Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.hätten und die ihr nie hätten gehorchen wollen. Die Gutmüthigkeit der alten Klosterfrau war allgemein bekannt; in jedem Dorfe, durch das sie kam, war sie sogleich von Kindern umringt, die sich an ihre Stiefeln hingen und sie vom Pferde herabzuziehen versuchten. Sie theilte Bilderbogen aus und empfing dafür von den Eltern der Kleinen Tabak, Knoblauchpastetchen und Branntwein. In einer Schenke, wo sie oft einkehrte, hatte man ihr Bild an der Wand, und es fehlte diesem Bilde nie an einem frischen Kranze, oder an einem bunten Bande. Man nannte sie den Mönch, den Kosaken, den alten Trinker -- lauter männliche Spitznamen, denn in der That, wie hätte man bei einem Wesen dieser originellen Art an ein Weib und noch dazu an eine Nonne denken mögen. Wie Annuschka die Halle betrat, war das Erste, daß sie sich den Schnee von den Kleidern klopfte, ihre Tücher abriß und ihr rothes, gedunsenes Gesicht, dessen Kinn und Oberlippe ein sehr kenntlicher Bart zierte, sehen ließ, dann sich auf die Ofenbank warf und ihre Hände und Füße dem Feuer hinhielt. Hast du meinen Ultramarin gebracht? fragte Scholastika. Ja, mein Kätzchen. Wie sollte ich die Befehle meiner schönen Königin jemals vernachläßigen! Nimm ihn dort aus der Jagdtasche heraus, die kleine Dose befindet sich neben den zwei Birkhühnern. Ach, rief die junge Nonne unwillig, konntest du keinen bessern Platz finden. Sieh her, das Schächtelchen hätten und die ihr nie hätten gehorchen wollen. Die Gutmüthigkeit der alten Klosterfrau war allgemein bekannt; in jedem Dorfe, durch das sie kam, war sie sogleich von Kindern umringt, die sich an ihre Stiefeln hingen und sie vom Pferde herabzuziehen versuchten. Sie theilte Bilderbogen aus und empfing dafür von den Eltern der Kleinen Tabak, Knoblauchpastetchen und Branntwein. In einer Schenke, wo sie oft einkehrte, hatte man ihr Bild an der Wand, und es fehlte diesem Bilde nie an einem frischen Kranze, oder an einem bunten Bande. Man nannte sie den Mönch, den Kosaken, den alten Trinker — lauter männliche Spitznamen, denn in der That, wie hätte man bei einem Wesen dieser originellen Art an ein Weib und noch dazu an eine Nonne denken mögen. Wie Annuschka die Halle betrat, war das Erste, daß sie sich den Schnee von den Kleidern klopfte, ihre Tücher abriß und ihr rothes, gedunsenes Gesicht, dessen Kinn und Oberlippe ein sehr kenntlicher Bart zierte, sehen ließ, dann sich auf die Ofenbank warf und ihre Hände und Füße dem Feuer hinhielt. Hast du meinen Ultramarin gebracht? fragte Scholastika. Ja, mein Kätzchen. Wie sollte ich die Befehle meiner schönen Königin jemals vernachläßigen! Nimm ihn dort aus der Jagdtasche heraus, die kleine Dose befindet sich neben den zwei Birkhühnern. Ach, rief die junge Nonne unwillig, konntest du keinen bessern Platz finden. Sieh her, das Schächtelchen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0031"/> hätten und die ihr nie hätten gehorchen wollen. Die Gutmüthigkeit der alten Klosterfrau war allgemein bekannt; in jedem Dorfe, durch das sie kam, war sie sogleich von Kindern umringt, die sich an ihre Stiefeln hingen und sie vom Pferde herabzuziehen versuchten. Sie theilte Bilderbogen aus und empfing dafür von den Eltern der Kleinen Tabak, Knoblauchpastetchen und Branntwein. In einer Schenke, wo sie oft einkehrte, hatte man ihr Bild an der Wand, und es fehlte diesem Bilde nie an einem frischen Kranze, oder an einem bunten Bande. Man nannte sie den Mönch, den Kosaken, den alten Trinker — lauter männliche Spitznamen, denn in der That, wie hätte man bei einem Wesen dieser originellen Art an ein Weib und noch dazu an eine Nonne denken mögen.</p><lb/> <p>Wie Annuschka die Halle betrat, war das Erste, daß sie sich den Schnee von den Kleidern klopfte, ihre Tücher abriß und ihr rothes, gedunsenes Gesicht, dessen Kinn und Oberlippe ein sehr kenntlicher Bart zierte, sehen ließ, dann sich auf die Ofenbank warf und ihre Hände und Füße dem Feuer hinhielt.</p><lb/> <p>Hast du meinen Ultramarin gebracht? fragte Scholastika.</p><lb/> <p>Ja, mein Kätzchen. Wie sollte ich die Befehle meiner schönen Königin jemals vernachläßigen! Nimm ihn dort aus der Jagdtasche heraus, die kleine Dose befindet sich neben den zwei Birkhühnern.</p><lb/> <p>Ach, rief die junge Nonne unwillig, konntest du keinen bessern Platz finden. Sieh her, das Schächtelchen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0031]
hätten und die ihr nie hätten gehorchen wollen. Die Gutmüthigkeit der alten Klosterfrau war allgemein bekannt; in jedem Dorfe, durch das sie kam, war sie sogleich von Kindern umringt, die sich an ihre Stiefeln hingen und sie vom Pferde herabzuziehen versuchten. Sie theilte Bilderbogen aus und empfing dafür von den Eltern der Kleinen Tabak, Knoblauchpastetchen und Branntwein. In einer Schenke, wo sie oft einkehrte, hatte man ihr Bild an der Wand, und es fehlte diesem Bilde nie an einem frischen Kranze, oder an einem bunten Bande. Man nannte sie den Mönch, den Kosaken, den alten Trinker — lauter männliche Spitznamen, denn in der That, wie hätte man bei einem Wesen dieser originellen Art an ein Weib und noch dazu an eine Nonne denken mögen.
Wie Annuschka die Halle betrat, war das Erste, daß sie sich den Schnee von den Kleidern klopfte, ihre Tücher abriß und ihr rothes, gedunsenes Gesicht, dessen Kinn und Oberlippe ein sehr kenntlicher Bart zierte, sehen ließ, dann sich auf die Ofenbank warf und ihre Hände und Füße dem Feuer hinhielt.
Hast du meinen Ultramarin gebracht? fragte Scholastika.
Ja, mein Kätzchen. Wie sollte ich die Befehle meiner schönen Königin jemals vernachläßigen! Nimm ihn dort aus der Jagdtasche heraus, die kleine Dose befindet sich neben den zwei Birkhühnern.
Ach, rief die junge Nonne unwillig, konntest du keinen bessern Platz finden. Sieh her, das Schächtelchen
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Zitationshilfe: | Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/31>, abgerufen am 16.02.2025. |