zusammen, das seine Kneipe im Hinterhause der gräflichen Villa aufschlug. Es waren durchweg schöne Leute, auf Kosten ihrer Freundin elegant ge- kleidet, im Uebrigen ein nichtsnutziges, sittenloses Volk; und dieser Auswurf der Universität bildete fortan Lola's Leibwache, wenn sie die Straßen und die Cafehäuser durchzog. Die Alemannen zeigten sich jetzt prahlerisch, her- ausfordernd in den Hörsälen, wo man sie früher nie gesehen, aber sobald eine rothe Alemannenmütze auftauchte begannen die Commilitonen zu lärmen, zu zischen, zu pfeifen und verließen dann allesammt den Saal. Die Studentenschaft war Mann für Mann entschlossen, eine solche Rotte nicht mehr unter sich zu dulden; und nun erfrechte sich Minister Berks gar noch, auf einem Commerse die Alemannen als Pfleger der Studien, der Humanität, der Sittlichkeit zu feiern, die Gefolgschaft Lola's der ver- dorbenen Jugend als Musterbild vorzuhalten. Das war mehr als deutsche Burschen vertragen konnten; selbst Thiersch, der allbeliebte neue Rector, vermochte durch seine väterlichen Anreden den Grimm der Jugend nicht mehr auf die Dauer zu bändigen.
Mitten in diesen akademischen Wirren starb Görres (29. Jan. 1848). Glücklicher konnte er nicht enden, denn grade jetzt ward er als unbeug- samer, freimüthiger Feind einer verachteten Regierung überall gepriesen. Noch auf dem Sterbebette sagte er: "der Staat regiert, die Kirche pro- testirt." Auch die ehrlichen Gegner fühlten, daß dieser phantastische Geist auf seinen weiten Irrfahrten vom Jacobinerthum bis zur clericalen Partei doch eigentlich sich selber niemals untreu geworden war; für die Nation blieb er der gewaltige Redner des Rheinischen Mercurs. Sein Begräbniß gestaltete sich zu einer drohenden Kundgebung gegen das neue Regiment, und die ganz von Lola abhängige Polizei reizte Bürger und Studenten noch mehr auf durch allerhand plumpe Eingriffe. Am 7. Febr. 1848 erfüllten lärmende Massen den stillen Platz vor dem neuen Universitäts- gebäude am Siegesthore, die Alemannen traten ihren Feinden mit erstaun- licher Frechheit entgegen. Am 9. wiederholten sich die unruhigen Auf- tritte, diesmal heftiger; auf der langen Ludwigsstraße vom Siegesthore bis zum Hofgarten tummelten sich tobende Volkshaufen, ein Alemanne zückte den Dolch gegen einen Commilitonen und floh dann noch rechtzeitig mit seinen Gesellen. Da erschien plötzlich Lola selbst in den Arkaden des Hofgartens, wildes Geheul empfing sie, mit Koth und Steinen beworfen mußte sie in der nahen Theatinerkirche Schutz suchen.
Nun hielt sich Ludwig nicht mehr. Noch am nämlichen Tage befahl er die Universität sofort bis zum Winter zu schließen. Dieselbe Strafe hatte er schon vor siebzehn Jahren einmal über seine unruhigen Stu- denten verhängt.*) Damals war die Uebereilung in der Stille wieder zurückgenommen werden; jetzt aber durchflog die Nachricht wie ein Lauf-
*) S. o. IV. 241.
Alemannia. Görres’ Tod.
zuſammen, das ſeine Kneipe im Hinterhauſe der gräflichen Villa aufſchlug. Es waren durchweg ſchöne Leute, auf Koſten ihrer Freundin elegant ge- kleidet, im Uebrigen ein nichtsnutziges, ſittenloſes Volk; und dieſer Auswurf der Univerſität bildete fortan Lola’s Leibwache, wenn ſie die Straßen und die Cafehäuſer durchzog. Die Alemannen zeigten ſich jetzt prahleriſch, her- ausfordernd in den Hörſälen, wo man ſie früher nie geſehen, aber ſobald eine rothe Alemannenmütze auftauchte begannen die Commilitonen zu lärmen, zu ziſchen, zu pfeifen und verließen dann alleſammt den Saal. Die Studentenſchaft war Mann für Mann entſchloſſen, eine ſolche Rotte nicht mehr unter ſich zu dulden; und nun erfrechte ſich Miniſter Berks gar noch, auf einem Commerſe die Alemannen als Pfleger der Studien, der Humanität, der Sittlichkeit zu feiern, die Gefolgſchaft Lola’s der ver- dorbenen Jugend als Muſterbild vorzuhalten. Das war mehr als deutſche Burſchen vertragen konnten; ſelbſt Thierſch, der allbeliebte neue Rector, vermochte durch ſeine väterlichen Anreden den Grimm der Jugend nicht mehr auf die Dauer zu bändigen.
Mitten in dieſen akademiſchen Wirren ſtarb Görres (29. Jan. 1848). Glücklicher konnte er nicht enden, denn grade jetzt ward er als unbeug- ſamer, freimüthiger Feind einer verachteten Regierung überall geprieſen. Noch auf dem Sterbebette ſagte er: „der Staat regiert, die Kirche pro- teſtirt.“ Auch die ehrlichen Gegner fühlten, daß dieſer phantaſtiſche Geiſt auf ſeinen weiten Irrfahrten vom Jacobinerthum bis zur clericalen Partei doch eigentlich ſich ſelber niemals untreu geworden war; für die Nation blieb er der gewaltige Redner des Rheiniſchen Mercurs. Sein Begräbniß geſtaltete ſich zu einer drohenden Kundgebung gegen das neue Regiment, und die ganz von Lola abhängige Polizei reizte Bürger und Studenten noch mehr auf durch allerhand plumpe Eingriffe. Am 7. Febr. 1848 erfüllten lärmende Maſſen den ſtillen Platz vor dem neuen Univerſitäts- gebäude am Siegesthore, die Alemannen traten ihren Feinden mit erſtaun- licher Frechheit entgegen. Am 9. wiederholten ſich die unruhigen Auf- tritte, diesmal heftiger; auf der langen Ludwigsſtraße vom Siegesthore bis zum Hofgarten tummelten ſich tobende Volkshaufen, ein Alemanne zückte den Dolch gegen einen Commilitonen und floh dann noch rechtzeitig mit ſeinen Geſellen. Da erſchien plötzlich Lola ſelbſt in den Arkaden des Hofgartens, wildes Geheul empfing ſie, mit Koth und Steinen beworfen mußte ſie in der nahen Theatinerkirche Schutz ſuchen.
Nun hielt ſich Ludwig nicht mehr. Noch am nämlichen Tage befahl er die Univerſität ſofort bis zum Winter zu ſchließen. Dieſelbe Strafe hatte er ſchon vor ſiebzehn Jahren einmal über ſeine unruhigen Stu- denten verhängt.*) Damals war die Uebereilung in der Stille wieder zurückgenommen werden; jetzt aber durchflog die Nachricht wie ein Lauf-
*) S. o. IV. 241.
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Alemannia. Görres’ Tod.
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Es waren durchweg ſchöne Leute, auf Koſten ihrer Freundin elegant ge-
kleidet, im Uebrigen ein nichtsnutziges, ſittenloſes Volk; und dieſer Auswurf
der Univerſität bildete fortan Lola’s Leibwache, wenn ſie die Straßen und
die Cafehäuſer durchzog. Die Alemannen zeigten ſich jetzt prahleriſch, her-
ausfordernd in den Hörſälen, wo man ſie früher nie geſehen, aber ſobald
eine rothe Alemannenmütze auftauchte begannen die Commilitonen zu
lärmen, zu ziſchen, zu pfeifen und verließen dann alleſammt den Saal.
Die Studentenſchaft war Mann für Mann entſchloſſen, eine ſolche Rotte
nicht mehr unter ſich zu dulden; und nun erfrechte ſich Miniſter Berks
gar noch, auf einem Commerſe die Alemannen als Pfleger der Studien,
der Humanität, der Sittlichkeit zu feiern, die Gefolgſchaft Lola’s der ver-
dorbenen Jugend als Muſterbild vorzuhalten. Das war mehr als deutſche
Burſchen vertragen konnten; ſelbſt Thierſch, der allbeliebte neue Rector,
vermochte durch ſeine väterlichen Anreden den Grimm der Jugend nicht
mehr auf die Dauer zu bändigen.
Mitten in dieſen akademiſchen Wirren ſtarb Görres (29. Jan. 1848).
Glücklicher konnte er nicht enden, denn grade jetzt ward er als unbeug-
ſamer, freimüthiger Feind einer verachteten Regierung überall geprieſen.
Noch auf dem Sterbebette ſagte er: „der Staat regiert, die Kirche pro-
teſtirt.“ Auch die ehrlichen Gegner fühlten, daß dieſer phantaſtiſche Geiſt
auf ſeinen weiten Irrfahrten vom Jacobinerthum bis zur clericalen Partei
doch eigentlich ſich ſelber niemals untreu geworden war; für die Nation
blieb er der gewaltige Redner des Rheiniſchen Mercurs. Sein Begräbniß
geſtaltete ſich zu einer drohenden Kundgebung gegen das neue Regiment,
und die ganz von Lola abhängige Polizei reizte Bürger und Studenten
noch mehr auf durch allerhand plumpe Eingriffe. Am 7. Febr. 1848
erfüllten lärmende Maſſen den ſtillen Platz vor dem neuen Univerſitäts-
gebäude am Siegesthore, die Alemannen traten ihren Feinden mit erſtaun-
licher Frechheit entgegen. Am 9. wiederholten ſich die unruhigen Auf-
tritte, diesmal heftiger; auf der langen Ludwigsſtraße vom Siegesthore
bis zum Hofgarten tummelten ſich tobende Volkshaufen, ein Alemanne
zückte den Dolch gegen einen Commilitonen und floh dann noch rechtzeitig
mit ſeinen Geſellen. Da erſchien plötzlich Lola ſelbſt in den Arkaden des
Hofgartens, wildes Geheul empfing ſie, mit Koth und Steinen beworfen
mußte ſie in der nahen Theatinerkirche Schutz ſuchen.
Nun hielt ſich Ludwig nicht mehr. Noch am nämlichen Tage befahl
er die Univerſität ſofort bis zum Winter zu ſchließen. Dieſelbe Strafe
hatte er ſchon vor ſiebzehn Jahren einmal über ſeine unruhigen Stu-
denten verhängt. *) Damals war die Uebereilung in der Stille wieder
zurückgenommen werden; jetzt aber durchflog die Nachricht wie ein Lauf-
*) S. o. IV. 241.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 661. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/675>, abgerufen am 22.11.2024.
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