der Dogmatiker bauete ein System der ausübenden Medicin auf biologischen Grundsätzen. Indess ha- ben wir so wenig genaue und zuverlässige Nach- richten von den Lehren dieser Sekte, und ihre An- hänger wichen so sehr von einander ab, dass sie sich hier nicht als Beyspiel anführen lassen. Be- kannter sind wir mit dem System des Galens. Er- zogen in der Schule der Nachfolger des Plato und Aristoteles, deren Philosophie in der Vereinigung der verschiedensten und entgegengesetztesten Mei- nungen ihrer Vorgänger bestand, bildete sich in ihm ein Hang zum Syncretismus, den er, seines wahrhaft grossen Genie's ohngeachtet, auch da nicht verläugnen konnte, als er der Schöpfer eines neuen, auf biologischen Dogmen sich stützenden Systems der Heilkunde wurde. Durch diesen Hang verleitet, suchte er ängstlich und sklavisch die Phi- losopheme des Plato und Aristoteles mit den Mei- nungen der Dogmatiker und der übrigen zu seiner Zeit in der Arzneykunde herrschenden Partheyen zu verbinden. Dieser Hang untergrub seine Ori- ginalität, hemmte jeden Flug seines Geistes, und brachte ein System hervor, worin alles von dem Genie seines Urhebers zeugt, das aber dennoch voll von Widersprüchen und Inconsequenzen ist.
Anderthalbtausend Jahre hindurch blieb dieses System herrschend. Erst im sechszehnten Jahrhun- dert wurden die Grundfesten desselben durch Ar-
gen-
der Dogmatiker bauete ein System der ausübenden Medicin auf biologischen Grundsätzen. Indeſs ha- ben wir so wenig genaue und zuverlässige Nach- richten von den Lehren dieser Sekte, und ihre An- hänger wichen so sehr von einander ab, daſs sie sich hier nicht als Beyspiel anführen lassen. Be- kannter sind wir mit dem System des Galens. Er- zogen in der Schule der Nachfolger des Plato und Aristoteles, deren Philosophie in der Vereinigung der verschiedensten und entgegengesetztesten Mei- nungen ihrer Vorgänger bestand, bildete sich in ihm ein Hang zum Syncretismus, den er, seines wahrhaft groſsen Genie’s ohngeachtet, auch da nicht verläugnen konnte, als er der Schöpfer eines neuen, auf biologischen Dogmen sich stützenden Systems der Heilkunde wurde. Durch diesen Hang verleitet, suchte er ängstlich und sklavisch die Phi- losopheme des Plato und Aristoteles mit den Mei- nungen der Dogmatiker und der übrigen zu seiner Zeit in der Arzneykunde herrschenden Partheyen zu verbinden. Dieser Hang untergrub seine Ori- ginalität, hemmte jeden Flug seines Geistes, und brachte ein System hervor, worin alles von dem Genie seines Urhebers zeugt, das aber dennoch voll von Widersprüchen und Inconsequenzen ist.
Anderthalbtausend Jahre hindurch blieb dieses System herrschend. Erst im sechszehnten Jahrhun- dert wurden die Grundfesten desselben durch Ar-
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der Dogmatiker bauete ein System der ausübenden
Medicin auf biologischen Grundsätzen. Indeſs ha-
ben wir so wenig genaue und zuverlässige Nach-
richten von den Lehren dieser Sekte, und ihre An-
hänger wichen so sehr von einander ab, daſs sie
sich hier nicht als Beyspiel anführen lassen. Be-
kannter sind wir mit dem System des Galens. Er-
zogen in der Schule der Nachfolger des Plato und
Aristoteles, deren Philosophie in der Vereinigung
der verschiedensten und entgegengesetztesten Mei-
nungen ihrer Vorgänger bestand, bildete sich in
ihm ein Hang zum Syncretismus, den er, seines
wahrhaft groſsen Genie’s ohngeachtet, auch da
nicht verläugnen konnte, als er der Schöpfer eines
neuen, auf biologischen Dogmen sich stützenden
Systems der Heilkunde wurde. Durch diesen Hang
verleitet, suchte er ängstlich und sklavisch die Phi-
losopheme des Plato und Aristoteles mit den Mei-
nungen der Dogmatiker und der übrigen zu seiner
Zeit in der Arzneykunde herrschenden Partheyen
zu verbinden. Dieser Hang untergrub seine Ori-
ginalität, hemmte jeden Flug seines Geistes, und
brachte ein System hervor, worin alles von dem
Genie seines Urhebers zeugt, das aber dennoch voll
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Anderthalbtausend Jahre hindurch blieb dieses
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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 1. Göttingen, 1802, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie01_1802/168>, abgerufen am 04.12.2024.
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