Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.gefügte kurze Gebetformel läßt den Beschauer erkennen, welchen Würdenträger der Legende er gerade vor sich habe. Diese Bilder werden in Kisten verpackt und zu Hunderten versendet. Sie haben ihren bestimmten Preis, wie jede andre Waare, und bei ihrer Bestellung wird nur über das Beiwerk von Metall und Schmucksachen, nie über das Bild gehandelt. Wir treten nun in das Kloster selbst ein. Es ist ein niedriges Gebäude mit plattem Dach und rundgewölbter Thür und Fensteröffnungen, völlig abweichend von dem pittoresken und romantischen Baustil der mittelalterlichen Klöster in Deutschland, England und Frankreich. Nur ein verdeckter Gang, der im Innern des Hofes den Nonnen zum Lustwandeln dient, kann an die Kreuzgänge jener alten Mönchssitze erinnern. Die Kirche zeigt eine vergoldete Kuppel in der byzantinischen Form, wie sie die Kirchen Moskau's und aller altrussischen Städte vorweisen. Die Hauptkuppel ist von vier kleinern Kuppeln, auf schlanke Thürmchen gesetzt, eingefaßt, die eine Anzahl Glocken in ihrem Innern bewahren, welche an den Festtagen des Klosters einen betäubenden Lärm erregen. Die Wirthschaftsgebäude liegen in einem weiten Halbcirkel um die Kirche herum nach Osten zu; auf der entgegengesetzten Seite breitet sich ein Landsee aus; an diesem hin führt die Straße nach Kiew, die sich ungefähr auf der Mitte des Weges theilt, um zu dem Landsitz eines Edelmanns hinzuleiten, der der nächste Nachbar des Klosters ist, und mit dem sich gut zu stehen die Kloster- gefügte kurze Gebetformel läßt den Beschauer erkennen, welchen Würdenträger der Legende er gerade vor sich habe. Diese Bilder werden in Kisten verpackt und zu Hunderten versendet. Sie haben ihren bestimmten Preis, wie jede andre Waare, und bei ihrer Bestellung wird nur über das Beiwerk von Metall und Schmucksachen, nie über das Bild gehandelt. Wir treten nun in das Kloster selbst ein. Es ist ein niedriges Gebäude mit plattem Dach und rundgewölbter Thür und Fensteröffnungen, völlig abweichend von dem pittoresken und romantischen Baustil der mittelalterlichen Klöster in Deutschland, England und Frankreich. Nur ein verdeckter Gang, der im Innern des Hofes den Nonnen zum Lustwandeln dient, kann an die Kreuzgänge jener alten Mönchssitze erinnern. Die Kirche zeigt eine vergoldete Kuppel in der byzantinischen Form, wie sie die Kirchen Moskau's und aller altrussischen Städte vorweisen. Die Hauptkuppel ist von vier kleinern Kuppeln, auf schlanke Thürmchen gesetzt, eingefaßt, die eine Anzahl Glocken in ihrem Innern bewahren, welche an den Festtagen des Klosters einen betäubenden Lärm erregen. Die Wirthschaftsgebäude liegen in einem weiten Halbcirkel um die Kirche herum nach Osten zu; auf der entgegengesetzten Seite breitet sich ein Landsee aus; an diesem hin führt die Straße nach Kiew, die sich ungefähr auf der Mitte des Weges theilt, um zu dem Landsitz eines Edelmanns hinzuleiten, der der nächste Nachbar des Klosters ist, und mit dem sich gut zu stehen die Kloster- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0015"/> gefügte kurze Gebetformel läßt den Beschauer erkennen, welchen Würdenträger der Legende er gerade vor sich habe. Diese Bilder werden in Kisten verpackt und zu Hunderten versendet. Sie haben ihren bestimmten Preis, wie jede andre Waare, und bei ihrer Bestellung wird nur über das Beiwerk von Metall und Schmucksachen, nie über das Bild gehandelt.</p><lb/> <p>Wir treten nun in das Kloster selbst ein. Es ist ein niedriges Gebäude mit plattem Dach und rundgewölbter Thür und Fensteröffnungen, völlig abweichend von dem pittoresken und romantischen Baustil der mittelalterlichen Klöster in Deutschland, England und Frankreich. Nur ein verdeckter Gang, der im Innern des Hofes den Nonnen zum Lustwandeln dient, kann an die Kreuzgänge jener alten Mönchssitze erinnern. Die Kirche zeigt eine vergoldete Kuppel in der byzantinischen Form, wie sie die Kirchen Moskau's und aller altrussischen Städte vorweisen. Die Hauptkuppel ist von vier kleinern Kuppeln, auf schlanke Thürmchen gesetzt, eingefaßt, die eine Anzahl Glocken in ihrem Innern bewahren, welche an den Festtagen des Klosters einen betäubenden Lärm erregen. Die Wirthschaftsgebäude liegen in einem weiten Halbcirkel um die Kirche herum nach Osten zu; auf der entgegengesetzten Seite breitet sich ein Landsee aus; an diesem hin führt die Straße nach Kiew, die sich ungefähr auf der Mitte des Weges theilt, um zu dem Landsitz eines Edelmanns hinzuleiten, der der nächste Nachbar des Klosters ist, und mit dem sich gut zu stehen die Kloster-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0015]
gefügte kurze Gebetformel läßt den Beschauer erkennen, welchen Würdenträger der Legende er gerade vor sich habe. Diese Bilder werden in Kisten verpackt und zu Hunderten versendet. Sie haben ihren bestimmten Preis, wie jede andre Waare, und bei ihrer Bestellung wird nur über das Beiwerk von Metall und Schmucksachen, nie über das Bild gehandelt.
Wir treten nun in das Kloster selbst ein. Es ist ein niedriges Gebäude mit plattem Dach und rundgewölbter Thür und Fensteröffnungen, völlig abweichend von dem pittoresken und romantischen Baustil der mittelalterlichen Klöster in Deutschland, England und Frankreich. Nur ein verdeckter Gang, der im Innern des Hofes den Nonnen zum Lustwandeln dient, kann an die Kreuzgänge jener alten Mönchssitze erinnern. Die Kirche zeigt eine vergoldete Kuppel in der byzantinischen Form, wie sie die Kirchen Moskau's und aller altrussischen Städte vorweisen. Die Hauptkuppel ist von vier kleinern Kuppeln, auf schlanke Thürmchen gesetzt, eingefaßt, die eine Anzahl Glocken in ihrem Innern bewahren, welche an den Festtagen des Klosters einen betäubenden Lärm erregen. Die Wirthschaftsgebäude liegen in einem weiten Halbcirkel um die Kirche herum nach Osten zu; auf der entgegengesetzten Seite breitet sich ein Landsee aus; an diesem hin führt die Straße nach Kiew, die sich ungefähr auf der Mitte des Weges theilt, um zu dem Landsitz eines Edelmanns hinzuleiten, der der nächste Nachbar des Klosters ist, und mit dem sich gut zu stehen die Kloster-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/15 |
Zitationshilfe: | Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/15>, abgerufen am 23.07.2024. |