feuer die erregte Stadt. Die Bürger murrten laut, viele lebten ja von den Professoren und Studenten; auf ihre dringenden Bitten wich der König einen Schritt zurück und versprach die Universität bereits im Sommer wieder eröffnen zu lassen. Das genügte schon nicht mehr. Am 11. Febr. tagte eine große Bürgerversammlung auf dem Rathhause, drunten auf dem Schrannenplatze stand das Volk Kopf an Kopf. Nach heftigen Reden wurde beschlossen, sofort eine neue Bitte dem Monarchen vorzutragen, die Masse drängte den Abgesandten zum Schlosse nach. Man fürchtete das Aergste, da der Pöbel durch die Bierkrawalle der jüngsten Zeit schon an Unfug gewöhnt, auch über manche Roheit der Gensdarmen erbittert war. Endlich trat Fürst Wallerstein in das Portal des Schlosses und verkündete, die Bitte sei genehmigt, die Vorlesungen an der Universität sollten sofort wieder beginnen. Zugleich erzählte er den Umstehenden, die Gräfin Landsfeld würde noch heute die Stadt verlassen. Unter wildem Freudengeschrei eilte nun die Masse nach der Barerstraße um Lola's Ab- reise abzuwarten. Plötzlich ging der Thorweg auf, und der Wagen der Gräfin jagte in rasendem Laufe davon. Der enttäuschte Pöbel stürmte sodann in die Villa und begann Alles zu zerschlagen. Mit einem male kam der König und befahl kurz mit lauter Stimme: schonet mein Eigen- thum! Augenblicklich ward Alles still, die Häupter entblößten sich, einer aus dem Haufen hub an: "Heil unserm König, Heil", und die Masse sang das Lied nach, derweil Ludwig schweigend hinwegschritt.
So schien der Spuk verflogen, der wüste Zigeunertanz beendigt. Fromme Zeichendeuter erkannten schon den Finger Gottes, denn genau am Jahrestage des Abel'schen Memorandums hatte die Unholdin das Feld räumen müssen. Alle Verständigen rechneten jetzt sicher auf inneren Frieden; sie wußten im Voraus, daß die leichtlebigen Münchener ihrem Ludwig seine Wanderungen im Irrgarten der Liebe nicht splitterrichterlich nachtragen würden; leicht und ohne Kleinsinn zu verzeihen war ja von jeher gut bairische Art. Ludwig selbst dachte anders. Er hatte sich im Herzen von seiner Lola noch nicht losgesagt und hoffte noch immer auf ihre Wieder- kehr; er empfand die gehässige Undankbarkeit seiner Münchener sehr bitter und fühlte sich durch die abgezwungenen Zugeständnisse so tief gedemüthigt, daß er schon ernstlich die Frage erwog, ob er nicht die Krone seinem in jeder Hinsicht kleineren Thronfolger überlassen solle. Derweil er also noch mit sich selber kämpfte, kamen die Nachrichten von der Pariser Revolution. München gerieth abermals in Bewegung, das schon erschütterte Ansehen des Thrones ward abermals bedroht, und in blindem Unmuth entschloß sich Ludwig ganz ohne Noth zu der Abdankung, die ein Unglück werden sollte für Deutschland und für Baiern. --
Von diesen doch fast zufälligen Verirrungen und Parteikämpfen konnten sich die volksbeliebten Wittelsbacher immerhin bald wieder erholen. Weit tiefer und nachhaltiger wurde das Ansehen des deutschen Fürstenstandes
V. 9. Der Niedergang des Deutſchen Bundes.
feuer die erregte Stadt. Die Bürger murrten laut, viele lebten ja von den Profeſſoren und Studenten; auf ihre dringenden Bitten wich der König einen Schritt zurück und verſprach die Univerſität bereits im Sommer wieder eröffnen zu laſſen. Das genügte ſchon nicht mehr. Am 11. Febr. tagte eine große Bürgerverſammlung auf dem Rathhauſe, drunten auf dem Schrannenplatze ſtand das Volk Kopf an Kopf. Nach heftigen Reden wurde beſchloſſen, ſofort eine neue Bitte dem Monarchen vorzutragen, die Maſſe drängte den Abgeſandten zum Schloſſe nach. Man fürchtete das Aergſte, da der Pöbel durch die Bierkrawalle der jüngſten Zeit ſchon an Unfug gewöhnt, auch über manche Roheit der Gensdarmen erbittert war. Endlich trat Fürſt Wallerſtein in das Portal des Schloſſes und verkündete, die Bitte ſei genehmigt, die Vorleſungen an der Univerſität ſollten ſofort wieder beginnen. Zugleich erzählte er den Umſtehenden, die Gräfin Landsfeld würde noch heute die Stadt verlaſſen. Unter wildem Freudengeſchrei eilte nun die Maſſe nach der Barerſtraße um Lola’s Ab- reiſe abzuwarten. Plötzlich ging der Thorweg auf, und der Wagen der Gräfin jagte in raſendem Laufe davon. Der enttäuſchte Pöbel ſtürmte ſodann in die Villa und begann Alles zu zerſchlagen. Mit einem male kam der König und befahl kurz mit lauter Stimme: ſchonet mein Eigen- thum! Augenblicklich ward Alles ſtill, die Häupter entblößten ſich, einer aus dem Haufen hub an: „Heil unſerm König, Heil“, und die Maſſe ſang das Lied nach, derweil Ludwig ſchweigend hinwegſchritt.
So ſchien der Spuk verflogen, der wüſte Zigeunertanz beendigt. Fromme Zeichendeuter erkannten ſchon den Finger Gottes, denn genau am Jahrestage des Abel’ſchen Memorandums hatte die Unholdin das Feld räumen müſſen. Alle Verſtändigen rechneten jetzt ſicher auf inneren Frieden; ſie wußten im Voraus, daß die leichtlebigen Münchener ihrem Ludwig ſeine Wanderungen im Irrgarten der Liebe nicht ſplitterrichterlich nachtragen würden; leicht und ohne Kleinſinn zu verzeihen war ja von jeher gut bairiſche Art. Ludwig ſelbſt dachte anders. Er hatte ſich im Herzen von ſeiner Lola noch nicht losgeſagt und hoffte noch immer auf ihre Wieder- kehr; er empfand die gehäſſige Undankbarkeit ſeiner Münchener ſehr bitter und fühlte ſich durch die abgezwungenen Zugeſtändniſſe ſo tief gedemüthigt, daß er ſchon ernſtlich die Frage erwog, ob er nicht die Krone ſeinem in jeder Hinſicht kleineren Thronfolger überlaſſen ſolle. Derweil er alſo noch mit ſich ſelber kämpfte, kamen die Nachrichten von der Pariſer Revolution. München gerieth abermals in Bewegung, das ſchon erſchütterte Anſehen des Thrones ward abermals bedroht, und in blindem Unmuth entſchloß ſich Ludwig ganz ohne Noth zu der Abdankung, die ein Unglück werden ſollte für Deutſchland und für Baiern. —
Von dieſen doch faſt zufälligen Verirrungen und Parteikämpfen konnten ſich die volksbeliebten Wittelsbacher immerhin bald wieder erholen. Weit tiefer und nachhaltiger wurde das Anſehen des deutſchen Fürſtenſtandes
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V. 9. Der Niedergang des Deutſchen Bundes.
feuer die erregte Stadt. Die Bürger murrten laut, viele lebten ja von
den Profeſſoren und Studenten; auf ihre dringenden Bitten wich der König
einen Schritt zurück und verſprach die Univerſität bereits im Sommer
wieder eröffnen zu laſſen. Das genügte ſchon nicht mehr. Am 11. Febr.
tagte eine große Bürgerverſammlung auf dem Rathhauſe, drunten auf
dem Schrannenplatze ſtand das Volk Kopf an Kopf. Nach heftigen Reden
wurde beſchloſſen, ſofort eine neue Bitte dem Monarchen vorzutragen,
die Maſſe drängte den Abgeſandten zum Schloſſe nach. Man fürchtete
das Aergſte, da der Pöbel durch die Bierkrawalle der jüngſten Zeit ſchon
an Unfug gewöhnt, auch über manche Roheit der Gensdarmen erbittert
war. Endlich trat Fürſt Wallerſtein in das Portal des Schloſſes und
verkündete, die Bitte ſei genehmigt, die Vorleſungen an der Univerſität
ſollten ſofort wieder beginnen. Zugleich erzählte er den Umſtehenden,
die Gräfin Landsfeld würde noch heute die Stadt verlaſſen. Unter wildem
Freudengeſchrei eilte nun die Maſſe nach der Barerſtraße um Lola’s Ab-
reiſe abzuwarten. Plötzlich ging der Thorweg auf, und der Wagen der
Gräfin jagte in raſendem Laufe davon. Der enttäuſchte Pöbel ſtürmte
ſodann in die Villa und begann Alles zu zerſchlagen. Mit einem male
kam der König und befahl kurz mit lauter Stimme: ſchonet mein Eigen-
thum! Augenblicklich ward Alles ſtill, die Häupter entblößten ſich, einer
aus dem Haufen hub an: „Heil unſerm König, Heil“, und die Maſſe
ſang das Lied nach, derweil Ludwig ſchweigend hinwegſchritt.
So ſchien der Spuk verflogen, der wüſte Zigeunertanz beendigt.
Fromme Zeichendeuter erkannten ſchon den Finger Gottes, denn genau
am Jahrestage des Abel’ſchen Memorandums hatte die Unholdin das Feld
räumen müſſen. Alle Verſtändigen rechneten jetzt ſicher auf inneren Frieden;
ſie wußten im Voraus, daß die leichtlebigen Münchener ihrem Ludwig ſeine
Wanderungen im Irrgarten der Liebe nicht ſplitterrichterlich nachtragen
würden; leicht und ohne Kleinſinn zu verzeihen war ja von jeher gut
bairiſche Art. Ludwig ſelbſt dachte anders. Er hatte ſich im Herzen von
ſeiner Lola noch nicht losgeſagt und hoffte noch immer auf ihre Wieder-
kehr; er empfand die gehäſſige Undankbarkeit ſeiner Münchener ſehr bitter
und fühlte ſich durch die abgezwungenen Zugeſtändniſſe ſo tief gedemüthigt,
daß er ſchon ernſtlich die Frage erwog, ob er nicht die Krone ſeinem in
jeder Hinſicht kleineren Thronfolger überlaſſen ſolle. Derweil er alſo noch
mit ſich ſelber kämpfte, kamen die Nachrichten von der Pariſer Revolution.
München gerieth abermals in Bewegung, das ſchon erſchütterte Anſehen
des Thrones ward abermals bedroht, und in blindem Unmuth entſchloß
ſich Ludwig ganz ohne Noth zu der Abdankung, die ein Unglück werden
ſollte für Deutſchland und für Baiern. —
Von dieſen doch faſt zufälligen Verirrungen und Parteikämpfen konnten
ſich die volksbeliebten Wittelsbacher immerhin bald wieder erholen. Weit
tiefer und nachhaltiger wurde das Anſehen des deutſchen Fürſtenſtandes
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 662. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/676>, abgerufen am 23.07.2024.
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