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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 9. Der Niedergang des Deutschen Bundes.
bewährten Künsten österreichischer Anbiederung die preußischen Bundes-
reformpläne und zugleich den Krakauer Streit zu beseitigen.*)

Aber noch während Werner am preußischen Hofe verweilte, ließ Canitz
durch ein Rundschreiben vom 4. April 1847 allen deutschen Regierungen
den längst vorbereiteten Entwurf für ein Bundespreßgesetz zugehen. Da
er die bundesgesetzliche Censur in Preußen schlechterdings nicht mehr auf-
rechthalten wollte und doch einsah, daß Oesterreich, Hannover, Kurhessen
sich zu einer solchen Reform nie freiwillig entschließen würden, so lautete
der § 1 seines Entwurfs ganz bescheiden: "Jedem deutschen Bundesstaate
wird freigestellt die Censur aufzuheben und Preßfreiheit einzuführen."
Dann wurden die "Garantien" aufgezählt, welche die zur Preßfreiheit
entschlossenen Staaten ihren Bundesgenossen zu geben hätten: ein strenges
Concessionswesen für Buchdrucker und Zeitungsherausgeber, harte Strafen
für Preßvergehen, endlich noch ein rechtsgelehrtes Bundessyndicat, das
nach freiem Ermessen gemeingefährliche Schriften für ganz Deutschland
verbieten sollte. Wie ängstlich auch diese Beschränkungen erscheinen mochten,
die Aufhebung der Censur war doch, wenn sie gelang, eine entscheidende
That; denn daß die übrigen Staaten, außer Oesterreich, dem guten Bei-
spiel Preußens bald folgen mußten lag auf der Hand. Am Bundestage
zeigten sich Sachsen, Baden, Weimar, selbst das conservative Darmstadt
günstig gestimmt. Mit besonderem Eifer ging Württemberg auf die preu-
ßischen Vorschläge ein. König Wilhelm hatte sich, wie er dem Grafen
Dönhoff gestand, durch die leidenschaftlichen Klagen seines Landtags von
der Unmöglichkeit der Censur endlich überzeugen lassen; als erfahrener
Soldat räumte er den verlorenen Posten und nahm das zornige Nie-
mals! das er vor Kurzem erst der Preßfreiheit entgegengeschleudert hatte,
entschlossen zurück.**) Er forderte nunmehr Aufhebung der Censur und
Einführung des Repressivsystems in ganz Deutschland.

Aber wieder scheiterte Alles an dem bösen Willen der Hofburg. Selt-
sam, wie die Gedanken in dem Kopfe des alternden Staatskanzlers sich
mehr und mehr verwirrten. Metternich pflegte grade in diesen Tagen,
da ihn die italienischen Unruhen lebhaft beschäftigten und die Franzosen
sein Kaiserreich als eine italienische Macht bezeichneten, nachdrücklich und
nicht ohne Gereiztheit zu versichern: "Oesterreich ist ein Reich, das unter
seiner Herrschaft Völker von verschiedener Nationalität umfaßt, aber als
Reich hat es nur eine Nationalität. Oesterreich ist deutsch", so sagte er
zum Grafen Arnim, "deutsch durch die Geschichte, durch den Kern seiner
Provinzen, durch seine Civilisation."***) Gleichwohl wähnte er, diese deutsche
Macht erfülle ihre Pflichten gegen Deutschland am sichersten durch voll-
kommene Unthätigkeit. Sein getreuer Münch schob die Verhandlung über

*) S. o. V. 553.
**) Dönhoff's Bericht, 15. Aug. 1847.
***) Graf Arnim's Bericht, 20. Juli 1847.

V. 9. Der Niedergang des Deutſchen Bundes.
bewährten Künſten öſterreichiſcher Anbiederung die preußiſchen Bundes-
reformpläne und zugleich den Krakauer Streit zu beſeitigen.*)

Aber noch während Werner am preußiſchen Hofe verweilte, ließ Canitz
durch ein Rundſchreiben vom 4. April 1847 allen deutſchen Regierungen
den längſt vorbereiteten Entwurf für ein Bundespreßgeſetz zugehen. Da
er die bundesgeſetzliche Cenſur in Preußen ſchlechterdings nicht mehr auf-
rechthalten wollte und doch einſah, daß Oeſterreich, Hannover, Kurheſſen
ſich zu einer ſolchen Reform nie freiwillig entſchließen würden, ſo lautete
der § 1 ſeines Entwurfs ganz beſcheiden: „Jedem deutſchen Bundesſtaate
wird freigeſtellt die Cenſur aufzuheben und Preßfreiheit einzuführen.“
Dann wurden die „Garantien“ aufgezählt, welche die zur Preßfreiheit
entſchloſſenen Staaten ihren Bundesgenoſſen zu geben hätten: ein ſtrenges
Conceſſionsweſen für Buchdrucker und Zeitungsherausgeber, harte Strafen
für Preßvergehen, endlich noch ein rechtsgelehrtes Bundesſyndicat, das
nach freiem Ermeſſen gemeingefährliche Schriften für ganz Deutſchland
verbieten ſollte. Wie ängſtlich auch dieſe Beſchränkungen erſcheinen mochten,
die Aufhebung der Cenſur war doch, wenn ſie gelang, eine entſcheidende
That; denn daß die übrigen Staaten, außer Oeſterreich, dem guten Bei-
ſpiel Preußens bald folgen mußten lag auf der Hand. Am Bundestage
zeigten ſich Sachſen, Baden, Weimar, ſelbſt das conſervative Darmſtadt
günſtig geſtimmt. Mit beſonderem Eifer ging Württemberg auf die preu-
ßiſchen Vorſchläge ein. König Wilhelm hatte ſich, wie er dem Grafen
Dönhoff geſtand, durch die leidenſchaftlichen Klagen ſeines Landtags von
der Unmöglichkeit der Cenſur endlich überzeugen laſſen; als erfahrener
Soldat räumte er den verlorenen Poſten und nahm das zornige Nie-
mals! das er vor Kurzem erſt der Preßfreiheit entgegengeſchleudert hatte,
entſchloſſen zurück.**) Er forderte nunmehr Aufhebung der Cenſur und
Einführung des Repreſſivſyſtems in ganz Deutſchland.

Aber wieder ſcheiterte Alles an dem böſen Willen der Hofburg. Selt-
ſam, wie die Gedanken in dem Kopfe des alternden Staatskanzlers ſich
mehr und mehr verwirrten. Metternich pflegte grade in dieſen Tagen,
da ihn die italieniſchen Unruhen lebhaft beſchäftigten und die Franzoſen
ſein Kaiſerreich als eine italieniſche Macht bezeichneten, nachdrücklich und
nicht ohne Gereiztheit zu verſichern: „Oeſterreich iſt ein Reich, das unter
ſeiner Herrſchaft Völker von verſchiedener Nationalität umfaßt, aber als
Reich hat es nur eine Nationalität. Oeſterreich iſt deutſch“, ſo ſagte er
zum Grafen Arnim, „deutſch durch die Geſchichte, durch den Kern ſeiner
Provinzen, durch ſeine Civiliſation.“***) Gleichwohl wähnte er, dieſe deutſche
Macht erfülle ihre Pflichten gegen Deutſchland am ſicherſten durch voll-
kommene Unthätigkeit. Sein getreuer Münch ſchob die Verhandlung über

*) S. o. V. 553.
**) Dönhoff’s Bericht, 15. Aug. 1847.
***) Graf Arnim’s Bericht, 20. Juli 1847.
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[696/0710] V. 9. Der Niedergang des Deutſchen Bundes. bewährten Künſten öſterreichiſcher Anbiederung die preußiſchen Bundes- reformpläne und zugleich den Krakauer Streit zu beſeitigen. *) Aber noch während Werner am preußiſchen Hofe verweilte, ließ Canitz durch ein Rundſchreiben vom 4. April 1847 allen deutſchen Regierungen den längſt vorbereiteten Entwurf für ein Bundespreßgeſetz zugehen. Da er die bundesgeſetzliche Cenſur in Preußen ſchlechterdings nicht mehr auf- rechthalten wollte und doch einſah, daß Oeſterreich, Hannover, Kurheſſen ſich zu einer ſolchen Reform nie freiwillig entſchließen würden, ſo lautete der § 1 ſeines Entwurfs ganz beſcheiden: „Jedem deutſchen Bundesſtaate wird freigeſtellt die Cenſur aufzuheben und Preßfreiheit einzuführen.“ Dann wurden die „Garantien“ aufgezählt, welche die zur Preßfreiheit entſchloſſenen Staaten ihren Bundesgenoſſen zu geben hätten: ein ſtrenges Conceſſionsweſen für Buchdrucker und Zeitungsherausgeber, harte Strafen für Preßvergehen, endlich noch ein rechtsgelehrtes Bundesſyndicat, das nach freiem Ermeſſen gemeingefährliche Schriften für ganz Deutſchland verbieten ſollte. Wie ängſtlich auch dieſe Beſchränkungen erſcheinen mochten, die Aufhebung der Cenſur war doch, wenn ſie gelang, eine entſcheidende That; denn daß die übrigen Staaten, außer Oeſterreich, dem guten Bei- ſpiel Preußens bald folgen mußten lag auf der Hand. Am Bundestage zeigten ſich Sachſen, Baden, Weimar, ſelbſt das conſervative Darmſtadt günſtig geſtimmt. Mit beſonderem Eifer ging Württemberg auf die preu- ßiſchen Vorſchläge ein. König Wilhelm hatte ſich, wie er dem Grafen Dönhoff geſtand, durch die leidenſchaftlichen Klagen ſeines Landtags von der Unmöglichkeit der Cenſur endlich überzeugen laſſen; als erfahrener Soldat räumte er den verlorenen Poſten und nahm das zornige Nie- mals! das er vor Kurzem erſt der Preßfreiheit entgegengeſchleudert hatte, entſchloſſen zurück. **) Er forderte nunmehr Aufhebung der Cenſur und Einführung des Repreſſivſyſtems in ganz Deutſchland. Aber wieder ſcheiterte Alles an dem böſen Willen der Hofburg. Selt- ſam, wie die Gedanken in dem Kopfe des alternden Staatskanzlers ſich mehr und mehr verwirrten. Metternich pflegte grade in dieſen Tagen, da ihn die italieniſchen Unruhen lebhaft beſchäftigten und die Franzoſen ſein Kaiſerreich als eine italieniſche Macht bezeichneten, nachdrücklich und nicht ohne Gereiztheit zu verſichern: „Oeſterreich iſt ein Reich, das unter ſeiner Herrſchaft Völker von verſchiedener Nationalität umfaßt, aber als Reich hat es nur eine Nationalität. Oeſterreich iſt deutſch“, ſo ſagte er zum Grafen Arnim, „deutſch durch die Geſchichte, durch den Kern ſeiner Provinzen, durch ſeine Civiliſation.“ ***) Gleichwohl wähnte er, dieſe deutſche Macht erfülle ihre Pflichten gegen Deutſchland am ſicherſten durch voll- kommene Unthätigkeit. Sein getreuer Münch ſchob die Verhandlung über *) S. o. V. 553. **) Dönhoff’s Bericht, 15. Aug. 1847. ***) Graf Arnim’s Bericht, 20. Juli 1847.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 696. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/710>, abgerufen am 22.11.2024.