Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.V. 9. Der Niedergang des Deutschen Bundes. Reformen verderben mußte. Seit der Heimkehr aus Brückenau gebärdete sichLola frech als Herrscherin; sie hielt in der lieblichen Villa, die ihr der König auf der Barerstraße erbaut hatte, üppige Gelage, fuhr in prächtigem Gespann durch die Straßen, und überall wo sie sich zeigte gab es Händel, die durch ergebene Geheimpolizisten und Gensdarmen mühsam beigelegt wurden. Zunächst wünschte sie Aufnahme zu finden in der vornehmen Gesellschaft, doch alle Thüren blieben ihr verschlossen; selbst ein Flügel- adjutant des Königs, ein Sohn seines alten Jugendfreundes v. d. Tann weigerte sich die Gräfin zu besuchen. Ludwig fluchte auf die Pfaffen und die alten Weiber, die seiner Geliebten das Leben vergällten, und da auch Maurer den geselligen Verkehr standhaft verweigerte, so mußte der Mi- nister vor der Tänzerin weichen. Am 1. December, alsbald nach Schluß des Landtags, trat eine neue Regierung zusammen, die sogleich den wohl- verdienten Namen des Lola-Ministeriums erhielt. Fürst Oettingen-Waller- stein, der Unberechenbare, der in den letzten Jahren, über und über ver- schuldet, immer mehr zum Abenteurer geworden war, nahm keinen An- stand an die Spitze dieses Cabinets zu treten, der Leichtsinnige traute sich's zu jede nähere Berührung mit der Tänzerin vermeiden zu können. Allgemeinen Abscheu erweckte sein neuer Amtsgenosse Berks, ein gemeiner Gesell und dreister Schwätzer, der sich bisher nur als Lola's Reisebegleiter Verdienste erworben hatte. Von nun an zeigte die bisher wesentlich durch die Ultramontanen geschürte Münchener Volksbewegung ein verändertes Wesen. Wohl schwoll die Wuth der Clericalen noch immer an, zumal da jetzt zwei ihrer schärfsten Gegner, Hormayr und Fallmerayer an das Archiv und die Universität berufen wurden; aber der Parteihaß war fortan schwächer als das Gefühl menschlichen Ekels. Die tolle Fremde trieb es zu arg, ihre dummdreiste spanische Hoffart empörte schließlich Jeder- mann ohne Unterschied der Partei, nur nicht das Gesindel ihrer Schma- rotzer und den noch immer verblendeten König. Das Weib muß fort! -- so sagte alle Welt, und es begann ein echt bairisches Haberfeldtreiben, wobei die Erbosten ganz vergaßen, daß ihre Entrüstung auch den König traf, den sie doch nicht treffen sollte. An die Spitze dieser nunmehr ganz unpolitischen Opposition trat V. 9. Der Niedergang des Deutſchen Bundes. Reformen verderben mußte. Seit der Heimkehr aus Brückenau gebärdete ſichLola frech als Herrſcherin; ſie hielt in der lieblichen Villa, die ihr der König auf der Barerſtraße erbaut hatte, üppige Gelage, fuhr in prächtigem Geſpann durch die Straßen, und überall wo ſie ſich zeigte gab es Händel, die durch ergebene Geheimpoliziſten und Gensdarmen mühſam beigelegt wurden. Zunächſt wünſchte ſie Aufnahme zu finden in der vornehmen Geſellſchaft, doch alle Thüren blieben ihr verſchloſſen; ſelbſt ein Flügel- adjutant des Königs, ein Sohn ſeines alten Jugendfreundes v. d. Tann weigerte ſich die Gräfin zu beſuchen. Ludwig fluchte auf die Pfaffen und die alten Weiber, die ſeiner Geliebten das Leben vergällten, und da auch Maurer den geſelligen Verkehr ſtandhaft verweigerte, ſo mußte der Mi- niſter vor der Tänzerin weichen. Am 1. December, alsbald nach Schluß des Landtags, trat eine neue Regierung zuſammen, die ſogleich den wohl- verdienten Namen des Lola-Miniſteriums erhielt. Fürſt Oettingen-Waller- ſtein, der Unberechenbare, der in den letzten Jahren, über und über ver- ſchuldet, immer mehr zum Abenteurer geworden war, nahm keinen An- ſtand an die Spitze dieſes Cabinets zu treten, der Leichtſinnige traute ſich’s zu jede nähere Berührung mit der Tänzerin vermeiden zu können. Allgemeinen Abſcheu erweckte ſein neuer Amtsgenoſſe Berks, ein gemeiner Geſell und dreiſter Schwätzer, der ſich bisher nur als Lola’s Reiſebegleiter Verdienſte erworben hatte. Von nun an zeigte die bisher weſentlich durch die Ultramontanen geſchürte Münchener Volksbewegung ein verändertes Weſen. Wohl ſchwoll die Wuth der Clericalen noch immer an, zumal da jetzt zwei ihrer ſchärfſten Gegner, Hormayr und Fallmerayer an das Archiv und die Univerſität berufen wurden; aber der Parteihaß war fortan ſchwächer als das Gefühl menſchlichen Ekels. Die tolle Fremde trieb es zu arg, ihre dummdreiſte ſpaniſche Hoffart empörte ſchließlich Jeder- mann ohne Unterſchied der Partei, nur nicht das Geſindel ihrer Schma- rotzer und den noch immer verblendeten König. Das Weib muß fort! — ſo ſagte alle Welt, und es begann ein echt bairiſches Haberfeldtreiben, wobei die Erboſten ganz vergaßen, daß ihre Entrüſtung auch den König traf, den ſie doch nicht treffen ſollte. 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Ludwig fluchte auf die Pfaffen und<lb/> die alten Weiber, die ſeiner Geliebten das Leben vergällten, und da auch<lb/> Maurer den geſelligen Verkehr ſtandhaft verweigerte, ſo mußte der Mi-<lb/> niſter vor der Tänzerin weichen. Am 1. December, alsbald nach Schluß<lb/> des Landtags, trat eine neue Regierung zuſammen, die ſogleich den wohl-<lb/> verdienten Namen des Lola-Miniſteriums erhielt. Fürſt Oettingen-Waller-<lb/> ſtein, der Unberechenbare, der in den letzten Jahren, über und über ver-<lb/> ſchuldet, immer mehr zum Abenteurer geworden war, nahm keinen An-<lb/> ſtand an die Spitze dieſes Cabinets zu treten, der Leichtſinnige traute<lb/> ſich’s zu jede nähere Berührung mit der Tänzerin vermeiden zu können.<lb/> Allgemeinen Abſcheu erweckte ſein neuer Amtsgenoſſe Berks, ein gemeiner<lb/> Geſell und dreiſter Schwätzer, der ſich bisher nur als Lola’s Reiſebegleiter<lb/> Verdienſte erworben hatte. 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Froh der neu gewährten Verbindungsfreiheit,<lb/> hatten die Studenten die Austreibung ſo vieler beliebter Lehrer ſchon<lb/> vergeſſen; da bemerkten eines Tages einige Corpsburſchen der Palatia<lb/> beim Durchwandeln der Barerſtraße, daß zwei ihrer Leute vergnügt in<lb/> der verrufenen Villa ſaßen und Lola ſich die Pfälzermütze auf ihr ſchönes<lb/> ſchwarzes Haar geſtülpt hatte. Das ging den jungen Männern gegen<lb/> die Ehre, denn ein ritterliches Gefühl für den makelloſen Ruf ihrer<lb/> Farben haben die deutſchen Studentenverbindungen ſich allezeit bewahrt.<lb/> Die beiden Sünder wurden von ihrem Corps ausgeſchloſſen und traten<lb/> alsbald mit einigen Geiſtesverwandten zu einem neuen Corps Alemannia<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [660/0674]
V. 9. Der Niedergang des Deutſchen Bundes.
Reformen verderben mußte. Seit der Heimkehr aus Brückenau gebärdete ſich
Lola frech als Herrſcherin; ſie hielt in der lieblichen Villa, die ihr der
König auf der Barerſtraße erbaut hatte, üppige Gelage, fuhr in prächtigem
Geſpann durch die Straßen, und überall wo ſie ſich zeigte gab es Händel,
die durch ergebene Geheimpoliziſten und Gensdarmen mühſam beigelegt
wurden. Zunächſt wünſchte ſie Aufnahme zu finden in der vornehmen
Geſellſchaft, doch alle Thüren blieben ihr verſchloſſen; ſelbſt ein Flügel-
adjutant des Königs, ein Sohn ſeines alten Jugendfreundes v. d. Tann
weigerte ſich die Gräfin zu beſuchen. Ludwig fluchte auf die Pfaffen und
die alten Weiber, die ſeiner Geliebten das Leben vergällten, und da auch
Maurer den geſelligen Verkehr ſtandhaft verweigerte, ſo mußte der Mi-
niſter vor der Tänzerin weichen. Am 1. December, alsbald nach Schluß
des Landtags, trat eine neue Regierung zuſammen, die ſogleich den wohl-
verdienten Namen des Lola-Miniſteriums erhielt. Fürſt Oettingen-Waller-
ſtein, der Unberechenbare, der in den letzten Jahren, über und über ver-
ſchuldet, immer mehr zum Abenteurer geworden war, nahm keinen An-
ſtand an die Spitze dieſes Cabinets zu treten, der Leichtſinnige traute
ſich’s zu jede nähere Berührung mit der Tänzerin vermeiden zu können.
Allgemeinen Abſcheu erweckte ſein neuer Amtsgenoſſe Berks, ein gemeiner
Geſell und dreiſter Schwätzer, der ſich bisher nur als Lola’s Reiſebegleiter
Verdienſte erworben hatte. Von nun an zeigte die bisher weſentlich durch
die Ultramontanen geſchürte Münchener Volksbewegung ein verändertes
Weſen. Wohl ſchwoll die Wuth der Clericalen noch immer an, zumal
da jetzt zwei ihrer ſchärfſten Gegner, Hormayr und Fallmerayer an das
Archiv und die Univerſität berufen wurden; aber der Parteihaß war fortan
ſchwächer als das Gefühl menſchlichen Ekels. Die tolle Fremde trieb
es zu arg, ihre dummdreiſte ſpaniſche Hoffart empörte ſchließlich Jeder-
mann ohne Unterſchied der Partei, nur nicht das Geſindel ihrer Schma-
rotzer und den noch immer verblendeten König. Das Weib muß fort!
— ſo ſagte alle Welt, und es begann ein echt bairiſches Haberfeldtreiben,
wobei die Erboſten ganz vergaßen, daß ihre Entrüſtung auch den König
traf, den ſie doch nicht treffen ſollte.
An die Spitze dieſer nunmehr ganz unpolitiſchen Oppoſition trat
wieder die Univerſität. Froh der neu gewährten Verbindungsfreiheit,
hatten die Studenten die Austreibung ſo vieler beliebter Lehrer ſchon
vergeſſen; da bemerkten eines Tages einige Corpsburſchen der Palatia
beim Durchwandeln der Barerſtraße, daß zwei ihrer Leute vergnügt in
der verrufenen Villa ſaßen und Lola ſich die Pfälzermütze auf ihr ſchönes
ſchwarzes Haar geſtülpt hatte. Das ging den jungen Männern gegen
die Ehre, denn ein ritterliches Gefühl für den makelloſen Ruf ihrer
Farben haben die deutſchen Studentenverbindungen ſich allezeit bewahrt.
Die beiden Sünder wurden von ihrem Corps ausgeſchloſſen und traten
alsbald mit einigen Geiſtesverwandten zu einem neuen Corps Alemannia
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