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Uhland, Ludwig: Gedichte. Stuttgart u. a., 1815.

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Wie die Dame kaum genossen,
Hat sie also weinen müssen,
Daß sie zu vergehen schien
In den heißen Thränengüssen.
Doch der Ritter von Fayel
Spricht zu ihr mit wildem Lachen:
"Sagt man doch von Taubenherzen,
Daß sie melancholisch machen:
Wieviel mehr, geliebte Dame,
Das, womit ich Euch bewirthe!
Herz des Kastellans von Couci,
Der so zärtlich Lieder girrte."
Als der Ritter dies gesprochen,
Dieses und noch andres Schlimme,
Da erhebt die Dame sich,
Spricht mit feierlicher Stimme:
"Großes Unrecht thatet Ihr,
Euer war ich ohne Wanken,
Aber solch ein Herz genießen
Wendet leichtlich die Gedanken.
Manches tritt mir vor die Seele,
Was vorlängst die Lieder sangen,
Der mir lebend fremd geblieben,
Hat als Todter mich befangen.
Ja! ich bin dem Tod geweihet,
Jedes Mahl ist mir verwehret,
Nicht geziemt mir andre Speise
Seit mich dieses Herz genähret.
Aber Euch wünsch' ich zum Letzten
Milden Spruch des ew'gen Richters." --
Dieses alles ist geschehen
Mit dem Herzen eines Dichters.

Wie die Dame kaum genoſſen,
Hat ſie alſo weinen müſſen,
Daß ſie zu vergehen ſchien
In den heißen Thränengüſſen.
Doch der Ritter von Fayel
Spricht zu ihr mit wildem Lachen:
„Sagt man doch von Taubenherzen,
Daß ſie melancholiſch machen:
Wieviel mehr, geliebte Dame,
Das, womit ich Euch bewirthe!
Herz des Kaſtellans von Couci,
Der ſo zärtlich Lieder girrte.“
Als der Ritter dies geſprochen,
Dieſes und noch andres Schlimme,
Da erhebt die Dame ſich,
Spricht mit feierlicher Stimme:
„Großes Unrecht thatet Ihr,
Euer war ich ohne Wanken,
Aber ſolch ein Herz genießen
Wendet leichtlich die Gedanken.
Manches tritt mir vor die Seele,
Was vorlängſt die Lieder ſangen,
Der mir lebend fremd geblieben,
Hat als Todter mich befangen.
Ja! ich bin dem Tod geweihet,
Jedes Mahl iſt mir verwehret,
Nicht geziemt mir andre Speiſe
Seit mich dieſes Herz genähret.
Aber Euch wünſch’ ich zum Letzten
Milden Spruch des ew’gen Richters.“ —
Dieſes alles iſt geſchehen
Mit dem Herzen eines Dichters.

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[247/0253] Wie die Dame kaum genoſſen, Hat ſie alſo weinen müſſen, Daß ſie zu vergehen ſchien In den heißen Thränengüſſen. Doch der Ritter von Fayel Spricht zu ihr mit wildem Lachen: „Sagt man doch von Taubenherzen, Daß ſie melancholiſch machen: Wieviel mehr, geliebte Dame, Das, womit ich Euch bewirthe! Herz des Kaſtellans von Couci, Der ſo zärtlich Lieder girrte.“ Als der Ritter dies geſprochen, Dieſes und noch andres Schlimme, Da erhebt die Dame ſich, Spricht mit feierlicher Stimme: „Großes Unrecht thatet Ihr, Euer war ich ohne Wanken, Aber ſolch ein Herz genießen Wendet leichtlich die Gedanken. Manches tritt mir vor die Seele, Was vorlängſt die Lieder ſangen, Der mir lebend fremd geblieben, Hat als Todter mich befangen. Ja! ich bin dem Tod geweihet, Jedes Mahl iſt mir verwehret, Nicht geziemt mir andre Speiſe Seit mich dieſes Herz genähret. Aber Euch wünſch’ ich zum Letzten Milden Spruch des ew’gen Richters.“ — Dieſes alles iſt geſchehen Mit dem Herzen eines Dichters.

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Zitationshilfe: Uhland, Ludwig: Gedichte. Stuttgart u. a., 1815, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/uhland_gedichte_1815/253>, abgerufen am 28.04.2024.