Die Lehren, die wir bisher über Tod und Krankheit aufgestellt haben, sind Folgerungen aus den beyden Voraussetzungen: 1) dass die Stöhrung in dem allgemeinen Organismus, welche aus den Reaktionen eines Theils der lebenden Individuen entstehen würde, durch die Rückwirkungen der übrigen verhindert wird; 2) dass die Zufälligkeit der äussern Einwirkungen, bey welchen die eigen- thümliche Thätigkeit der lebenden Organismen un- verändert fortdauert, beschränkt ist, und dass jede Uebertretung dieser Schranken die Zerstöhrung jener Organismen nach sich zieht. Die letztere geschieht, wie wir gesehen haben, immer durch ein Herabsinken von einer höhern Stufe des Le- bens zur niedrigsten, und das Unvermögen eines lebenden Individuums während dieser Näherung zur vita minima in der zur Erreichung der Zwecke seines Lebens nothwendigen Sphäre der Zufällig- keit äusserer Einwirkungen sein Leben fortzuset- zen, ist es, was man Krankheit nennet. Ausser den beyden erwähnten Voraussetzungen haben wir aber noch eine dritte angenommen. Nach dieser geschieht die Zerstöhrung eines lebenden Indivi- duums, welche auf die Uebertretung seiner Schran- ken folgt, immer durch eine Thätigkeit, welche der, wodurch diese Gränzen überschritten wurden, entgegengesetzt ist. Hieraus folgt, dass mit jeder Krankheit eine Abweichung des lebenden Körpers von seiner naturgemässen Wirkungsart verbunden
ist.
Die Lehren, die wir bisher über Tod und Krankheit aufgestellt haben, sind Folgerungen aus den beyden Voraussetzungen: 1) daſs die Stöhrung in dem allgemeinen Organismus, welche aus den Reaktionen eines Theils der lebenden Individuen entstehen würde, durch die Rückwirkungen der übrigen verhindert wird; 2) daſs die Zufälligkeit der äussern Einwirkungen, bey welchen die eigen- thümliche Thätigkeit der lebenden Organismen un- verändert fortdauert, beschränkt ist, und daſs jede Uebertretung dieser Schranken die Zerstöhrung jener Organismen nach sich zieht. Die letztere geschieht, wie wir gesehen haben, immer durch ein Herabsinken von einer höhern Stufe des Le- bens zur niedrigsten, und das Unvermögen eines lebenden Individuums während dieser Näherung zur vita minima in der zur Erreichung der Zwecke seines Lebens nothwendigen Sphäre der Zufällig- keit äusserer Einwirkungen sein Leben fortzuset- zen, ist es, was man Krankheit nennet. Ausser den beyden erwähnten Voraussetzungen haben wir aber noch eine dritte angenommen. Nach dieser geschieht die Zerstöhrung eines lebenden Indivi- duums, welche auf die Uebertretung seiner Schran- ken folgt, immer durch eine Thätigkeit, welche der, wodurch diese Gränzen überschritten wurden, entgegengesetzt ist. Hieraus folgt, daſs mit jeder Krankheit eine Abweichung des lebenden Körpers von seiner naturgemäſsen Wirkungsart verbunden
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Die Lehren, die wir bisher über Tod und
Krankheit aufgestellt haben, sind Folgerungen aus
den beyden Voraussetzungen: 1) daſs die Stöhrung
in dem allgemeinen Organismus, welche aus den
Reaktionen eines Theils der lebenden Individuen
entstehen würde, durch die Rückwirkungen der
übrigen verhindert wird; 2) daſs die Zufälligkeit
der äussern Einwirkungen, bey welchen die eigen-
thümliche Thätigkeit der lebenden Organismen un-
verändert fortdauert, beschränkt ist, und daſs jede
Uebertretung dieser Schranken die Zerstöhrung
jener Organismen nach sich zieht. Die letztere
geschieht, wie wir gesehen haben, immer durch
ein Herabsinken von einer höhern Stufe des Le-
bens zur niedrigsten, und das Unvermögen eines
lebenden Individuums während dieser Näherung
zur vita minima in der zur Erreichung der Zwecke
seines Lebens nothwendigen Sphäre der Zufällig-
keit äusserer Einwirkungen sein Leben fortzuset-
zen, ist es, was man Krankheit nennet. Ausser
den beyden erwähnten Voraussetzungen haben wir
aber noch eine dritte angenommen. Nach dieser
geschieht die Zerstöhrung eines lebenden Indivi-
duums, welche auf die Uebertretung seiner Schran-
ken folgt, immer durch eine Thätigkeit, welche
der, wodurch diese Gränzen überschritten wurden,
entgegengesetzt ist. Hieraus folgt, daſs mit jeder
Krankheit eine Abweichung des lebenden Körpers
von seiner naturgemäſsen Wirkungsart verbunden
ist.
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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 1. Göttingen, 1802, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie01_1802/95>, abgerufen am 04.12.2024.
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