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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 1. Göttingen, 1802.

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Grundkraft seyn, weil sie in diesem Falle entweder
zum lebenden Organismus, oder zur Aussenwelt
gehören, und also die Schwürigkeit nicht gehoben
seyn würde. Wir nennen sie daher Lebens-
kraft
(vis vitalis), um sie von jener Grundkraft
zu unterscheiden.

Immer erregt es, wie schon im Vorigen erinnert
ist, ein günstiges Vorurtheil für philosophische
Untersuchungen über die ersten Gründe der
menschlichen Erkenntniss, wenn die Resultate
derselben mit den Ahndungen des gemeinen Men-
schenverstandes zusammentreffen. Auch zu un-
sern Untersuchungen wird man also um so mehr
Zutrauen fassen, wenn man sieht, dass wir den
Grund des Lebens in einer Ursache suchen, die
man schon in der Kindheit der Biologie unter dem
Namen eines enormio~n, Lebensgeistes, oder Archeus
ahndete. Zwar verwirft unser jetziges Zeitalter
diese Ahndung, nennt sie eine hyperphysische
Hypothese, und setzt an die Stelle derselben die
blosse Form und Mischung der Materie. Allein
jede Grundkraft ist ein hyperphysisches Wesen.
Es ist Zweck der Naturwissenschaft, die Zahl dieser
hyperphysischen Wesen so viel, wie möglich, zu
vermindern. Aber der Zusatz, so viel, wie
möglich
, schliesst auch alle willkührliche Voraus-
setzungen bey dieser Vereinfachung aus. Dass
übrigens die blosse Form und Mischung der Mate-

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Grundkraft seyn, weil sie in diesem Falle entweder
zum lebenden Organismus, oder zur Aussenwelt
gehören, und also die Schwürigkeit nicht gehoben
seyn würde. Wir nennen sie daher Lebens-
kraft
(vis vitalis), um sie von jener Grundkraft
zu unterscheiden.

Immer erregt es, wie schon im Vorigen erinnert
ist, ein günstiges Vorurtheil für philosophische
Untersuchungen über die ersten Gründe der
menschlichen Erkenntniſs, wenn die Resultate
derselben mit den Ahndungen des gemeinen Men-
schenverstandes zusammentreffen. Auch zu un-
sern Untersuchungen wird man also um so mehr
Zutrauen fassen, wenn man sieht, daſs wir den
Grund des Lebens in einer Ursache suchen, die
man schon in der Kindheit der Biologie unter dem
Namen eines ὲνοϱμιο῀ν, Lebensgeistes, oder Archeus
ahndete. Zwar verwirft unser jetziges Zeitalter
diese Ahndung, nennt sie eine hyperphysische
Hypothese, und setzt an die Stelle derselben die
bloſse Form und Mischung der Materie. Allein
jede Grundkraft ist ein hyperphysisches Wesen.
Es ist Zweck der Naturwissenschaft, die Zahl dieser
hyperphysischen Wesen so viel, wie möglich, zu
vermindern. Aber der Zusatz, so viel, wie
möglich
, schlieſst auch alle willkührliche Voraus-
setzungen bey dieser Vereinfachung aus. Daſs
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[52/0072] Grundkraft seyn, weil sie in diesem Falle entweder zum lebenden Organismus, oder zur Aussenwelt gehören, und also die Schwürigkeit nicht gehoben seyn würde. Wir nennen sie daher Lebens- kraft (vis vitalis), um sie von jener Grundkraft zu unterscheiden. Immer erregt es, wie schon im Vorigen erinnert ist, ein günstiges Vorurtheil für philosophische Untersuchungen über die ersten Gründe der menschlichen Erkenntniſs, wenn die Resultate derselben mit den Ahndungen des gemeinen Men- schenverstandes zusammentreffen. Auch zu un- sern Untersuchungen wird man also um so mehr Zutrauen fassen, wenn man sieht, daſs wir den Grund des Lebens in einer Ursache suchen, die man schon in der Kindheit der Biologie unter dem Namen eines ὲνοϱμιο῀ν, Lebensgeistes, oder Archeus ahndete. Zwar verwirft unser jetziges Zeitalter diese Ahndung, nennt sie eine hyperphysische Hypothese, und setzt an die Stelle derselben die bloſse Form und Mischung der Materie. Allein jede Grundkraft ist ein hyperphysisches Wesen. Es ist Zweck der Naturwissenschaft, die Zahl dieser hyperphysischen Wesen so viel, wie möglich, zu vermindern. Aber der Zusatz, so viel, wie möglich, schlieſst auch alle willkührliche Voraus- setzungen bey dieser Vereinfachung aus. Daſs übrigens die bloſse Form und Mischung der Mate- rie

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Zitationshilfe: Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 1. Göttingen, 1802, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie01_1802/72>, abgerufen am 04.05.2024.