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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 1. Göttingen, 1802.

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bindet? und ihr seyd auch bey dieser Voraussetzung
gezwungen, aus dem Lande der Fiktionen einen
Weltgeist zu Hülfe zu rufen. Eure Hypothese ver-
steckt also das grosse Räthsel, aber löset es nicht.

Nach dem bisher Gesagten sind also zwey
Grundkräfte, die repulsive Kraft und die Lebens-
kraft, die einzigen, deren wir zur Möglichkeit der
materiellen Welt bedürfen. Jene bildet die leblose,
diese in Verbindung mit jener die lebende Natur.
Ausser diesen beyden Welten kennen wir aber
noch eine Dritte, die der geistigen Naturen, und
zwar kennen wir diese nur in Verbindung mit dem
physischen Leben. In welchem Verhältnisse steht
nun jene geistige Welt gegen das letztere? Ist nicht
vielleicht die Lebenskraft einerley mit dem denken-
den Princip, und der gemeine Glaube, nach wel-
chem leben und beseelt seyn für einerley
angenommen wird, gegründet? Wir müssen auf
diese, schon oben berührte Frage hier noch einmal
zurückkommen, um einem Missverständnisse vor-
zubeugen. Wer nach der Identität von leben
und beseelt seyn fragt, verlangt entweder zu
wissen, ob alle Erscheinungen des physischen Le-
bens ursprünglich willkührliche Handlungen sind?
oder er wünscht zu erfahren, ob jene Phänomene
insgesammt unmittelbare, doch nicht mit Bewusst-
seyn verbundene Wirkungen der Seele auf die re-
pulsiven Kräfte ihres Körpers ohne Vermittelung

einer

bindet? und ihr seyd auch bey dieser Voraussetzung
gezwungen, aus dem Lande der Fiktionen einen
Weltgeist zu Hülfe zu rufen. Eure Hypothese ver-
steckt also das groſse Räthsel, aber löset es nicht.

Nach dem bisher Gesagten sind also zwey
Grundkräfte, die repulsive Kraft und die Lebens-
kraft, die einzigen, deren wir zur Möglichkeit der
materiellen Welt bedürfen. Jene bildet die leblose,
diese in Verbindung mit jener die lebende Natur.
Ausser diesen beyden Welten kennen wir aber
noch eine Dritte, die der geistigen Naturen, und
zwar kennen wir diese nur in Verbindung mit dem
physischen Leben. In welchem Verhältnisse steht
nun jene geistige Welt gegen das letztere? Ist nicht
vielleicht die Lebenskraft einerley mit dem denken-
den Princip, und der gemeine Glaube, nach wel-
chem leben und beseelt seyn für einerley
angenommen wird, gegründet? Wir müssen auf
diese, schon oben berührte Frage hier noch einmal
zurückkommen, um einem Miſsverständnisse vor-
zubeugen. Wer nach der Identität von leben
und beseelt seyn fragt, verlangt entweder zu
wissen, ob alle Erscheinungen des physischen Le-
bens ursprünglich willkührliche Handlungen sind?
oder er wünscht zu erfahren, ob jene Phänomene
insgesammt unmittelbare, doch nicht mit Bewuſst-
seyn verbundene Wirkungen der Seele auf die re-
pulsiven Kräfte ihres Körpers ohne Vermittelung

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[56/0076] bindet? und ihr seyd auch bey dieser Voraussetzung gezwungen, aus dem Lande der Fiktionen einen Weltgeist zu Hülfe zu rufen. Eure Hypothese ver- steckt also das groſse Räthsel, aber löset es nicht. Nach dem bisher Gesagten sind also zwey Grundkräfte, die repulsive Kraft und die Lebens- kraft, die einzigen, deren wir zur Möglichkeit der materiellen Welt bedürfen. Jene bildet die leblose, diese in Verbindung mit jener die lebende Natur. Ausser diesen beyden Welten kennen wir aber noch eine Dritte, die der geistigen Naturen, und zwar kennen wir diese nur in Verbindung mit dem physischen Leben. In welchem Verhältnisse steht nun jene geistige Welt gegen das letztere? Ist nicht vielleicht die Lebenskraft einerley mit dem denken- den Princip, und der gemeine Glaube, nach wel- chem leben und beseelt seyn für einerley angenommen wird, gegründet? Wir müssen auf diese, schon oben berührte Frage hier noch einmal zurückkommen, um einem Miſsverständnisse vor- zubeugen. Wer nach der Identität von leben und beseelt seyn fragt, verlangt entweder zu wissen, ob alle Erscheinungen des physischen Le- bens ursprünglich willkührliche Handlungen sind? oder er wünscht zu erfahren, ob jene Phänomene insgesammt unmittelbare, doch nicht mit Bewuſst- seyn verbundene Wirkungen der Seele auf die re- pulsiven Kräfte ihres Körpers ohne Vermittelung einer

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Zitationshilfe: Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 1. Göttingen, 1802, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie01_1802/76>, abgerufen am 04.05.2024.