Aber krank ist dieser erst dann, wenn er auch in den engen Gränzen der Zufälligkeit äusserer Ein- wirkungen, worin er lebt, den Zweck seines Le- bens nicht zu erfüllen vermag.
Der Uebergang des lebenden Organismus zur leblosen Natur, oder zu einer andern Form des Lebens kann ohne Krankheit nicht statt finden: dies ist eine unmittelbare Folge der obigen Sätze. Nun ist gezeigt worden, dass jener Uebergang auf eine dreyfache Art herbeygeführt werden kann. Folglich muss auch Krankheit eben so viele ver- schiedene Ursachen haben. So wie ferner die To- desart, die aus der zu langen Dauer der äussern Einwirkungen entsteht, nothwendig ist, so muss auch für jedes lebende Individuum aus dieser Quel- le eine nothwendige Krankheit entspringen, die sich mit dem natürlichen Tode endigt. Eben we- gen ihrer Nothwendigkeit aber betrachten wir diese nicht als Krankheit, sondern nennen sie Alter. Daher die Benennung des natürlichen Todes, mors sine morbo. Die beyden übrigen Arten von Krank- heiten hingegen, die aus zu grosser und zu gerin- ger Stärke der äussern Einwirkungen entstehen, sind zufällig, wie die Todesarten, worin sie über- gehen, und eben so wenig, als diese, den Zwecken der Natur gemäss. Nur diese betrachten wir da- her als Krankheiten, und zugleich als widernatür- liche Zustände. Daher die Association der Begriffe von Krankheit und widernatürlich.
Die
Aber krank ist dieser erst dann, wenn er auch in den engen Gränzen der Zufälligkeit äusserer Ein- wirkungen, worin er lebt, den Zweck seines Le- bens nicht zu erfüllen vermag.
Der Uebergang des lebenden Organismus zur leblosen Natur, oder zu einer andern Form des Lebens kann ohne Krankheit nicht statt finden: dies ist eine unmittelbare Folge der obigen Sätze. Nun ist gezeigt worden, daſs jener Uebergang auf eine dreyfache Art herbeygeführt werden kann. Folglich muſs auch Krankheit eben so viele ver- schiedene Ursachen haben. So wie ferner die To- desart, die aus der zu langen Dauer der äussern Einwirkungen entsteht, nothwendig ist, so muſs auch für jedes lebende Individuum aus dieser Quel- le eine nothwendige Krankheit entspringen, die sich mit dem natürlichen Tode endigt. Eben we- gen ihrer Nothwendigkeit aber betrachten wir diese nicht als Krankheit, sondern nennen sie Alter. Daher die Benennung des natürlichen Todes, mors sine morbo. Die beyden übrigen Arten von Krank- heiten hingegen, die aus zu groſser und zu gerin- ger Stärke der äussern Einwirkungen entstehen, sind zufällig, wie die Todesarten, worin sie über- gehen, und eben so wenig, als diese, den Zwecken der Natur gemäſs. Nur diese betrachten wir da- her als Krankheiten, und zugleich als widernatür- liche Zustände. Daher die Association der Begriffe von Krankheit und widernatürlich.
Die
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Aber krank ist dieser erst dann, wenn er auch in
den engen Gränzen der Zufälligkeit äusserer Ein-
wirkungen, worin er lebt, den Zweck seines Le-
bens nicht zu erfüllen vermag.
Der Uebergang des lebenden Organismus zur
leblosen Natur, oder zu einer andern Form des
Lebens kann ohne Krankheit nicht statt finden:
dies ist eine unmittelbare Folge der obigen Sätze.
Nun ist gezeigt worden, daſs jener Uebergang auf
eine dreyfache Art herbeygeführt werden kann.
Folglich muſs auch Krankheit eben so viele ver-
schiedene Ursachen haben. So wie ferner die To-
desart, die aus der zu langen Dauer der äussern
Einwirkungen entsteht, nothwendig ist, so muſs
auch für jedes lebende Individuum aus dieser Quel-
le eine nothwendige Krankheit entspringen, die
sich mit dem natürlichen Tode endigt. Eben we-
gen ihrer Nothwendigkeit aber betrachten wir diese
nicht als Krankheit, sondern nennen sie Alter.
Daher die Benennung des natürlichen Todes, mors
sine morbo. Die beyden übrigen Arten von Krank-
heiten hingegen, die aus zu groſser und zu gerin-
ger Stärke der äussern Einwirkungen entstehen,
sind zufällig, wie die Todesarten, worin sie über-
gehen, und eben so wenig, als diese, den Zwecken
der Natur gemäſs. Nur diese betrachten wir da-
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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 1. Göttingen, 1802, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie01_1802/94>, abgerufen am 04.12.2024.
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