Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.doch Niemand zu uns in die Kirche. Die Zeiten sind vorbei, von denen die alten Chroniken erzählen, wo Klosterfrauen beunruhigt wurden von gefährlichen und leichtsinnigen Rittern, oder wo Drachen Jungfrauen zum Vesperbrod verzehrten, wie man eine frische Semmel aufspeis't. Das waren noch Zeiten, wo ein junges Mädchen mit vielem Vergnügen ins Kloster ging, denn die Mädchen damals, eben so wie die von heute, mußten geliebt haben, daß man sich etwas um sie kümmerte und sie nicht so gänzlich unangefochten zu alten Damen herunterkommen ließ. Ich, für meinen Theil wenigstens, will lieber mit einem Drachen irgend ein aufregendes und erhitzendes Zusammentreffen haben, als die ewige Gleichförmigkeit unserer Tage erdulden. -- Scholastika erklärte den beiden Schwätzerinnen, daß sie allein sein möchte, Marfa faßte Feodora unterm Arm, und Beide schickten sich zum Gehen an, die Letztere hüpfte aber nochmals zu ihrer Freundin und rief, sie küssend: Versprich mir, daß du heute Abend mit in die Kirche kommst, du mußt den Bojaren und den Zaren auch sehen. Gieb Acht, sie werden deinem ernsten Gesicht auch ein Lächeln des Beifalls ablocken. Besonders die dunkeln Augen meines Zars werden nicht ohne Eindruck auf dich bleiben! Darauf möchte ich wetten. Wie hass' ich das, sagte Scholastika bei sich selbst, als sie allein sich sah, jede Erscheinung ins Thörichte und Lächerliche zu ziehen. Wie wenig Tiefe des Gedankens giebt dies kund. Und doch ist diese schwache und ver- doch Niemand zu uns in die Kirche. Die Zeiten sind vorbei, von denen die alten Chroniken erzählen, wo Klosterfrauen beunruhigt wurden von gefährlichen und leichtsinnigen Rittern, oder wo Drachen Jungfrauen zum Vesperbrod verzehrten, wie man eine frische Semmel aufspeis't. Das waren noch Zeiten, wo ein junges Mädchen mit vielem Vergnügen ins Kloster ging, denn die Mädchen damals, eben so wie die von heute, mußten geliebt haben, daß man sich etwas um sie kümmerte und sie nicht so gänzlich unangefochten zu alten Damen herunterkommen ließ. Ich, für meinen Theil wenigstens, will lieber mit einem Drachen irgend ein aufregendes und erhitzendes Zusammentreffen haben, als die ewige Gleichförmigkeit unserer Tage erdulden. — Scholastika erklärte den beiden Schwätzerinnen, daß sie allein sein möchte, Marfa faßte Feodora unterm Arm, und Beide schickten sich zum Gehen an, die Letztere hüpfte aber nochmals zu ihrer Freundin und rief, sie küssend: Versprich mir, daß du heute Abend mit in die Kirche kommst, du mußt den Bojaren und den Zaren auch sehen. Gieb Acht, sie werden deinem ernsten Gesicht auch ein Lächeln des Beifalls ablocken. Besonders die dunkeln Augen meines Zars werden nicht ohne Eindruck auf dich bleiben! Darauf möchte ich wetten. Wie hass' ich das, sagte Scholastika bei sich selbst, als sie allein sich sah, jede Erscheinung ins Thörichte und Lächerliche zu ziehen. Wie wenig Tiefe des Gedankens giebt dies kund. Und doch ist diese schwache und ver- <TEI> <text> <body> <div n="2"> <p><pb facs="#f0043"/> doch Niemand zu uns in die Kirche. Die Zeiten sind vorbei, von denen die alten Chroniken erzählen, wo Klosterfrauen beunruhigt wurden von gefährlichen und leichtsinnigen Rittern, oder wo Drachen Jungfrauen zum Vesperbrod verzehrten, wie man eine frische Semmel aufspeis't. Das waren noch Zeiten, wo ein junges Mädchen mit vielem Vergnügen ins Kloster ging, denn die Mädchen damals, eben so wie die von heute, mußten geliebt haben, daß man sich etwas um sie kümmerte und sie nicht so gänzlich unangefochten zu alten Damen herunterkommen ließ. Ich, für meinen Theil wenigstens, will lieber mit einem Drachen irgend ein aufregendes und erhitzendes Zusammentreffen haben, als die ewige Gleichförmigkeit unserer Tage erdulden. — Scholastika erklärte den beiden Schwätzerinnen, daß sie allein sein möchte, Marfa faßte Feodora unterm Arm, und Beide schickten sich zum Gehen an, die Letztere hüpfte aber nochmals zu ihrer Freundin und rief, sie küssend: Versprich mir, daß du heute Abend mit in die Kirche kommst, du mußt den Bojaren und den Zaren auch sehen. Gieb Acht, sie werden deinem ernsten Gesicht auch ein Lächeln des Beifalls ablocken. Besonders die dunkeln Augen meines Zars werden nicht ohne Eindruck auf dich bleiben! Darauf möchte ich wetten.</p><lb/> <p>Wie hass' ich das, sagte Scholastika bei sich selbst, als sie allein sich sah, jede Erscheinung ins Thörichte und Lächerliche zu ziehen. Wie wenig Tiefe des Gedankens giebt dies kund. Und doch ist diese schwache und ver-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0043]
doch Niemand zu uns in die Kirche. Die Zeiten sind vorbei, von denen die alten Chroniken erzählen, wo Klosterfrauen beunruhigt wurden von gefährlichen und leichtsinnigen Rittern, oder wo Drachen Jungfrauen zum Vesperbrod verzehrten, wie man eine frische Semmel aufspeis't. Das waren noch Zeiten, wo ein junges Mädchen mit vielem Vergnügen ins Kloster ging, denn die Mädchen damals, eben so wie die von heute, mußten geliebt haben, daß man sich etwas um sie kümmerte und sie nicht so gänzlich unangefochten zu alten Damen herunterkommen ließ. Ich, für meinen Theil wenigstens, will lieber mit einem Drachen irgend ein aufregendes und erhitzendes Zusammentreffen haben, als die ewige Gleichförmigkeit unserer Tage erdulden. — Scholastika erklärte den beiden Schwätzerinnen, daß sie allein sein möchte, Marfa faßte Feodora unterm Arm, und Beide schickten sich zum Gehen an, die Letztere hüpfte aber nochmals zu ihrer Freundin und rief, sie küssend: Versprich mir, daß du heute Abend mit in die Kirche kommst, du mußt den Bojaren und den Zaren auch sehen. Gieb Acht, sie werden deinem ernsten Gesicht auch ein Lächeln des Beifalls ablocken. Besonders die dunkeln Augen meines Zars werden nicht ohne Eindruck auf dich bleiben! Darauf möchte ich wetten.
Wie hass' ich das, sagte Scholastika bei sich selbst, als sie allein sich sah, jede Erscheinung ins Thörichte und Lächerliche zu ziehen. Wie wenig Tiefe des Gedankens giebt dies kund. Und doch ist diese schwache und ver-
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Zitationshilfe: | Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/43>, abgerufen am 16.02.2025. |