letzten Sätzen, worauf sie kamen, die übrigen Erfahrungen, die sie vor sich hatten, in Harmo- nie. Jene hingegen gingen stufenweise; sie ver- glichen jede Erfahrung mit den übrigen; hielten die Schlüsse, worauf diese Vergleichung sie geführt hatte, gegen einander, und suchten so zu den obersten Principien zu gelangen. Die rationellen Empiriker gingen also den Weg, den Baco als den einzig richtigen in der Naturforschung empfahl, und ihnen wird immer der Ruhm bleiben, die rei- nen Erfahrungen, welche die Heilkunde wirklich aufzuweisen hat, entdeckt zu haben. Aber sie über- sahen den in der Medicin so wichtigen Unterschied von subjektiver und objektiver Erfahrung; sie übersahen, dass Sätze, die auf subjektiven Erfah- rungen gebauet sind, auch nur subjektive Realität haben; sie bemerkten nicht, dass der Weg, den sie einschlugen, zu keinen allgemein gültigen Princi- pien führen konnte. Daher stimmten sie meist nur in ihren Worten, selten in ihren Handlungen überein; daher stiessen sie bey der Ausübung ihrer Kunst allenthalben auf Lücken, die sie mit Hülfe des Dogmatismus auszufüllen gezwungen waren; und daher findet man in den Schriften aller Empi- riker Spuren des Einflusses, den irgend eine dog- matische Sekte auf ihr Verfahren hatte. Ohne Dog- matismus, wir wiederhohlen es noch einmal, ist also keine medicinische Praxis möglich, und es ist leere Pralilerey, das Gegentheil zu behaupten.
Hat
letzten Sätzen, worauf sie kamen, die übrigen Erfahrungen, die sie vor sich hatten, in Harmo- nie. Jene hingegen gingen stufenweise; sie ver- glichen jede Erfahrung mit den übrigen; hielten die Schlüsse, worauf diese Vergleichung sie geführt hatte, gegen einander, und suchten so zu den obersten Principien zu gelangen. Die rationellen Empiriker gingen also den Weg, den Baco als den einzig richtigen in der Naturforschung empfahl, und ihnen wird immer der Ruhm bleiben, die rei- nen Erfahrungen, welche die Heilkunde wirklich aufzuweisen hat, entdeckt zu haben. Aber sie über- sahen den in der Medicin so wichtigen Unterschied von subjektiver und objektiver Erfahrung; sie übersahen, daſs Sätze, die auf subjektiven Erfah- rungen gebauet sind, auch nur subjektive Realität haben; sie bemerkten nicht, daſs der Weg, den sie einschlugen, zu keinen allgemein gültigen Princi- pien führen konnte. Daher stimmten sie meist nur in ihren Worten, selten in ihren Handlungen überein; daher stieſsen sie bey der Ausübung ihrer Kunst allenthalben auf Lücken, die sie mit Hülfe des Dogmatismus auszufüllen gezwungen waren; und daher findet man in den Schriften aller Empi- riker Spuren des Einflusses, den irgend eine dog- matische Sekte auf ihr Verfahren hatte. Ohne Dog- matismus, wir wiederhohlen es noch einmal, ist also keine medicinische Praxis möglich, und es ist leere Pralilerey, das Gegentheil zu behaupten.
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letzten Sätzen, worauf sie kamen, die übrigen
Erfahrungen, die sie vor sich hatten, in Harmo-
nie. Jene hingegen gingen stufenweise; sie ver-
glichen jede Erfahrung mit den übrigen; hielten
die Schlüsse, worauf diese Vergleichung sie geführt
hatte, gegen einander, und suchten so zu den
obersten Principien zu gelangen. Die rationellen
Empiriker gingen also den Weg, den Baco als den
einzig richtigen in der Naturforschung empfahl,
und ihnen wird immer der Ruhm bleiben, die rei-
nen Erfahrungen, welche die Heilkunde wirklich
aufzuweisen hat, entdeckt zu haben. Aber sie über-
sahen den in der Medicin so wichtigen Unterschied
von subjektiver und objektiver Erfahrung; sie
übersahen, daſs Sätze, die auf subjektiven Erfah-
rungen gebauet sind, auch nur subjektive Realität
haben; sie bemerkten nicht, daſs der Weg, den sie
einschlugen, zu keinen allgemein gültigen Princi-
pien führen konnte. Daher stimmten sie meist
nur in ihren Worten, selten in ihren Handlungen
überein; daher stieſsen sie bey der Ausübung ihrer
Kunst allenthalben auf Lücken, die sie mit Hülfe
des Dogmatismus auszufüllen gezwungen waren;
und daher findet man in den Schriften aller Empi-
riker Spuren des Einflusses, den irgend eine dog-
matische Sekte auf ihr Verfahren hatte. Ohne Dog-
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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 1. Göttingen, 1802, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie01_1802/159>, abgerufen am 04.12.2024.
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