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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 1. Göttingen, 1802.

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wir Sterben nennen, anders als allmählig erfolgen.
Der lebende Organismus muss sich stufenweise der
leblosen Natur, oder einer andern Form des Lebens
nähern, und in eben dem Verhältnisse muss er im-
mer unvermögender werden, in dem zur Errei-
chung der Zwecke seines Lebens nothwendigen
Bezirke der Zufälligkeit äusserer Einwirkungen zu
existiren. Dies führt uns auf eine Erklärung von
Gesundheit und Krankheit. Gesundheit ist
das Vermögen, Krankheit das Unvermö-
gen eines lebenden Körpers in der zur
Erreichung der Zwecke seines Daseyns
nothwendigen Sphäre der Zufälligkeit
äusserer Einwirkungen sein Leben fort-
zusetzen
.

Da jeder Uebergang vom Leben zur leblosen
Natur, oder zu einer andern Form des Lebens
durch jene Gränze geschieht, die wir vita minima
genannt haben, so ist jede Krankheit, absolut be-
trachtet, ein niederer Grad der Vitalität in einer ge-
wissen Form des Lebens. Aber Krankheit ist ein
relativer Begriff, und als ein solcher involvirt er
nicht nur einen niedern, sondern auch einen sol-
chen Grad des Lebens, der dem Zwecke des Orga-
nismus, wobey er statt findet, nicht angemessen
ist. So können folglich Gesundheit und vita mi-
nima vollkommen mit einander bestehen. Das Le-
ben des Embryo nähert sich der vita minima.

Aber
E 5

wir Sterben nennen, anders als allmählig erfolgen.
Der lebende Organismus muſs sich stufenweise der
leblosen Natur, oder einer andern Form des Lebens
nähern, und in eben dem Verhältnisse muſs er im-
mer unvermögender werden, in dem zur Errei-
chung der Zwecke seines Lebens nothwendigen
Bezirke der Zufälligkeit äusserer Einwirkungen zu
existiren. Dies führt uns auf eine Erklärung von
Gesundheit und Krankheit. Gesundheit ist
das Vermögen, Krankheit das Unvermö-
gen eines lebenden Körpers in der zur
Erreichung der Zwecke seines Daseyns
nothwendigen Sphäre der Zufälligkeit
äusserer Einwirkungen sein Leben fort-
zusetzen
.

Da jeder Uebergang vom Leben zur leblosen
Natur, oder zu einer andern Form des Lebens
durch jene Gränze geschieht, die wir vita minima
genannt haben, so ist jede Krankheit, absolut be-
trachtet, ein niederer Grad der Vitalität in einer ge-
wissen Form des Lebens. Aber Krankheit ist ein
relativer Begriff, und als ein solcher involvirt er
nicht nur einen niedern, sondern auch einen sol-
chen Grad des Lebens, der dem Zwecke des Orga-
nismus, wobey er statt findet, nicht angemessen
ist. So können folglich Gesundheit und vita mi-
nima vollkommen mit einander bestehen. Das Le-
ben des Embryo nähert sich der vita minima.

Aber
E 5
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[73/0093] wir Sterben nennen, anders als allmählig erfolgen. Der lebende Organismus muſs sich stufenweise der leblosen Natur, oder einer andern Form des Lebens nähern, und in eben dem Verhältnisse muſs er im- mer unvermögender werden, in dem zur Errei- chung der Zwecke seines Lebens nothwendigen Bezirke der Zufälligkeit äusserer Einwirkungen zu existiren. Dies führt uns auf eine Erklärung von Gesundheit und Krankheit. Gesundheit ist das Vermögen, Krankheit das Unvermö- gen eines lebenden Körpers in der zur Erreichung der Zwecke seines Daseyns nothwendigen Sphäre der Zufälligkeit äusserer Einwirkungen sein Leben fort- zusetzen. Da jeder Uebergang vom Leben zur leblosen Natur, oder zu einer andern Form des Lebens durch jene Gränze geschieht, die wir vita minima genannt haben, so ist jede Krankheit, absolut be- trachtet, ein niederer Grad der Vitalität in einer ge- wissen Form des Lebens. Aber Krankheit ist ein relativer Begriff, und als ein solcher involvirt er nicht nur einen niedern, sondern auch einen sol- chen Grad des Lebens, der dem Zwecke des Orga- nismus, wobey er statt findet, nicht angemessen ist. So können folglich Gesundheit und vita mi- nima vollkommen mit einander bestehen. Das Le- ben des Embryo nähert sich der vita minima. Aber E 5

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Zitationshilfe: Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 1. Göttingen, 1802, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie01_1802/93>, abgerufen am 04.05.2024.