei silberne Todtenköpfe schwammen. Ein Engel hob einen dieser Köpfe aus der Blutlake, und siehe, es haftete kein Flecken an ihm. Aus Blut und Verwesung, aus Nacht und Grauen geht die schöne, helle Stirn des Frommen ungetrübt und un- <TEI> <text> <body> <div n="2"> <p><pb facs="#f0047"/> standen mystische Gebilde, von einem fremden, aber wunderbar fesselnden Geiste eingegeben. Mehre dieser Blätter bewahrte Scholastika. Auf einem derselben sah man einen breiten Strom, der einen Fall jähe Felsen hinab that. Auf dem Spiegel des Wassers und in einiger Entfernung von seinem Sturze erblickte der Beschauer eine Anzahl Kähne in Form von Särgen. In jedem dieser Kähne oder schwimmenden Särge lag ein bleicher, hingestreckter Körper mit enthülltem Antlitz. Dieses Antlitz zeigte Kälte und starre Ruhe bei denjenigen Schiffenden, die vom Sturze noch entfernt waren, bei andern jedoch, die schon nah und immer näher dem Wasserfalle kamen, ging die leblose Todtenmaske der Schläfer in den Ausdruck der Angst, der Qual, des Entsetzens über, und bei denen, die dem Sturze ganz nahe waren, sah man Verzerrungen, wie sie die gräßlichste Pein nur auf ein Menschengesicht zeichnen kann. Der Strom war öde, die Ufer nackt, der Himmel ohne Sterne, ohne Mond, ohne Sonne. Scholastika sah in diesem Bilde die Geschicke der Seelen, die, durch Sünde und Thorheit entwürdigt, dem Gerichte entgegeneilen; eine grausenvolle Hindeutung auf den Tod und den Schlummer im Grabe. Ein anderes Bild zeigte ein Meer von Blut, auf dem drei silberne Todtenköpfe schwammen. Ein Engel hob einen dieser Köpfe aus der Blutlake, und siehe, es haftete kein Flecken an ihm. Aus Blut und Verwesung, aus Nacht und Grauen geht die schöne, helle Stirn des Frommen ungetrübt und un-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0047]
standen mystische Gebilde, von einem fremden, aber wunderbar fesselnden Geiste eingegeben. Mehre dieser Blätter bewahrte Scholastika. Auf einem derselben sah man einen breiten Strom, der einen Fall jähe Felsen hinab that. Auf dem Spiegel des Wassers und in einiger Entfernung von seinem Sturze erblickte der Beschauer eine Anzahl Kähne in Form von Särgen. In jedem dieser Kähne oder schwimmenden Särge lag ein bleicher, hingestreckter Körper mit enthülltem Antlitz. Dieses Antlitz zeigte Kälte und starre Ruhe bei denjenigen Schiffenden, die vom Sturze noch entfernt waren, bei andern jedoch, die schon nah und immer näher dem Wasserfalle kamen, ging die leblose Todtenmaske der Schläfer in den Ausdruck der Angst, der Qual, des Entsetzens über, und bei denen, die dem Sturze ganz nahe waren, sah man Verzerrungen, wie sie die gräßlichste Pein nur auf ein Menschengesicht zeichnen kann. Der Strom war öde, die Ufer nackt, der Himmel ohne Sterne, ohne Mond, ohne Sonne. Scholastika sah in diesem Bilde die Geschicke der Seelen, die, durch Sünde und Thorheit entwürdigt, dem Gerichte entgegeneilen; eine grausenvolle Hindeutung auf den Tod und den Schlummer im Grabe. Ein anderes Bild zeigte ein Meer von Blut, auf dem drei silberne Todtenköpfe schwammen. Ein Engel hob einen dieser Köpfe aus der Blutlake, und siehe, es haftete kein Flecken an ihm. Aus Blut und Verwesung, aus Nacht und Grauen geht die schöne, helle Stirn des Frommen ungetrübt und un-
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Zitationshilfe: | Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/47>, abgerufen am 16.02.2025. |