Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.einander betrübt und erschreckt an und brachen dann in Klagen über die zerstörte Zeichnung aus. Während Marfa die einzelnen Stücke auflas und zusammenzusetzen versuchte, sagte Feodora, indem sie die Hände ihrer ältern Freundin ergriff und sie zärtlich an den Busen drückte: Nun, sei nicht böse, Schola. Was geschehen ist, läßt sich nicht mehr zurücknehmen, so unser Lachen über das ergötzliche Bild. Bei der Gelegenheit will ich dir sagen, daß diese jungen Männer mir sehr gut gefallen haben. Ich dachte hin und her, wem von meinen Verwandten sie ähnlich sähen, aber ich fand keinen; denn Michael, mein Bruder, hat zwar auch einen Schnurrbart, aber seine Lippen unter dem Barte sind nicht so roth und seine Zähne nicht so weiß, als der Jüngere von den beiden sie aufzuweisen hatte, und bei dem Aelteren fand ich die Tritte weit ebenmäßiger und zierlicher, als bei Gregor, meinem Vetter, der bei der Garde dient und ein Schnürleib trägt. Du hast vergessen zu bemerken, rief Marfa vom Boden auf, daß der Jüngere fortwährend eine Lorgnette vors Auge schob und so zu unserm Gitter hinaufsah, was äußerst possierlich anzuschauen war. Der Aeltere aber that dies nicht. -- Und warum that er's nicht? rief Feodora lebhaft; weil er es nicht für schicklich fand, auf diese Weise zu uns hinaufzusehen, und ich geb' ihm hierin Recht. Des Jüngern Betragen war durchaus nicht so, wie es sich für den Ort und die Personen, in deren Mitte er sich befand, ziemte. Ich will dies gegen Jedermann behaupten. -- Und ich finde, daß er einander betrübt und erschreckt an und brachen dann in Klagen über die zerstörte Zeichnung aus. Während Marfa die einzelnen Stücke auflas und zusammenzusetzen versuchte, sagte Feodora, indem sie die Hände ihrer ältern Freundin ergriff und sie zärtlich an den Busen drückte: Nun, sei nicht böse, Schola. Was geschehen ist, läßt sich nicht mehr zurücknehmen, so unser Lachen über das ergötzliche Bild. Bei der Gelegenheit will ich dir sagen, daß diese jungen Männer mir sehr gut gefallen haben. Ich dachte hin und her, wem von meinen Verwandten sie ähnlich sähen, aber ich fand keinen; denn Michael, mein Bruder, hat zwar auch einen Schnurrbart, aber seine Lippen unter dem Barte sind nicht so roth und seine Zähne nicht so weiß, als der Jüngere von den beiden sie aufzuweisen hatte, und bei dem Aelteren fand ich die Tritte weit ebenmäßiger und zierlicher, als bei Gregor, meinem Vetter, der bei der Garde dient und ein Schnürleib trägt. Du hast vergessen zu bemerken, rief Marfa vom Boden auf, daß der Jüngere fortwährend eine Lorgnette vors Auge schob und so zu unserm Gitter hinaufsah, was äußerst possierlich anzuschauen war. Der Aeltere aber that dies nicht. — Und warum that er's nicht? rief Feodora lebhaft; weil er es nicht für schicklich fand, auf diese Weise zu uns hinaufzusehen, und ich geb' ihm hierin Recht. Des Jüngern Betragen war durchaus nicht so, wie es sich für den Ort und die Personen, in deren Mitte er sich befand, ziemte. Ich will dies gegen Jedermann behaupten. — Und ich finde, daß er <TEI> <text> <body> <div n="2"> <p><pb facs="#f0041"/> einander betrübt und erschreckt an und brachen dann in Klagen über die zerstörte Zeichnung aus. Während Marfa die einzelnen Stücke auflas und zusammenzusetzen versuchte, sagte Feodora, indem sie die Hände ihrer ältern Freundin ergriff und sie zärtlich an den Busen drückte: Nun, sei nicht böse, Schola. Was geschehen ist, läßt sich nicht mehr zurücknehmen, so unser Lachen über das ergötzliche Bild. Bei der Gelegenheit will ich dir sagen, daß diese jungen Männer mir sehr gut gefallen haben. Ich dachte hin und her, wem von meinen Verwandten sie ähnlich sähen, aber ich fand keinen; denn Michael, mein Bruder, hat zwar auch einen Schnurrbart, aber seine Lippen unter dem Barte sind nicht so roth und seine Zähne nicht so weiß, als der Jüngere von den beiden sie aufzuweisen hatte, und bei dem Aelteren fand ich die Tritte weit ebenmäßiger und zierlicher, als bei Gregor, meinem Vetter, der bei der Garde dient und ein Schnürleib trägt. Du hast vergessen zu bemerken, rief Marfa vom Boden auf, daß der Jüngere fortwährend eine Lorgnette vors Auge schob und so zu unserm Gitter hinaufsah, was äußerst possierlich anzuschauen war. Der Aeltere aber that dies nicht. — Und warum that er's nicht? rief Feodora lebhaft; weil er es nicht für schicklich fand, auf diese Weise zu uns hinaufzusehen, und ich geb' ihm hierin Recht. Des Jüngern Betragen war durchaus nicht so, wie es sich für den Ort und die Personen, in deren Mitte er sich befand, ziemte. Ich will dies gegen Jedermann behaupten. — Und ich finde, daß er<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0041]
einander betrübt und erschreckt an und brachen dann in Klagen über die zerstörte Zeichnung aus. Während Marfa die einzelnen Stücke auflas und zusammenzusetzen versuchte, sagte Feodora, indem sie die Hände ihrer ältern Freundin ergriff und sie zärtlich an den Busen drückte: Nun, sei nicht böse, Schola. Was geschehen ist, läßt sich nicht mehr zurücknehmen, so unser Lachen über das ergötzliche Bild. Bei der Gelegenheit will ich dir sagen, daß diese jungen Männer mir sehr gut gefallen haben. Ich dachte hin und her, wem von meinen Verwandten sie ähnlich sähen, aber ich fand keinen; denn Michael, mein Bruder, hat zwar auch einen Schnurrbart, aber seine Lippen unter dem Barte sind nicht so roth und seine Zähne nicht so weiß, als der Jüngere von den beiden sie aufzuweisen hatte, und bei dem Aelteren fand ich die Tritte weit ebenmäßiger und zierlicher, als bei Gregor, meinem Vetter, der bei der Garde dient und ein Schnürleib trägt. Du hast vergessen zu bemerken, rief Marfa vom Boden auf, daß der Jüngere fortwährend eine Lorgnette vors Auge schob und so zu unserm Gitter hinaufsah, was äußerst possierlich anzuschauen war. Der Aeltere aber that dies nicht. — Und warum that er's nicht? rief Feodora lebhaft; weil er es nicht für schicklich fand, auf diese Weise zu uns hinaufzusehen, und ich geb' ihm hierin Recht. Des Jüngern Betragen war durchaus nicht so, wie es sich für den Ort und die Personen, in deren Mitte er sich befand, ziemte. Ich will dies gegen Jedermann behaupten. — Und ich finde, daß er
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Zitationshilfe: | Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/41>, abgerufen am 27.07.2024. |