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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Preußens Verhandlungen mit Oesterreich.
zu den Intellectuellen. Er versteht mich und wird Sie also auch ver-
stehen, und heute kommt es wohl mehr als nie auf Verständigung unter
denen an, welche noch Kopf und Arme haben und nicht zu den Acephalen
und den Paralytikern gehören."*) In Wahrheit war Werner nur ein
brauchbarer Bureaukrat des gewöhnlichen Schlages, ohne Ideen, ohne
Thatkraft, und selbst ein größerer Mann konnte die breite Kluft, welche
die beiden Staaten trennte, nicht mehr überbrücken. Noch immer geängstigt
durch die Leipziger Unruhen, verlangte Metternich scharfe Maßregeln gegen
die neuen Sekten. Canitz aber berief sich standhaft auf die bewährten
Traditionen seiner Monarchie: "Die Glaubensfreiheit, wie sie in Preußen
besteht, ist ein Product unserer Geschichte, in der die sechsundvierzigjährige
Regierung Friedrich's II. ausradirt werden müßte, wenn wir ihren Begriff
so interpretiren wollten, wie Kaiser Joseph II. ihn, von seinem Stand-
punkt aus mit vollem Rechte, feststellte."**)

Ebenso wenig konnte man sich über die Presse einigen. Der Oester-
reicher forderte, um das tief erkrankte Deutschland zu heilen, unnach-
sichtliche Durchführung des Karlsbader Preßgesetzes, das sich doch so
unwirksam gezeigt hatte. Der Preuße erwiderte, indem er auf Metter-
nich's "Lieblingsgleichniß" ironisch einging: "Der Kranke wird nicht da-
durch gesund, daß er an die Vorschriften erinnert wird, deren Befolgung
ihn vor dem Fieber, das ihn schüttelt, hätte bewahren können."***) Canitz
verlangte jetzt Preßfreiheit mit einem strengen Repressivsysteme, denn durch
die kläglichen Erfahrungen des neuen Ober-Censurgerichts hatten der König
und Savigny endlich gelernt, daß man mit der Censur nicht mehr aus-
kam.+) Auf das Heftigste widersprach Metternich: In England und Frank-
reich kenne ich keinen Staatsmann, der die Preßfreiheit nicht für ein Uebel
hält, "da sie ihrer Natur gemäß nur deren Licenz zu sein vermag. Alle
Maßregeln, welche dem Juste Milieu zwischen dem Leben und dem Tode,
welche also dem Siechthum angehören, bieten keinen Stoff zu Normal-
gesetzen." Sein preußischer Freund aber antwortete: Unser Vorschlag ist ein
Juste Milieu zwischen Leben und Tod nur in demselben Sinne "wie es das
menschliche Leben in dieser gebrechlichen Welt überhaupt ist. Es wäre ein
allzu strenges Urtheil über unser Vaterland, wenn man behaupten wollte,
in Deutschland könne die Gewalt der Presse nur verderblich wirken, wenn
eine strenge ängstliche Censur sie nicht lähmte."++) Der greise, in seinen
Gedanken jetzt ganz fest eingerostete Staatskanzler konnte den Widerspruch
der Preußen gar nicht begreifen. Nach erneutem Schriftenwechsel sendete
er im Frühjahr 1847 seinen Hofrath Werner nach Berlin um mit den

*) Metternich an Canitz, 25. Aug. 1845.
**) Canitz an Metternich, 29. Aug. 1845, 14. Febr. 1846.
***) Canitz an Metternich, 1. Nov. 1845.
+) Savigny an Thile, 28. März 1845.
++) Metternich an Canitz, 16. April, Antwort 26. April 1846.

Preußens Verhandlungen mit Oeſterreich.
zu den Intellectuellen. Er verſteht mich und wird Sie alſo auch ver-
ſtehen, und heute kommt es wohl mehr als nie auf Verſtändigung unter
denen an, welche noch Kopf und Arme haben und nicht zu den Acephalen
und den Paralytikern gehören.“*) In Wahrheit war Werner nur ein
brauchbarer Bureaukrat des gewöhnlichen Schlages, ohne Ideen, ohne
Thatkraft, und ſelbſt ein größerer Mann konnte die breite Kluft, welche
die beiden Staaten trennte, nicht mehr überbrücken. Noch immer geängſtigt
durch die Leipziger Unruhen, verlangte Metternich ſcharfe Maßregeln gegen
die neuen Sekten. Canitz aber berief ſich ſtandhaft auf die bewährten
Traditionen ſeiner Monarchie: „Die Glaubensfreiheit, wie ſie in Preußen
beſteht, iſt ein Product unſerer Geſchichte, in der die ſechsundvierzigjährige
Regierung Friedrich’s II. ausradirt werden müßte, wenn wir ihren Begriff
ſo interpretiren wollten, wie Kaiſer Joſeph II. ihn, von ſeinem Stand-
punkt aus mit vollem Rechte, feſtſtellte.“**)

Ebenſo wenig konnte man ſich über die Preſſe einigen. Der Oeſter-
reicher forderte, um das tief erkrankte Deutſchland zu heilen, unnach-
ſichtliche Durchführung des Karlsbader Preßgeſetzes, das ſich doch ſo
unwirkſam gezeigt hatte. Der Preuße erwiderte, indem er auf Metter-
nich’s „Lieblingsgleichniß“ ironiſch einging: „Der Kranke wird nicht da-
durch geſund, daß er an die Vorſchriften erinnert wird, deren Befolgung
ihn vor dem Fieber, das ihn ſchüttelt, hätte bewahren können.“***) Canitz
verlangte jetzt Preßfreiheit mit einem ſtrengen Repreſſivſyſteme, denn durch
die kläglichen Erfahrungen des neuen Ober-Cenſurgerichts hatten der König
und Savigny endlich gelernt, daß man mit der Cenſur nicht mehr aus-
kam.†) Auf das Heftigſte widerſprach Metternich: In England und Frank-
reich kenne ich keinen Staatsmann, der die Preßfreiheit nicht für ein Uebel
hält, „da ſie ihrer Natur gemäß nur deren Licenz zu ſein vermag. Alle
Maßregeln, welche dem Juſte Milieu zwiſchen dem Leben und dem Tode,
welche alſo dem Siechthum angehören, bieten keinen Stoff zu Normal-
geſetzen.“ Sein preußiſcher Freund aber antwortete: Unſer Vorſchlag iſt ein
Juſte Milieu zwiſchen Leben und Tod nur in demſelben Sinne „wie es das
menſchliche Leben in dieſer gebrechlichen Welt überhaupt iſt. Es wäre ein
allzu ſtrenges Urtheil über unſer Vaterland, wenn man behaupten wollte,
in Deutſchland könne die Gewalt der Preſſe nur verderblich wirken, wenn
eine ſtrenge ängſtliche Cenſur ſie nicht lähmte.“††) Der greiſe, in ſeinen
Gedanken jetzt ganz feſt eingeroſtete Staatskanzler konnte den Widerſpruch
der Preußen gar nicht begreifen. Nach erneutem Schriftenwechſel ſendete
er im Frühjahr 1847 ſeinen Hofrath Werner nach Berlin um mit den

*) Metternich an Canitz, 25. Aug. 1845.
**) Canitz an Metternich, 29. Aug. 1845, 14. Febr. 1846.
***) Canitz an Metternich, 1. Nov. 1845.
†) Savigny an Thile, 28. März 1845.
††) Metternich an Canitz, 16. April, Antwort 26. April 1846.
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[695/0709] Preußens Verhandlungen mit Oeſterreich. zu den Intellectuellen. Er verſteht mich und wird Sie alſo auch ver- ſtehen, und heute kommt es wohl mehr als nie auf Verſtändigung unter denen an, welche noch Kopf und Arme haben und nicht zu den Acephalen und den Paralytikern gehören.“ *) In Wahrheit war Werner nur ein brauchbarer Bureaukrat des gewöhnlichen Schlages, ohne Ideen, ohne Thatkraft, und ſelbſt ein größerer Mann konnte die breite Kluft, welche die beiden Staaten trennte, nicht mehr überbrücken. Noch immer geängſtigt durch die Leipziger Unruhen, verlangte Metternich ſcharfe Maßregeln gegen die neuen Sekten. Canitz aber berief ſich ſtandhaft auf die bewährten Traditionen ſeiner Monarchie: „Die Glaubensfreiheit, wie ſie in Preußen beſteht, iſt ein Product unſerer Geſchichte, in der die ſechsundvierzigjährige Regierung Friedrich’s II. ausradirt werden müßte, wenn wir ihren Begriff ſo interpretiren wollten, wie Kaiſer Joſeph II. ihn, von ſeinem Stand- punkt aus mit vollem Rechte, feſtſtellte.“ **) Ebenſo wenig konnte man ſich über die Preſſe einigen. Der Oeſter- reicher forderte, um das tief erkrankte Deutſchland zu heilen, unnach- ſichtliche Durchführung des Karlsbader Preßgeſetzes, das ſich doch ſo unwirkſam gezeigt hatte. Der Preuße erwiderte, indem er auf Metter- nich’s „Lieblingsgleichniß“ ironiſch einging: „Der Kranke wird nicht da- durch geſund, daß er an die Vorſchriften erinnert wird, deren Befolgung ihn vor dem Fieber, das ihn ſchüttelt, hätte bewahren können.“ ***) Canitz verlangte jetzt Preßfreiheit mit einem ſtrengen Repreſſivſyſteme, denn durch die kläglichen Erfahrungen des neuen Ober-Cenſurgerichts hatten der König und Savigny endlich gelernt, daß man mit der Cenſur nicht mehr aus- kam. †) Auf das Heftigſte widerſprach Metternich: In England und Frank- reich kenne ich keinen Staatsmann, der die Preßfreiheit nicht für ein Uebel hält, „da ſie ihrer Natur gemäß nur deren Licenz zu ſein vermag. Alle Maßregeln, welche dem Juſte Milieu zwiſchen dem Leben und dem Tode, welche alſo dem Siechthum angehören, bieten keinen Stoff zu Normal- geſetzen.“ Sein preußiſcher Freund aber antwortete: Unſer Vorſchlag iſt ein Juſte Milieu zwiſchen Leben und Tod nur in demſelben Sinne „wie es das menſchliche Leben in dieſer gebrechlichen Welt überhaupt iſt. Es wäre ein allzu ſtrenges Urtheil über unſer Vaterland, wenn man behaupten wollte, in Deutſchland könne die Gewalt der Preſſe nur verderblich wirken, wenn eine ſtrenge ängſtliche Cenſur ſie nicht lähmte.“ ††) Der greiſe, in ſeinen Gedanken jetzt ganz feſt eingeroſtete Staatskanzler konnte den Widerſpruch der Preußen gar nicht begreifen. Nach erneutem Schriftenwechſel ſendete er im Frühjahr 1847 ſeinen Hofrath Werner nach Berlin um mit den *) Metternich an Canitz, 25. Aug. 1845. **) Canitz an Metternich, 29. Aug. 1845, 14. Febr. 1846. ***) Canitz an Metternich, 1. Nov. 1845. †) Savigny an Thile, 28. März 1845. ††) Metternich an Canitz, 16. April, Antwort 26. April 1846.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 695. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/709>, abgerufen am 01.05.2024.