Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.denen meine Seele Andachtsküsse aufhaucht, zeigen mir an, wie ich mein Tagewerk einzurichten habe. Ich male, und jeder meiner Pinselstriche ist ein warmer, hüpfender Pulsschlag meines Lebens, in jede geschwungene Linie lege ich die Entzückungen und die paradiesischen Schmerzen meiner Seele nieder. O, ich bin glücklich! Könnten fünfzig Jahre so über mein Haupt dahingehen, jeder Tag, jede Stunde so mit einsamer Lust gefüllt wie diese, wie freudig dankte ich dann dem Schöpfer meiner Tage! -- Als die Nonne so sprach, senkte sich ihr Blick auf die Erde -- sie lag kalt, weiß, todt und starr vor ihr hingebreitet; auch eine weiße Stirn, hinter deren harter Decke die Blumen, die Gedanken des Frühlings, verschlossen ruhten. Der ferne Nebel bildete Thürme und Zinnen einer großen Stadt, dann einen Fluß, auf dem Kähne sich schaukelten, dann ein weites, wogendes Meer, auf dem Schiffe dahinflogen, dann wieder ein einsames Felsengestade, von dem Adler sich erhoben. Der Geist der Erde trat zu der einsamen Nonne und flüsterte ihr zu: Du kennst den Boden nicht, den du betrittst; er enthält viel des Schönen! Laß mich! rief die bebende Jungfrau, ich will ihn nicht kennen. Für mich sei ewig diese Schneedecke über die Erde gebreitet. Laß mir nur diese Seligkeiten, dieses Zusammenschmelzen mit Gott, dieses süße An-die-Brust-sinken der Heiligen! Und dann ein Tod, wie das Verwelken und Hinsinken der Blume. Die Morgenstunden brachten der Ermüdeten einen kurzen Schlummer; sie wurde aus ihm erweckt durch die denen meine Seele Andachtsküsse aufhaucht, zeigen mir an, wie ich mein Tagewerk einzurichten habe. Ich male, und jeder meiner Pinselstriche ist ein warmer, hüpfender Pulsschlag meines Lebens, in jede geschwungene Linie lege ich die Entzückungen und die paradiesischen Schmerzen meiner Seele nieder. O, ich bin glücklich! Könnten fünfzig Jahre so über mein Haupt dahingehen, jeder Tag, jede Stunde so mit einsamer Lust gefüllt wie diese, wie freudig dankte ich dann dem Schöpfer meiner Tage! — Als die Nonne so sprach, senkte sich ihr Blick auf die Erde — sie lag kalt, weiß, todt und starr vor ihr hingebreitet; auch eine weiße Stirn, hinter deren harter Decke die Blumen, die Gedanken des Frühlings, verschlossen ruhten. Der ferne Nebel bildete Thürme und Zinnen einer großen Stadt, dann einen Fluß, auf dem Kähne sich schaukelten, dann ein weites, wogendes Meer, auf dem Schiffe dahinflogen, dann wieder ein einsames Felsengestade, von dem Adler sich erhoben. Der Geist der Erde trat zu der einsamen Nonne und flüsterte ihr zu: Du kennst den Boden nicht, den du betrittst; er enthält viel des Schönen! Laß mich! rief die bebende Jungfrau, ich will ihn nicht kennen. Für mich sei ewig diese Schneedecke über die Erde gebreitet. Laß mir nur diese Seligkeiten, dieses Zusammenschmelzen mit Gott, dieses süße An-die-Brust-sinken der Heiligen! Und dann ein Tod, wie das Verwelken und Hinsinken der Blume. Die Morgenstunden brachten der Ermüdeten einen kurzen Schlummer; sie wurde aus ihm erweckt durch die <TEI> <text> <body> <div n="2"> <p><pb facs="#f0039"/> denen meine Seele Andachtsküsse aufhaucht, zeigen mir an, wie ich mein Tagewerk einzurichten habe. Ich male, und jeder meiner Pinselstriche ist ein warmer, hüpfender Pulsschlag meines Lebens, in jede geschwungene Linie lege ich die Entzückungen und die paradiesischen Schmerzen meiner Seele nieder. O, ich bin glücklich! Könnten fünfzig Jahre so über mein Haupt dahingehen, jeder Tag, jede Stunde so mit einsamer Lust gefüllt wie diese, wie freudig dankte ich dann dem Schöpfer meiner Tage! —</p><lb/> <p>Als die Nonne so sprach, senkte sich ihr Blick auf die Erde — sie lag kalt, weiß, todt und starr vor ihr hingebreitet; auch eine weiße Stirn, hinter deren harter Decke die Blumen, die Gedanken des Frühlings, verschlossen ruhten. Der ferne Nebel bildete Thürme und Zinnen einer großen Stadt, dann einen Fluß, auf dem Kähne sich schaukelten, dann ein weites, wogendes Meer, auf dem Schiffe dahinflogen, dann wieder ein einsames Felsengestade, von dem Adler sich erhoben. Der Geist der Erde trat zu der einsamen Nonne und flüsterte ihr zu: Du kennst den Boden nicht, den du betrittst; er enthält viel des Schönen! Laß mich! rief die bebende Jungfrau, ich will ihn nicht kennen. Für mich sei ewig diese Schneedecke über die Erde gebreitet. Laß mir nur diese Seligkeiten, dieses Zusammenschmelzen mit Gott, dieses süße An-die-Brust-sinken der Heiligen! Und dann ein Tod, wie das Verwelken und Hinsinken der Blume.</p><lb/> <p>Die Morgenstunden brachten der Ermüdeten einen kurzen Schlummer; sie wurde aus ihm erweckt durch die<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0039]
denen meine Seele Andachtsküsse aufhaucht, zeigen mir an, wie ich mein Tagewerk einzurichten habe. Ich male, und jeder meiner Pinselstriche ist ein warmer, hüpfender Pulsschlag meines Lebens, in jede geschwungene Linie lege ich die Entzückungen und die paradiesischen Schmerzen meiner Seele nieder. O, ich bin glücklich! Könnten fünfzig Jahre so über mein Haupt dahingehen, jeder Tag, jede Stunde so mit einsamer Lust gefüllt wie diese, wie freudig dankte ich dann dem Schöpfer meiner Tage! —
Als die Nonne so sprach, senkte sich ihr Blick auf die Erde — sie lag kalt, weiß, todt und starr vor ihr hingebreitet; auch eine weiße Stirn, hinter deren harter Decke die Blumen, die Gedanken des Frühlings, verschlossen ruhten. Der ferne Nebel bildete Thürme und Zinnen einer großen Stadt, dann einen Fluß, auf dem Kähne sich schaukelten, dann ein weites, wogendes Meer, auf dem Schiffe dahinflogen, dann wieder ein einsames Felsengestade, von dem Adler sich erhoben. Der Geist der Erde trat zu der einsamen Nonne und flüsterte ihr zu: Du kennst den Boden nicht, den du betrittst; er enthält viel des Schönen! Laß mich! rief die bebende Jungfrau, ich will ihn nicht kennen. Für mich sei ewig diese Schneedecke über die Erde gebreitet. Laß mir nur diese Seligkeiten, dieses Zusammenschmelzen mit Gott, dieses süße An-die-Brust-sinken der Heiligen! Und dann ein Tod, wie das Verwelken und Hinsinken der Blume.
Die Morgenstunden brachten der Ermüdeten einen kurzen Schlummer; sie wurde aus ihm erweckt durch die
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Zitationshilfe: | Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/39>, abgerufen am 27.07.2024. |