Whigministerium unmöglich verborgen bleiben. Bunsen selbst war jetzt ganz begeistert für die liberalisirende Politik Palmerston's, den er doch früherhin wenig geliebt hatte; er fühlte sich glückselig in den fürstlichen Schlössern der großen Whigfamilien, er merkte nicht, wie derb diese gü- tigen Gastgeber ihn wegen seines ägyptischen, kirchlichen, philologischen, politischen Allerweltsdilettantismus verspotteten, und sprach von der un- auflöslichen englisch-preußischen Allianz mit einem solchen Feuereifer, daß Canitz ihn schließlich sehr ernst zurechtweisen mußte: "Wenn man in Paris, in Wien, in St. Petersburg glaubt, daß wir dem Einverständniß mit England zu Liebe gemeinschaftliche Sache mit dem dermaligen britischen Minister in den schweizerischen, italienischen, überhaupt in allen den Hän- deln machen, wo der Radicalismus seine Fahnen aufpflanzt, so ist es meine unzweideutige Schuldigkeit dafür zu sorgen, daß man wisse: das sei nicht die Politik des Königs und Seines Cabinets, folglich solle und könne es auch nicht die Seiner Gesandten sein."*)
Währenddem war Radowitz, als es längst zu spät war, in Wien eingetroffen, um die Berufung der Neuenburger europäischen Conferenz durchzusetzen und zugleich die deutschen Bundesreform-Vorschläge seines königlichen Herrn zu überreichen. Die deutschen Pläne blieben schließlich liegen, um der schweizerischen Händel willen. Ueber diese aber verständigte man sich leicht: nöthigenfalls sollte die Einmischung der Großmächte durch eine Handelssperre, ja durch die Besetzung der Grenzcantone Tessin, Genf, Basel unterstützt werden. Nach solchen Abreden kehrte Radowitz um Mitte Decembers mit dem Grafen Colloredo zurück um nochmals die Willens- meinung des Königs entgegenzunehmen. Friedrich Wilhelm war Feuer und Flamme. Er hatte soeben den verdienten Historiker Monnard sowie andere durch die Radicalen des Waadtlandes Vertriebene gastlich in Preußen aufgenommen und urtheilte über sie: "alle sind sie liberale Schweizer; was allerdings etwas Anderes wie liberale Deutsche heißt, da erstere frei- sinnige Ehrenmänner, letztere meistens ohne Ausnahme constitutions- und majoritäts-anbetende Schöpse oder Intriguants sind."**) Maßlos, bis zur Wuth erregt, sah er in Bern das Centrum des europäischen Radicalismus, der durch seine Genossen in ununterbrochener Kette bis nach Königsberg wirke; im schlimmsten Falle, so sagte er zu Colloredo, müßten Oesterreich und Preußen allein das Brutnest der Revolution ausnehmen. Zu Weih- nachten erschienen die beiden Bevollmächtigten sodann in Paris um den Boden zu erkunden; Radowitz überbrachte ein Schreiben seines Herrschers, das den Bürgerkönig als den erhobenen Arm der europäischen Monarchien verherrlichte.
Mit diesem überschwänglichen Gruße stimmten die unheimlichen Ein-
*) Canitz an Bunsen, 16. Jan. 1848.
**) König Friedrich Wilhelm an Bunsen, 8. Dec. 1847.
47*
Neuer Verſuch einer europäiſchen Intervention.
Whigminiſterium unmöglich verborgen bleiben. Bunſen ſelbſt war jetzt ganz begeiſtert für die liberaliſirende Politik Palmerſton’s, den er doch früherhin wenig geliebt hatte; er fühlte ſich glückſelig in den fürſtlichen Schlöſſern der großen Whigfamilien, er merkte nicht, wie derb dieſe gü- tigen Gaſtgeber ihn wegen ſeines ägyptiſchen, kirchlichen, philologiſchen, politiſchen Allerweltsdilettantismus verſpotteten, und ſprach von der un- auflöslichen engliſch-preußiſchen Allianz mit einem ſolchen Feuereifer, daß Canitz ihn ſchließlich ſehr ernſt zurechtweiſen mußte: „Wenn man in Paris, in Wien, in St. Petersburg glaubt, daß wir dem Einverſtändniß mit England zu Liebe gemeinſchaftliche Sache mit dem dermaligen britiſchen Miniſter in den ſchweizeriſchen, italieniſchen, überhaupt in allen den Hän- deln machen, wo der Radicalismus ſeine Fahnen aufpflanzt, ſo iſt es meine unzweideutige Schuldigkeit dafür zu ſorgen, daß man wiſſe: das ſei nicht die Politik des Königs und Seines Cabinets, folglich ſolle und könne es auch nicht die Seiner Geſandten ſein.“*)
Währenddem war Radowitz, als es längſt zu ſpät war, in Wien eingetroffen, um die Berufung der Neuenburger europäiſchen Conferenz durchzuſetzen und zugleich die deutſchen Bundesreform-Vorſchläge ſeines königlichen Herrn zu überreichen. Die deutſchen Pläne blieben ſchließlich liegen, um der ſchweizeriſchen Händel willen. Ueber dieſe aber verſtändigte man ſich leicht: nöthigenfalls ſollte die Einmiſchung der Großmächte durch eine Handelsſperre, ja durch die Beſetzung der Grenzcantone Teſſin, Genf, Baſel unterſtützt werden. Nach ſolchen Abreden kehrte Radowitz um Mitte Decembers mit dem Grafen Colloredo zurück um nochmals die Willens- meinung des Königs entgegenzunehmen. Friedrich Wilhelm war Feuer und Flamme. Er hatte ſoeben den verdienten Hiſtoriker Monnard ſowie andere durch die Radicalen des Waadtlandes Vertriebene gaſtlich in Preußen aufgenommen und urtheilte über ſie: „alle ſind ſie liberale Schweizer; was allerdings etwas Anderes wie liberale Deutſche heißt, da erſtere frei- ſinnige Ehrenmänner, letztere meiſtens ohne Ausnahme conſtitutions- und majoritäts-anbetende Schöpſe oder Intriguants ſind.“**) Maßlos, bis zur Wuth erregt, ſah er in Bern das Centrum des europäiſchen Radicalismus, der durch ſeine Genoſſen in ununterbrochener Kette bis nach Königsberg wirke; im ſchlimmſten Falle, ſo ſagte er zu Colloredo, müßten Oeſterreich und Preußen allein das Brutneſt der Revolution ausnehmen. Zu Weih- nachten erſchienen die beiden Bevollmächtigten ſodann in Paris um den Boden zu erkunden; Radowitz überbrachte ein Schreiben ſeines Herrſchers, das den Bürgerkönig als den erhobenen Arm der europäiſchen Monarchien verherrlichte.
Mit dieſem überſchwänglichen Gruße ſtimmten die unheimlichen Ein-
*) Canitz an Bunſen, 16. Jan. 1848.
**) König Friedrich Wilhelm an Bunſen, 8. Dec. 1847.
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Neuer Verſuch einer europäiſchen Intervention.
Whigminiſterium unmöglich verborgen bleiben. Bunſen ſelbſt war jetzt
ganz begeiſtert für die liberaliſirende Politik Palmerſton’s, den er doch
früherhin wenig geliebt hatte; er fühlte ſich glückſelig in den fürſtlichen
Schlöſſern der großen Whigfamilien, er merkte nicht, wie derb dieſe gü-
tigen Gaſtgeber ihn wegen ſeines ägyptiſchen, kirchlichen, philologiſchen,
politiſchen Allerweltsdilettantismus verſpotteten, und ſprach von der un-
auflöslichen engliſch-preußiſchen Allianz mit einem ſolchen Feuereifer, daß
Canitz ihn ſchließlich ſehr ernſt zurechtweiſen mußte: „Wenn man in Paris,
in Wien, in St. Petersburg glaubt, daß wir dem Einverſtändniß mit
England zu Liebe gemeinſchaftliche Sache mit dem dermaligen britiſchen
Miniſter in den ſchweizeriſchen, italieniſchen, überhaupt in allen den Hän-
deln machen, wo der Radicalismus ſeine Fahnen aufpflanzt, ſo iſt es
meine unzweideutige Schuldigkeit dafür zu ſorgen, daß man wiſſe: das
ſei nicht die Politik des Königs und Seines Cabinets, folglich ſolle und
könne es auch nicht die Seiner Geſandten ſein.“ *)
Währenddem war Radowitz, als es längſt zu ſpät war, in Wien
eingetroffen, um die Berufung der Neuenburger europäiſchen Conferenz
durchzuſetzen und zugleich die deutſchen Bundesreform-Vorſchläge ſeines
königlichen Herrn zu überreichen. Die deutſchen Pläne blieben ſchließlich
liegen, um der ſchweizeriſchen Händel willen. Ueber dieſe aber verſtändigte
man ſich leicht: nöthigenfalls ſollte die Einmiſchung der Großmächte durch
eine Handelsſperre, ja durch die Beſetzung der Grenzcantone Teſſin, Genf,
Baſel unterſtützt werden. Nach ſolchen Abreden kehrte Radowitz um Mitte
Decembers mit dem Grafen Colloredo zurück um nochmals die Willens-
meinung des Königs entgegenzunehmen. Friedrich Wilhelm war Feuer
und Flamme. Er hatte ſoeben den verdienten Hiſtoriker Monnard ſowie
andere durch die Radicalen des Waadtlandes Vertriebene gaſtlich in Preußen
aufgenommen und urtheilte über ſie: „alle ſind ſie liberale Schweizer;
was allerdings etwas Anderes wie liberale Deutſche heißt, da erſtere frei-
ſinnige Ehrenmänner, letztere meiſtens ohne Ausnahme conſtitutions- und
majoritäts-anbetende Schöpſe oder Intriguants ſind.“ **) Maßlos, bis zur
Wuth erregt, ſah er in Bern das Centrum des europäiſchen Radicalismus,
der durch ſeine Genoſſen in ununterbrochener Kette bis nach Königsberg
wirke; im ſchlimmſten Falle, ſo ſagte er zu Colloredo, müßten Oeſterreich
und Preußen allein das Brutneſt der Revolution ausnehmen. Zu Weih-
nachten erſchienen die beiden Bevollmächtigten ſodann in Paris um den
Boden zu erkunden; Radowitz überbrachte ein Schreiben ſeines Herrſchers,
das den Bürgerkönig als den erhobenen Arm der europäiſchen Monarchien
verherrlichte.
Mit dieſem überſchwänglichen Gruße ſtimmten die unheimlichen Ein-
*) Canitz an Bunſen, 16. Jan. 1848.
**) König Friedrich Wilhelm an Bunſen, 8. Dec. 1847.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 739. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/753>, abgerufen am 23.07.2024.
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