Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

V. 9. Der Niedergang des Deutschen Bundes.
Bundesgenossen an dem jungen Demagogen Karl Blind und vielen
fremden Agenten, deren das Grenzland sich schwer erwehren konnte. Zu-
gleich ward der Abhub der Schweizer und der Pariser Presse Tag für
Tag über den Rhein gefahren. Das französische Communistenschimpfwort
Bourgeois klang auch in Baden wieder, wo es doch gar keinen Sinn
hatte, und auf einer radicalen Volksversammlung zu Offenburg (Sept. 1847)
wurde außer den längst landesüblichen Volkswünschen auch schon die For-
derung aufgestellt: Ausgleichung zwischen Capital und Arbeit. Eine sociale
Bewegung kündigte sich an. Völlig hoffnungslos sprach Radowitz über
"die ganz inficirte Atmosphäre" dieses Landes. Unheil erwartete er auch von
den soeben wieder zugelassenen Freimaurerlogen, die allerdings in Baden,
wie in allen katholischen Ländern, dem kirchlich-politischen Liberalismus
weit näher traten als im protestantischen Norden; dies konnte der König,
nach den Traditionen seines Hauses, freilich nicht ruhig hinnehmen, und
er rügte scharf: "Welche crasse Unkenntniß der wahren Tendenz der
Maurerei!! Wer sie kennen lernen will, trete in sie ein!"*) Nach mannich-
fachen Händeln und Versöhnungsversuchen maßen sich die beiden Parteien
endlich im offenen Kampfe, bei den Ergänzungswahlen im Herbst 1847.
Struve unterlag, mit ihm einige seiner radicalen Freunde.

So begann die längst schon gebotene Klärung des Parteiwesens, auch
sie leider viel zu spät um die deutsche Nation noch rechtzeitig zu belehren.
Niemand litt unter dem Windzuge dieser neuen Zeit schwerer als der alte
Adam v. Itzstein, der so lange alle Kräfte der Opposition mit diploma-
tischer Kunst zusammengehalten hatte. Jetzt mußte er die tüchtigsten
Männer seiner Gefolgschaft rechts abschwenken sehen, während ihn selber
die Wucht der tausendmal wiederholten radicalen Phrase nach links hin-
überzog. Fortan war er ein todter Mann. Die Schärfe der neuen Partei-
gegensätze zeigte sich noch einmal grell in den ersten Wochen des Jahres
1848, als die drei größten Fabriken des Landes in Waghäusel, Ettlingen,
Karlsruhe durch den Sturz des großen Bankhauses Haber und andere
Unglücksfälle schwer gefährdet wurden und die Regierung vorschlug ihnen
durch eine Staatsunterstützung zu Hilfe zu kommen. Da verwendete sich
Mathy, der vor Kurzem noch so gefürchtete Demagog, lebhaft für den
Antrag der Minister; Hecker aber überreichte eine Petition von 63 Ar-
beitern, welche Macht gegen Macht den 63 Abgeordneten entgegentraten
und sich jede Begünstigung des Großcapitals trutzig verbaten. Unterdessen
beriethen die Liberalen über die Zukunft des Deutschen Bundes. An dem
nahen Zusammenbruche zweifelte Niemand mehr, aber Niemand wußte
auch einen sicheren Weg der Rettung. Nur der eine Gedanke, den Welcker
schon vor anderthalb Jahrzehnten in dieser Kammer ausgesprochen hatte,
schien Allen unzweifelhaft: ohne die Mitwirkung populärer Kräfte konnte

*) Radowitz's Berichte, 4. Jan., 6. Aug. 1847.

V. 9. Der Niedergang des Deutſchen Bundes.
Bundesgenoſſen an dem jungen Demagogen Karl Blind und vielen
fremden Agenten, deren das Grenzland ſich ſchwer erwehren konnte. Zu-
gleich ward der Abhub der Schweizer und der Pariſer Preſſe Tag für
Tag über den Rhein gefahren. Das franzöſiſche Communiſtenſchimpfwort
Bourgeois klang auch in Baden wieder, wo es doch gar keinen Sinn
hatte, und auf einer radicalen Volksverſammlung zu Offenburg (Sept. 1847)
wurde außer den längſt landesüblichen Volkswünſchen auch ſchon die For-
derung aufgeſtellt: Ausgleichung zwiſchen Capital und Arbeit. Eine ſociale
Bewegung kündigte ſich an. Völlig hoffnungslos ſprach Radowitz über
„die ganz inficirte Atmoſphäre“ dieſes Landes. Unheil erwartete er auch von
den ſoeben wieder zugelaſſenen Freimaurerlogen, die allerdings in Baden,
wie in allen katholiſchen Ländern, dem kirchlich-politiſchen Liberalismus
weit näher traten als im proteſtantiſchen Norden; dies konnte der König,
nach den Traditionen ſeines Hauſes, freilich nicht ruhig hinnehmen, und
er rügte ſcharf: „Welche craſſe Unkenntniß der wahren Tendenz der
Maurerei!! Wer ſie kennen lernen will, trete in ſie ein!“*) Nach mannich-
fachen Händeln und Verſöhnungsverſuchen maßen ſich die beiden Parteien
endlich im offenen Kampfe, bei den Ergänzungswahlen im Herbſt 1847.
Struve unterlag, mit ihm einige ſeiner radicalen Freunde.

So begann die längſt ſchon gebotene Klärung des Parteiweſens, auch
ſie leider viel zu ſpät um die deutſche Nation noch rechtzeitig zu belehren.
Niemand litt unter dem Windzuge dieſer neuen Zeit ſchwerer als der alte
Adam v. Itzſtein, der ſo lange alle Kräfte der Oppoſition mit diploma-
tiſcher Kunſt zuſammengehalten hatte. Jetzt mußte er die tüchtigſten
Männer ſeiner Gefolgſchaft rechts abſchwenken ſehen, während ihn ſelber
die Wucht der tauſendmal wiederholten radicalen Phraſe nach links hin-
überzog. Fortan war er ein todter Mann. Die Schärfe der neuen Partei-
gegenſätze zeigte ſich noch einmal grell in den erſten Wochen des Jahres
1848, als die drei größten Fabriken des Landes in Waghäuſel, Ettlingen,
Karlsruhe durch den Sturz des großen Bankhauſes Haber und andere
Unglücksfälle ſchwer gefährdet wurden und die Regierung vorſchlug ihnen
durch eine Staatsunterſtützung zu Hilfe zu kommen. Da verwendete ſich
Mathy, der vor Kurzem noch ſo gefürchtete Demagog, lebhaft für den
Antrag der Miniſter; Hecker aber überreichte eine Petition von 63 Ar-
beitern, welche Macht gegen Macht den 63 Abgeordneten entgegentraten
und ſich jede Begünſtigung des Großcapitals trutzig verbaten. Unterdeſſen
beriethen die Liberalen über die Zukunft des Deutſchen Bundes. An dem
nahen Zuſammenbruche zweifelte Niemand mehr, aber Niemand wußte
auch einen ſicheren Weg der Rettung. Nur der eine Gedanke, den Welcker
ſchon vor anderthalb Jahrzehnten in dieſer Kammer ausgeſprochen hatte,
ſchien Allen unzweifelhaft: ohne die Mitwirkung populärer Kräfte konnte

*) Radowitz’s Berichte, 4. Jan., 6. Aug. 1847.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0694" n="680"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> 9. Der Niedergang des Deut&#x017F;chen Bundes.</fw><lb/>
Bundesgeno&#x017F;&#x017F;en an dem jungen Demagogen Karl Blind und vielen<lb/>
fremden Agenten, deren das Grenzland &#x017F;ich &#x017F;chwer erwehren konnte. Zu-<lb/>
gleich ward der Abhub der Schweizer und der Pari&#x017F;er Pre&#x017F;&#x017F;e Tag für<lb/>
Tag über den Rhein gefahren. Das franzö&#x017F;i&#x017F;che Communi&#x017F;ten&#x017F;chimpfwort<lb/>
Bourgeois klang auch in Baden wieder, wo es doch gar keinen Sinn<lb/>
hatte, und auf einer radicalen Volksver&#x017F;ammlung zu Offenburg (Sept. 1847)<lb/>
wurde außer den läng&#x017F;t landesüblichen Volkswün&#x017F;chen auch &#x017F;chon die For-<lb/>
derung aufge&#x017F;tellt: Ausgleichung zwi&#x017F;chen Capital und Arbeit. Eine &#x017F;ociale<lb/>
Bewegung kündigte &#x017F;ich an. Völlig hoffnungslos &#x017F;prach Radowitz über<lb/>
&#x201E;die ganz inficirte Atmo&#x017F;phäre&#x201C; die&#x017F;es Landes. Unheil erwartete er auch von<lb/>
den &#x017F;oeben wieder zugela&#x017F;&#x017F;enen Freimaurerlogen, die allerdings in Baden,<lb/>
wie in allen katholi&#x017F;chen Ländern, dem kirchlich-politi&#x017F;chen Liberalismus<lb/>
weit näher traten als im prote&#x017F;tanti&#x017F;chen Norden; dies konnte der König,<lb/>
nach den Traditionen &#x017F;eines Hau&#x017F;es, freilich nicht ruhig hinnehmen, und<lb/>
er rügte &#x017F;charf: &#x201E;Welche cra&#x017F;&#x017F;e Unkenntniß der wahren Tendenz der<lb/>
Maurerei!! Wer &#x017F;ie kennen lernen will, trete in &#x017F;ie ein!&#x201C;<note place="foot" n="*)">Radowitz&#x2019;s Berichte, 4. Jan., 6. Aug. 1847.</note> Nach mannich-<lb/>
fachen Händeln und Ver&#x017F;öhnungsver&#x017F;uchen maßen &#x017F;ich die beiden Parteien<lb/>
endlich im offenen Kampfe, bei den Ergänzungswahlen im Herb&#x017F;t 1847.<lb/>
Struve unterlag, mit ihm einige &#x017F;einer radicalen Freunde.</p><lb/>
          <p>So begann die läng&#x017F;t &#x017F;chon gebotene Klärung des Parteiwe&#x017F;ens, auch<lb/>
&#x017F;ie leider viel zu &#x017F;pät um die deut&#x017F;che Nation noch rechtzeitig zu belehren.<lb/>
Niemand litt unter dem Windzuge die&#x017F;er neuen Zeit &#x017F;chwerer als der alte<lb/>
Adam v. Itz&#x017F;tein, der &#x017F;o lange alle Kräfte der Oppo&#x017F;ition mit diploma-<lb/>
ti&#x017F;cher Kun&#x017F;t zu&#x017F;ammengehalten hatte. Jetzt mußte er die tüchtig&#x017F;ten<lb/>
Männer &#x017F;einer Gefolg&#x017F;chaft rechts ab&#x017F;chwenken &#x017F;ehen, während ihn &#x017F;elber<lb/>
die Wucht der tau&#x017F;endmal wiederholten radicalen Phra&#x017F;e nach links hin-<lb/>
überzog. Fortan war er ein todter Mann. Die Schärfe der neuen Partei-<lb/>
gegen&#x017F;ätze zeigte &#x017F;ich noch einmal grell in den er&#x017F;ten Wochen des Jahres<lb/>
1848, als die drei größten Fabriken des Landes in Waghäu&#x017F;el, Ettlingen,<lb/>
Karlsruhe durch den Sturz des großen Bankhau&#x017F;es Haber und andere<lb/>
Unglücksfälle &#x017F;chwer gefährdet wurden und die Regierung vor&#x017F;chlug ihnen<lb/>
durch eine Staatsunter&#x017F;tützung zu Hilfe zu kommen. Da verwendete &#x017F;ich<lb/>
Mathy, der vor Kurzem noch &#x017F;o gefürchtete Demagog, lebhaft für den<lb/>
Antrag der Mini&#x017F;ter; Hecker aber überreichte eine Petition von 63 Ar-<lb/>
beitern, welche Macht gegen Macht den 63 Abgeordneten entgegentraten<lb/>
und &#x017F;ich jede Begün&#x017F;tigung des Großcapitals trutzig verbaten. Unterde&#x017F;&#x017F;en<lb/>
beriethen die Liberalen über die Zukunft des Deut&#x017F;chen Bundes. An dem<lb/>
nahen Zu&#x017F;ammenbruche zweifelte Niemand mehr, aber Niemand wußte<lb/>
auch einen &#x017F;icheren Weg der Rettung. Nur der eine Gedanke, den Welcker<lb/>
&#x017F;chon vor anderthalb Jahrzehnten in die&#x017F;er Kammer ausge&#x017F;prochen hatte,<lb/>
&#x017F;chien Allen unzweifelhaft: ohne die Mitwirkung populärer Kräfte konnte<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[680/0694] V. 9. Der Niedergang des Deutſchen Bundes. Bundesgenoſſen an dem jungen Demagogen Karl Blind und vielen fremden Agenten, deren das Grenzland ſich ſchwer erwehren konnte. Zu- gleich ward der Abhub der Schweizer und der Pariſer Preſſe Tag für Tag über den Rhein gefahren. Das franzöſiſche Communiſtenſchimpfwort Bourgeois klang auch in Baden wieder, wo es doch gar keinen Sinn hatte, und auf einer radicalen Volksverſammlung zu Offenburg (Sept. 1847) wurde außer den längſt landesüblichen Volkswünſchen auch ſchon die For- derung aufgeſtellt: Ausgleichung zwiſchen Capital und Arbeit. Eine ſociale Bewegung kündigte ſich an. Völlig hoffnungslos ſprach Radowitz über „die ganz inficirte Atmoſphäre“ dieſes Landes. Unheil erwartete er auch von den ſoeben wieder zugelaſſenen Freimaurerlogen, die allerdings in Baden, wie in allen katholiſchen Ländern, dem kirchlich-politiſchen Liberalismus weit näher traten als im proteſtantiſchen Norden; dies konnte der König, nach den Traditionen ſeines Hauſes, freilich nicht ruhig hinnehmen, und er rügte ſcharf: „Welche craſſe Unkenntniß der wahren Tendenz der Maurerei!! Wer ſie kennen lernen will, trete in ſie ein!“ *) Nach mannich- fachen Händeln und Verſöhnungsverſuchen maßen ſich die beiden Parteien endlich im offenen Kampfe, bei den Ergänzungswahlen im Herbſt 1847. Struve unterlag, mit ihm einige ſeiner radicalen Freunde. So begann die längſt ſchon gebotene Klärung des Parteiweſens, auch ſie leider viel zu ſpät um die deutſche Nation noch rechtzeitig zu belehren. Niemand litt unter dem Windzuge dieſer neuen Zeit ſchwerer als der alte Adam v. Itzſtein, der ſo lange alle Kräfte der Oppoſition mit diploma- tiſcher Kunſt zuſammengehalten hatte. Jetzt mußte er die tüchtigſten Männer ſeiner Gefolgſchaft rechts abſchwenken ſehen, während ihn ſelber die Wucht der tauſendmal wiederholten radicalen Phraſe nach links hin- überzog. Fortan war er ein todter Mann. Die Schärfe der neuen Partei- gegenſätze zeigte ſich noch einmal grell in den erſten Wochen des Jahres 1848, als die drei größten Fabriken des Landes in Waghäuſel, Ettlingen, Karlsruhe durch den Sturz des großen Bankhauſes Haber und andere Unglücksfälle ſchwer gefährdet wurden und die Regierung vorſchlug ihnen durch eine Staatsunterſtützung zu Hilfe zu kommen. Da verwendete ſich Mathy, der vor Kurzem noch ſo gefürchtete Demagog, lebhaft für den Antrag der Miniſter; Hecker aber überreichte eine Petition von 63 Ar- beitern, welche Macht gegen Macht den 63 Abgeordneten entgegentraten und ſich jede Begünſtigung des Großcapitals trutzig verbaten. Unterdeſſen beriethen die Liberalen über die Zukunft des Deutſchen Bundes. An dem nahen Zuſammenbruche zweifelte Niemand mehr, aber Niemand wußte auch einen ſicheren Weg der Rettung. Nur der eine Gedanke, den Welcker ſchon vor anderthalb Jahrzehnten in dieſer Kammer ausgeſprochen hatte, ſchien Allen unzweifelhaft: ohne die Mitwirkung populärer Kräfte konnte *) Radowitz’s Berichte, 4. Jan., 6. Aug. 1847.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/694
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 680. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/694>, abgerufen am 02.05.2024.