Nach diesen Voraussetzungen kehren wir zu unserm eigentlichen Gegenstande zurück, und zwar wenden wir uns zuerst zu der Frage: wie jener Zustand, den wir Leben genannt haben, mög- lich ist?
Wir haben gezeigt, dass alle Materie organisirt und unaufhörlichen Veränderungen unterworfen ist, dass aber in jener Organisation und in diesen Ver- änderungen nur so lange etwas Bleibendes ist, als die äussern Einwirkungen, wodurch die letztern erregt werden, unverändert bleiben. Keine Ma- terie, und also auch nicht die der lebenden Orga- nismen, kann hiervon eine Ausnahme machen. Wer diesen Satz läugnet, muss der Materie des lebenden Organismus die Undurchdringlichkeit ab- sprechen, und also zu einer Absurdität seine Zu- flucht nehmen. Die Ausnahme, welche die Mate- rie der lebenden Körper von dem obigen Satze zu machen scheint, kann folglich nur scheinbar seyn. Es muss ein Damm vorhanden seyn, woran sich die Wellen des Universums brechen, um die le- bende Natur in den allgemeinen Strudel nicht mit hereinzuziehen. Dieses Mittelglied nun zwischen dem allgemeinen Organismus und der Materie der lebenden Organismen, wodurch die veränderliche absolute Stärke der äussern Einwirkungen relative Gleichförmigkeit erhält, kann nicht einerley mit der zur Möglichkeit der Materie erforderlichen
Grund-
D 2
Nach diesen Voraussetzungen kehren wir zu unserm eigentlichen Gegenstande zurück, und zwar wenden wir uns zuerst zu der Frage: wie jener Zustand, den wir Leben genannt haben, mög- lich ist?
Wir haben gezeigt, daſs alle Materie organisirt und unaufhörlichen Veränderungen unterworfen ist, daſs aber in jener Organisation und in diesen Ver- änderungen nur so lange etwas Bleibendes ist, als die äussern Einwirkungen, wodurch die letztern erregt werden, unverändert bleiben. Keine Ma- terie, und also auch nicht die der lebenden Orga- nismen, kann hiervon eine Ausnahme machen. Wer diesen Satz läugnet, muſs der Materie des lebenden Organismus die Undurchdringlichkeit ab- sprechen, und also zu einer Absurdität seine Zu- flucht nehmen. Die Ausnahme, welche die Mate- rie der lebenden Körper von dem obigen Satze zu machen scheint, kann folglich nur scheinbar seyn. Es muſs ein Damm vorhanden seyn, woran sich die Wellen des Universums brechen, um die le- bende Natur in den allgemeinen Strudel nicht mit hereinzuziehen. Dieses Mittelglied nun zwischen dem allgemeinen Organismus und der Materie der lebenden Organismen, wodurch die veränderliche absolute Stärke der äussern Einwirkungen relative Gleichförmigkeit erhält, kann nicht einerley mit der zur Möglichkeit der Materie erforderlichen
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Nach diesen Voraussetzungen kehren wir zu
unserm eigentlichen Gegenstande zurück, und
zwar wenden wir uns zuerst zu der Frage: wie
jener Zustand, den wir Leben genannt haben, mög-
lich ist?
Wir haben gezeigt, daſs alle Materie organisirt
und unaufhörlichen Veränderungen unterworfen ist,
daſs aber in jener Organisation und in diesen Ver-
änderungen nur so lange etwas Bleibendes ist, als
die äussern Einwirkungen, wodurch die letztern
erregt werden, unverändert bleiben. Keine Ma-
terie, und also auch nicht die der lebenden Orga-
nismen, kann hiervon eine Ausnahme machen.
Wer diesen Satz läugnet, muſs der Materie des
lebenden Organismus die Undurchdringlichkeit ab-
sprechen, und also zu einer Absurdität seine Zu-
flucht nehmen. Die Ausnahme, welche die Mate-
rie der lebenden Körper von dem obigen Satze zu
machen scheint, kann folglich nur scheinbar seyn.
Es muſs ein Damm vorhanden seyn, woran sich
die Wellen des Universums brechen, um die le-
bende Natur in den allgemeinen Strudel nicht mit
hereinzuziehen. Dieses Mittelglied nun zwischen
dem allgemeinen Organismus und der Materie der
lebenden Organismen, wodurch die veränderliche
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Gleichförmigkeit erhält, kann nicht einerley mit
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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 1. Göttingen, 1802, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie01_1802/71>, abgerufen am 04.12.2024.
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