rie des lebenden Organismus den Grund des Lebens enthalten sollte, widerstreitet, wie aus den obigen Sätzen erhellet, den metaphysischen Lehren der Naturwissenschaft. Keine Materie, ihre Form und Mischung mag beschaffen seyn, wie sie will, kann für sich gleichförmig reagiren, wenn die Ein- wirkungen, wodurch diese Reaktionen hervorge- bracht und unterhalten werden, zufällig und also veränderlich sind. Jene Hypothese fällt mit un- serer Erklärung des Lebens, und sie würde gewiss nie vorgebracht seyn, wenn man sich erst nach einer Bestimmung der unterscheidenden Charaktere dieses Zustandes umgesehen hätte, ehe man die Möglichkeit desselben zu erklären unternahm.
Ich weiss, was man mir entgegensetzen wird. Deine Schlüsse, wird man sagen, haben ihre Rich- tigkeit, sobald eine repulsive, oder attraktive Kraft das Einzige Agens in der leblosen Natur ist. Aber wo ist dies bewiesen? Dass eine einzige Grundkraft zur Möglichkeit der Materie überhaupt hinreicht, berechtigt dies, auch alle specifiquen Qualitäten der Materie von dieser Grundkraft ab- zuleiten? Sind nicht vielleicht auch chemische Wahl- anziehung, Elektricität und Magnetismus Produk- te eben so vieler verschiedener Grundkräfte, und ist nicht vielleicht das, was du Lebenskraft nen- nest, ein Resultat des Zusammenwirkens jener Kräfte im lebenden Organismus, da sie in der leblosen Natur immer nur isolirt wirken?
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rie des lebenden Organismus den Grund des Lebens enthalten sollte, widerstreitet, wie aus den obigen Sätzen erhellet, den metaphysischen Lehren der Naturwissenschaft. Keine Materie, ihre Form und Mischung mag beschaffen seyn, wie sie will, kann für sich gleichförmig reagiren, wenn die Ein- wirkungen, wodurch diese Reaktionen hervorge- bracht und unterhalten werden, zufällig und also veränderlich sind. Jene Hypothese fällt mit un- serer Erklärung des Lebens, und sie würde gewiſs nie vorgebracht seyn, wenn man sich erst nach einer Bestimmung der unterscheidenden Charaktere dieses Zustandes umgesehen hätte, ehe man die Möglichkeit desselben zu erklären unternahm.
Ich weiſs, was man mir entgegensetzen wird. Deine Schlüsse, wird man sagen, haben ihre Rich- tigkeit, sobald eine repulsive, oder attraktive Kraft das Einzige Agens in der leblosen Natur ist. Aber wo ist dies bewiesen? Daſs eine einzige Grundkraft zur Möglichkeit der Materie überhaupt hinreicht, berechtigt dies, auch alle specifiquen Qualitäten der Materie von dieser Grundkraft ab- zuleiten? Sind nicht vielleicht auch chemische Wahl- anziehung, Elektricität und Magnetismus Produk- te eben so vieler verschiedener Grundkräfte, und ist nicht vielleicht das, was du Lebenskraft nen- nest, ein Resultat des Zusammenwirkens jener Kräfte im lebenden Organismus, da sie in der leblosen Natur immer nur isolirt wirken?
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[53/0073]
rie des lebenden Organismus den Grund des Lebens
enthalten sollte, widerstreitet, wie aus den obigen
Sätzen erhellet, den metaphysischen Lehren der
Naturwissenschaft. Keine Materie, ihre Form
und Mischung mag beschaffen seyn, wie sie will,
kann für sich gleichförmig reagiren, wenn die Ein-
wirkungen, wodurch diese Reaktionen hervorge-
bracht und unterhalten werden, zufällig und also
veränderlich sind. Jene Hypothese fällt mit un-
serer Erklärung des Lebens, und sie würde gewiſs
nie vorgebracht seyn, wenn man sich erst nach
einer Bestimmung der unterscheidenden Charaktere
dieses Zustandes umgesehen hätte, ehe man die
Möglichkeit desselben zu erklären unternahm.
Ich weiſs, was man mir entgegensetzen wird.
Deine Schlüsse, wird man sagen, haben ihre Rich-
tigkeit, sobald eine repulsive, oder attraktive Kraft
das Einzige Agens in der leblosen Natur ist.
Aber wo ist dies bewiesen? Daſs eine einzige
Grundkraft zur Möglichkeit der Materie überhaupt
hinreicht, berechtigt dies, auch alle specifiquen
Qualitäten der Materie von dieser Grundkraft ab-
zuleiten? Sind nicht vielleicht auch chemische Wahl-
anziehung, Elektricität und Magnetismus Produk-
te eben so vieler verschiedener Grundkräfte, und
ist nicht vielleicht das, was du Lebenskraft nen-
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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 1. Göttingen, 1802, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie01_1802/73>, abgerufen am 04.12.2024.
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