Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

V. 9. Der Niedergang des Deutschen Bundes.
um mich sich schließen, bleiben meine offen so lange ich lebe. Wenn
irgend jemand mir Theueren ein Haar gekrümmt wird, werde ich keine
Schonung mehr kennen. Daß in Würzburg Umtriebe stattfinden ist mir
bekannt. Ich sage nicht, daß Sie theilgenommen, aber damit Sie's sagen.
Vor zwei Zeugen rede ich. Wüßte ich daß Sie schuldig, ich würde es
Ihnen sagen. Offen und grad ist meine Art, und so hoffe ich zu sterben.
Ich spreche nicht von Dankbarkeit und Pflichten gegen den Landesherrn,
aber dumm, dumm ist's sich so zu benehmen."*)

Die Leitung des neuen Ministeriums übernahm der Pfälzer Maurer,
der einst in der griechischen Regentschaft mit Abel zusammengewirkt, da-
heim aber den zur ultramontanen Partei übergegangenen alten Freund
gänzlich aufgegeben hatte. Er war, zum Entsetzen der Clericalen, der erste
protestantische Minister Baierns: so lange wirkten, trotz der rechtlich an-
erkannten Gleichheit, die alten confessionellen Erinnerungen noch in den
meisten deutschen Staaten nach, in Preußen ward erst nach der Revo-
lution der erste katholische Minister möglich. Mit dem Könige hatte Maurer
schon als Kind in dem Rohrbacher Schlößchen bei Heidelberg oft zusammen
gespielt. Mehr Gelehrter als Staatsmann, aber geschäftstüchtig, erfahren,
arbeitsam, übernahm er das peinliche Amt nur aus Pflichtgefühl und mit
der redlichen Absicht, die durch eine rohe Parteiherrschaft dem Lande ge-
schlagenen Wunden zu heilen. Die Indigenats-Urkunde für Gräfin Lola
Landsfeld mußte er freilich unterzeichnen, obgleich er eine solche Standes-
erhöhung erst kürzlich im Staatsrathe selber für eine große "Calamität"
erklärt hatte; doch jeden persönlichen Verkehr mit der neuen Gräfin ver-
bat er sich ernstlich. Mit gesetzgeberischem Feuereifer, wie einst in Griechen-
land, arbeitete er nun an der lange geplanten Justizreform und gewann den
König für das öffentlich-mündliche Verfahren; nur von Geschworenen
wollte Ludwig nichts hören. Die beiden so schwer mißhandelten Liberalen
Behr und Eisenmann erlangten endlich ihre Freiheit wieder; die Uni-
versitäten erhielten eine neue, etwas verständigere Studienordnung, die
Studenten erweiterte Rechte für ihre Verbindungen. Andererseits wurde
die Missionsthätigkeit der Redemtoristen beschränkt und den Nonnen die
Ablegung der ewigen Gelübde erst in reiferem Lebensalter gestattet. Er-
gebene Anhänger nannten die neue, offenbar ehrliche Regierung schon
das Ministerium der Morgenröthe.

Der Wiener Hof zeigte sich über das Unglück seiner bairischen Freunde
tief bekümmert. Sein Gesandter Graf Senfft, der so lange mit den
Münchener Ultramontanen Hand in Hand gegangen war, gab Feste zu
Ehren der gestürzten Minister, er bekam die Ungnade König Ludwig's stark
zu fühlen und sah sich schließlich gezwungen, ohne Abschied zu verschwinden.
Nachher ließ sich die Hofburg, da sie ihre üble Laune nicht bemeistern

*) König Ludwig, Anrede an den Bischof von Würzburg, Aschaffenburg, Aug. 1847.

V. 9. Der Niedergang des Deutſchen Bundes.
um mich ſich ſchließen, bleiben meine offen ſo lange ich lebe. Wenn
irgend jemand mir Theueren ein Haar gekrümmt wird, werde ich keine
Schonung mehr kennen. Daß in Würzburg Umtriebe ſtattfinden iſt mir
bekannt. Ich ſage nicht, daß Sie theilgenommen, aber damit Sie’s ſagen.
Vor zwei Zeugen rede ich. Wüßte ich daß Sie ſchuldig, ich würde es
Ihnen ſagen. Offen und grad iſt meine Art, und ſo hoffe ich zu ſterben.
Ich ſpreche nicht von Dankbarkeit und Pflichten gegen den Landesherrn,
aber dumm, dumm iſt’s ſich ſo zu benehmen.“*)

Die Leitung des neuen Miniſteriums übernahm der Pfälzer Maurer,
der einſt in der griechiſchen Regentſchaft mit Abel zuſammengewirkt, da-
heim aber den zur ultramontanen Partei übergegangenen alten Freund
gänzlich aufgegeben hatte. Er war, zum Entſetzen der Clericalen, der erſte
proteſtantiſche Miniſter Baierns: ſo lange wirkten, trotz der rechtlich an-
erkannten Gleichheit, die alten confeſſionellen Erinnerungen noch in den
meiſten deutſchen Staaten nach, in Preußen ward erſt nach der Revo-
lution der erſte katholiſche Miniſter möglich. Mit dem Könige hatte Maurer
ſchon als Kind in dem Rohrbacher Schlößchen bei Heidelberg oft zuſammen
geſpielt. Mehr Gelehrter als Staatsmann, aber geſchäftstüchtig, erfahren,
arbeitſam, übernahm er das peinliche Amt nur aus Pflichtgefühl und mit
der redlichen Abſicht, die durch eine rohe Parteiherrſchaft dem Lande ge-
ſchlagenen Wunden zu heilen. Die Indigenats-Urkunde für Gräfin Lola
Landsfeld mußte er freilich unterzeichnen, obgleich er eine ſolche Standes-
erhöhung erſt kürzlich im Staatsrathe ſelber für eine große „Calamität“
erklärt hatte; doch jeden perſönlichen Verkehr mit der neuen Gräfin ver-
bat er ſich ernſtlich. Mit geſetzgeberiſchem Feuereifer, wie einſt in Griechen-
land, arbeitete er nun an der lange geplanten Juſtizreform und gewann den
König für das öffentlich-mündliche Verfahren; nur von Geſchworenen
wollte Ludwig nichts hören. Die beiden ſo ſchwer mißhandelten Liberalen
Behr und Eiſenmann erlangten endlich ihre Freiheit wieder; die Uni-
verſitäten erhielten eine neue, etwas verſtändigere Studienordnung, die
Studenten erweiterte Rechte für ihre Verbindungen. Andererſeits wurde
die Miſſionsthätigkeit der Redemtoriſten beſchränkt und den Nonnen die
Ablegung der ewigen Gelübde erſt in reiferem Lebensalter geſtattet. Er-
gebene Anhänger nannten die neue, offenbar ehrliche Regierung ſchon
das Miniſterium der Morgenröthe.

Der Wiener Hof zeigte ſich über das Unglück ſeiner bairiſchen Freunde
tief bekümmert. Sein Geſandter Graf Senfft, der ſo lange mit den
Münchener Ultramontanen Hand in Hand gegangen war, gab Feſte zu
Ehren der geſtürzten Miniſter, er bekam die Ungnade König Ludwig’s ſtark
zu fühlen und ſah ſich ſchließlich gezwungen, ohne Abſchied zu verſchwinden.
Nachher ließ ſich die Hofburg, da ſie ihre üble Laune nicht bemeiſtern

*) König Ludwig, Anrede an den Biſchof von Würzburg, Aſchaffenburg, Aug. 1847.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0670" n="656"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> 9. Der Niedergang des Deut&#x017F;chen Bundes.</fw><lb/>
um mich &#x017F;ich &#x017F;chließen, bleiben meine offen &#x017F;o lange ich lebe. Wenn<lb/>
irgend jemand mir Theueren ein Haar gekrümmt wird, werde ich keine<lb/>
Schonung mehr kennen. Daß in Würzburg Umtriebe &#x017F;tattfinden i&#x017F;t mir<lb/>
bekannt. Ich &#x017F;age nicht, daß Sie theilgenommen, aber damit Sie&#x2019;s &#x017F;agen.<lb/>
Vor zwei Zeugen rede ich. Wüßte ich daß Sie &#x017F;chuldig, ich würde es<lb/>
Ihnen &#x017F;agen. Offen und grad i&#x017F;t meine Art, und &#x017F;o hoffe ich zu &#x017F;terben.<lb/>
Ich &#x017F;preche nicht von Dankbarkeit und Pflichten gegen den Landesherrn,<lb/>
aber dumm, dumm i&#x017F;t&#x2019;s &#x017F;ich &#x017F;o zu benehmen.&#x201C;<note place="foot" n="*)">König Ludwig, Anrede an den Bi&#x017F;chof von Würzburg, A&#x017F;chaffenburg, Aug. 1847.</note></p><lb/>
          <p>Die Leitung des neuen Mini&#x017F;teriums übernahm der Pfälzer Maurer,<lb/>
der ein&#x017F;t in der griechi&#x017F;chen Regent&#x017F;chaft mit Abel zu&#x017F;ammengewirkt, da-<lb/>
heim aber den zur ultramontanen Partei übergegangenen alten Freund<lb/>
gänzlich aufgegeben hatte. Er war, zum Ent&#x017F;etzen der Clericalen, der er&#x017F;te<lb/>
prote&#x017F;tanti&#x017F;che Mini&#x017F;ter Baierns: &#x017F;o lange wirkten, trotz der rechtlich an-<lb/>
erkannten Gleichheit, die alten confe&#x017F;&#x017F;ionellen Erinnerungen noch in den<lb/>
mei&#x017F;ten deut&#x017F;chen Staaten nach, in Preußen ward er&#x017F;t nach der Revo-<lb/>
lution der er&#x017F;te katholi&#x017F;che Mini&#x017F;ter möglich. Mit dem Könige hatte Maurer<lb/>
&#x017F;chon als Kind in dem Rohrbacher Schlößchen bei Heidelberg oft zu&#x017F;ammen<lb/>
ge&#x017F;pielt. Mehr Gelehrter als Staatsmann, aber ge&#x017F;chäftstüchtig, erfahren,<lb/>
arbeit&#x017F;am, übernahm er das peinliche Amt nur aus Pflichtgefühl und mit<lb/>
der redlichen Ab&#x017F;icht, die durch eine rohe Parteiherr&#x017F;chaft dem Lande ge-<lb/>
&#x017F;chlagenen Wunden zu heilen. Die Indigenats-Urkunde für Gräfin Lola<lb/>
Landsfeld mußte er freilich unterzeichnen, obgleich er eine &#x017F;olche Standes-<lb/>
erhöhung er&#x017F;t kürzlich im Staatsrathe &#x017F;elber für eine große &#x201E;Calamität&#x201C;<lb/>
erklärt hatte; doch jeden per&#x017F;önlichen Verkehr mit der neuen Gräfin ver-<lb/>
bat er &#x017F;ich ern&#x017F;tlich. Mit ge&#x017F;etzgeberi&#x017F;chem Feuereifer, wie ein&#x017F;t in Griechen-<lb/>
land, arbeitete er nun an der lange geplanten Ju&#x017F;tizreform und gewann den<lb/>
König für das öffentlich-mündliche Verfahren; nur von Ge&#x017F;chworenen<lb/>
wollte Ludwig nichts hören. Die beiden &#x017F;o &#x017F;chwer mißhandelten Liberalen<lb/>
Behr und Ei&#x017F;enmann erlangten endlich ihre Freiheit wieder; die Uni-<lb/>
ver&#x017F;itäten erhielten eine neue, etwas ver&#x017F;tändigere Studienordnung, die<lb/>
Studenten erweiterte Rechte für ihre Verbindungen. Anderer&#x017F;eits wurde<lb/>
die Mi&#x017F;&#x017F;ionsthätigkeit der Redemtori&#x017F;ten be&#x017F;chränkt und den Nonnen die<lb/>
Ablegung der ewigen Gelübde er&#x017F;t in reiferem Lebensalter ge&#x017F;tattet. Er-<lb/>
gebene Anhänger nannten die neue, offenbar ehrliche Regierung &#x017F;chon<lb/>
das Mini&#x017F;terium der Morgenröthe.</p><lb/>
          <p>Der Wiener Hof zeigte &#x017F;ich über das Unglück &#x017F;einer bairi&#x017F;chen Freunde<lb/>
tief bekümmert. Sein Ge&#x017F;andter Graf Senfft, der &#x017F;o lange mit den<lb/>
Münchener Ultramontanen Hand in Hand gegangen war, gab Fe&#x017F;te zu<lb/>
Ehren der ge&#x017F;türzten Mini&#x017F;ter, er bekam die Ungnade König Ludwig&#x2019;s &#x017F;tark<lb/>
zu fühlen und &#x017F;ah &#x017F;ich &#x017F;chließlich gezwungen, ohne Ab&#x017F;chied zu ver&#x017F;chwinden.<lb/>
Nachher ließ &#x017F;ich die Hofburg, da &#x017F;ie ihre üble Laune nicht bemei&#x017F;tern<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[656/0670] V. 9. Der Niedergang des Deutſchen Bundes. um mich ſich ſchließen, bleiben meine offen ſo lange ich lebe. Wenn irgend jemand mir Theueren ein Haar gekrümmt wird, werde ich keine Schonung mehr kennen. Daß in Würzburg Umtriebe ſtattfinden iſt mir bekannt. Ich ſage nicht, daß Sie theilgenommen, aber damit Sie’s ſagen. Vor zwei Zeugen rede ich. Wüßte ich daß Sie ſchuldig, ich würde es Ihnen ſagen. Offen und grad iſt meine Art, und ſo hoffe ich zu ſterben. Ich ſpreche nicht von Dankbarkeit und Pflichten gegen den Landesherrn, aber dumm, dumm iſt’s ſich ſo zu benehmen.“ *) Die Leitung des neuen Miniſteriums übernahm der Pfälzer Maurer, der einſt in der griechiſchen Regentſchaft mit Abel zuſammengewirkt, da- heim aber den zur ultramontanen Partei übergegangenen alten Freund gänzlich aufgegeben hatte. Er war, zum Entſetzen der Clericalen, der erſte proteſtantiſche Miniſter Baierns: ſo lange wirkten, trotz der rechtlich an- erkannten Gleichheit, die alten confeſſionellen Erinnerungen noch in den meiſten deutſchen Staaten nach, in Preußen ward erſt nach der Revo- lution der erſte katholiſche Miniſter möglich. Mit dem Könige hatte Maurer ſchon als Kind in dem Rohrbacher Schlößchen bei Heidelberg oft zuſammen geſpielt. Mehr Gelehrter als Staatsmann, aber geſchäftstüchtig, erfahren, arbeitſam, übernahm er das peinliche Amt nur aus Pflichtgefühl und mit der redlichen Abſicht, die durch eine rohe Parteiherrſchaft dem Lande ge- ſchlagenen Wunden zu heilen. Die Indigenats-Urkunde für Gräfin Lola Landsfeld mußte er freilich unterzeichnen, obgleich er eine ſolche Standes- erhöhung erſt kürzlich im Staatsrathe ſelber für eine große „Calamität“ erklärt hatte; doch jeden perſönlichen Verkehr mit der neuen Gräfin ver- bat er ſich ernſtlich. Mit geſetzgeberiſchem Feuereifer, wie einſt in Griechen- land, arbeitete er nun an der lange geplanten Juſtizreform und gewann den König für das öffentlich-mündliche Verfahren; nur von Geſchworenen wollte Ludwig nichts hören. Die beiden ſo ſchwer mißhandelten Liberalen Behr und Eiſenmann erlangten endlich ihre Freiheit wieder; die Uni- verſitäten erhielten eine neue, etwas verſtändigere Studienordnung, die Studenten erweiterte Rechte für ihre Verbindungen. Andererſeits wurde die Miſſionsthätigkeit der Redemtoriſten beſchränkt und den Nonnen die Ablegung der ewigen Gelübde erſt in reiferem Lebensalter geſtattet. Er- gebene Anhänger nannten die neue, offenbar ehrliche Regierung ſchon das Miniſterium der Morgenröthe. Der Wiener Hof zeigte ſich über das Unglück ſeiner bairiſchen Freunde tief bekümmert. Sein Geſandter Graf Senfft, der ſo lange mit den Münchener Ultramontanen Hand in Hand gegangen war, gab Feſte zu Ehren der geſtürzten Miniſter, er bekam die Ungnade König Ludwig’s ſtark zu fühlen und ſah ſich ſchließlich gezwungen, ohne Abſchied zu verſchwinden. Nachher ließ ſich die Hofburg, da ſie ihre üble Laune nicht bemeiſtern *) König Ludwig, Anrede an den Biſchof von Würzburg, Aſchaffenburg, Aug. 1847.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/670
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 656. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/670>, abgerufen am 03.05.2024.