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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 1. Göttingen, 1802.

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der Natur, die Seele für eine Zahl, der Musiker
Aristoxenus für eine gewisse Harmonie, und der
Stoiker Zeno, in dessen philosophischem System
das Feuer eine Hauptrolle spielte, für ein wahres
Feuer. Diese Einseitigkeit nun war auch von
jeher eine Hauptquelle aller irrigen biologischen
Meinungen, wie eine kurze Skizze der letztern
und ihrer Urheber beweisen wird.

In den frühesten Zeiten der griechischen Medi-
cin standen Biologie und praktische Heilkunde noch
in keiner Verbindung. Die Träume der Leukipp,
Empedokles, Demokrit, Anaxagoras und Hera-
klit über die Natur des Menschen hatten daher
auch auf die damalige Medicin eben so wenig Ein-
fluss, wie ihre Speculationen über das Wesen der
Götter und der Seele auf die Volksreligion. Hippo-
krates war der Erste, der die bis dahin zerstreuten
medicinischen Bruchstücke zu einem Ganzen ver-
einigte. Dennoch erhielt unter ihm die Biologie
eben so wenig Einfluss auf die Arzneykunde, als
unter seinen Vorgängern, und obgleich er zuerst
einsahe, dass ausser der Seele und dem Organismus
noch ein enormon nothwendige Bedingung des Le-
bens sey, so war er doch theils zu sehr von Sy-
stemsucht entfernt, und theils waren seine Vorstel-
lungen von der Sache zu dunkel, als dass er dar-
aus Schlüsse für die praktische Heilkunde herzu-
leiten im Stande gewesen wäre. Erst die Schule

der
K 2

der Natur, die Seele für eine Zahl, der Musiker
Aristoxenus für eine gewisse Harmonie, und der
Stoiker Zeno, in dessen philosophischem System
das Feuer eine Hauptrolle spielte, für ein wahres
Feuer. Diese Einseitigkeit nun war auch von
jeher eine Hauptquelle aller irrigen biologischen
Meinungen, wie eine kurze Skizze der letztern
und ihrer Urheber beweisen wird.

In den frühesten Zeiten der griechischen Medi-
cin standen Biologie und praktische Heilkunde noch
in keiner Verbindung. Die Träume der Leukipp,
Empedokles, Demokrit, Anaxagoras und Hera-
klit über die Natur des Menschen hatten daher
auch auf die damalige Medicin eben so wenig Ein-
fluſs, wie ihre Speculationen über das Wesen der
Götter und der Seele auf die Volksreligion. Hippo-
krates war der Erste, der die bis dahin zerstreuten
medicinischen Bruchstücke zu einem Ganzen ver-
einigte. Dennoch erhielt unter ihm die Biologie
eben so wenig Einfluſs auf die Arzneykunde, als
unter seinen Vorgängern, und obgleich er zuerst
einsahe, daſs ausser der Seele und dem Organismus
noch ein ἐνορμῶν nothwendige Bedingung des Le-
bens sey, so war er doch theils zu sehr von Sy-
stemsucht entfernt, und theils waren seine Vorstel-
lungen von der Sache zu dunkel, als daſs er dar-
aus Schlüsse für die praktische Heilkunde herzu-
leiten im Stande gewesen wäre. Erst die Schule

der
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[147/0167] der Natur, die Seele für eine Zahl, der Musiker Aristoxenus für eine gewisse Harmonie, und der Stoiker Zeno, in dessen philosophischem System das Feuer eine Hauptrolle spielte, für ein wahres Feuer. Diese Einseitigkeit nun war auch von jeher eine Hauptquelle aller irrigen biologischen Meinungen, wie eine kurze Skizze der letztern und ihrer Urheber beweisen wird. In den frühesten Zeiten der griechischen Medi- cin standen Biologie und praktische Heilkunde noch in keiner Verbindung. Die Träume der Leukipp, Empedokles, Demokrit, Anaxagoras und Hera- klit über die Natur des Menschen hatten daher auch auf die damalige Medicin eben so wenig Ein- fluſs, wie ihre Speculationen über das Wesen der Götter und der Seele auf die Volksreligion. Hippo- krates war der Erste, der die bis dahin zerstreuten medicinischen Bruchstücke zu einem Ganzen ver- einigte. Dennoch erhielt unter ihm die Biologie eben so wenig Einfluſs auf die Arzneykunde, als unter seinen Vorgängern, und obgleich er zuerst einsahe, daſs ausser der Seele und dem Organismus noch ein ἐνορμῶν nothwendige Bedingung des Le- bens sey, so war er doch theils zu sehr von Sy- stemsucht entfernt, und theils waren seine Vorstel- lungen von der Sache zu dunkel, als daſs er dar- aus Schlüsse für die praktische Heilkunde herzu- leiten im Stande gewesen wäre. Erst die Schule der K 2

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Zitationshilfe: Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 1. Göttingen, 1802, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie01_1802/167>, abgerufen am 30.04.2024.