Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

Abel's Sturz. Mißhandlung der Universität.
Lasaulx entlassen. Die Studenten, die den phantastischen Philologen doch
als anregenden, beredten Lehrer liebten, eilten in Schaaren hinaus um
von ihm Abschied zu nehmen, dann zogen sie vor das Haus Lola's, die
den lärmenden Haufen drunten von ihrem Fenster her verhöhnte. Mitten
im Getümmel erschien plötzlich der König, Alles machte ihm ehrfurchtsvoll
Platz; doch als er nach langer Frist von der Geliebten zurückkehrte, da
brach die Frechheit des Pöbels los, und der Schöpfer des neuen Münchens
wurde in dieser Stadt, die ihm Alles verdankte, persönlich beschimpft.
Kalt und ruhig, in königlicher Haltung, schritt er durch den johlenden
Haufen. Nun fielen Schlag auf Schlag Gewaltstreiche gegen die Uni-
versität, die an die Vertreibung der Göttinger Sieben erinnerten. Rasch
nach einander wurden die beiden Juristen Phillips und Moy beseitigt,
dann der Historiker Höfler, dann Döllinger, Deutinger, Sepp, alle die
clericalen Gelehrten, welche Ludwig einst selber berufen hatte um sein
München zu einem katholischen Berlin zu erheben. So zertrümmerte
er in blindem Unmuth sein eigenes Werk. Unter den berühmten ultra-
montanen Professoren blieben nur zwei verschont: der greise Görres --
denn Ludwig befahl: den alten Mann laßt mir in Ruh' -- und der getreue
Nepomuk Ringseis. Der hatte sich entschieden für Lasaulx's Antrag aus-
gesprochen; sein alter Freund aber meinte: "der Muckerl meint es gut,
er hat mir schon oft bittere Wahrheiten gesagt."

Im Sommer ging Ludwig nach seinem geliebten altfuldischen Schlosse
Brückenau. Es bezeichnete seinen künstlerischen Sinn, daß er unter den
vielen schönen Stellen seines Landes nicht die übermächtige, das Gemüth so
leicht erdrückende Pracht der Alpenlandschaften bevorzugte, sondern die sanfte
Anmuth dieses stillen vom Waldgebirge der Rhön umschlossenen Wiesen-
grundes: hier ließ sich's träumen und dichten. Seine Lola folgte ihm
bald nach; Kürassiere ritten neben ihrem Wagen um den katholischen Pöbel
fern zu halten. Er selbst wurde, als er nachher in die Pfalz reiste, über-
all mit der alten treuen Herzlichkeit aufgenommen. Unterwegs besuchte
ihn der Bundesgesandte Graf Dönhoff, und wie erstaunte der Preuße,
den König so verwandelt, so ganz umgetauscht zu finden: über alle die
Männer, welche Ludwig einst in München gegen Dönhoff vertheidigt hatte,
sprach er jetzt mit der äußersten Heftigkeit.*) Dem Würzburger Bischof
Stahl hielt er eine ungnädige Rede, die er von zwei Flügeladjutanten
niederschreiben ließ: "Der Beschützer der Kirche -- als solcher bewies ich
mich -- ihr Wohlthäter -- keiner meiner Vorfahren machte aus eigenen
Mitteln so viele Stiftungen -- der wird von der ultrakirchlichen Partei
so schändlich behandelt, daß sie den Jacobinern nichts übrig läßt. Die
dem Papste feindliche Partei ist's auch mir. Seit Jahren gingen mir die
Augen auf, immer mehr und mehr, und sollten auch alle hell sehenden

*) Dönhoff's Bericht, Aschaffenburg, 20. Aug. 1847.

Abel’s Sturz. Mißhandlung der Univerſität.
Laſaulx entlaſſen. Die Studenten, die den phantaſtiſchen Philologen doch
als anregenden, beredten Lehrer liebten, eilten in Schaaren hinaus um
von ihm Abſchied zu nehmen, dann zogen ſie vor das Haus Lola’s, die
den lärmenden Haufen drunten von ihrem Fenſter her verhöhnte. Mitten
im Getümmel erſchien plötzlich der König, Alles machte ihm ehrfurchtsvoll
Platz; doch als er nach langer Friſt von der Geliebten zurückkehrte, da
brach die Frechheit des Pöbels los, und der Schöpfer des neuen Münchens
wurde in dieſer Stadt, die ihm Alles verdankte, perſönlich beſchimpft.
Kalt und ruhig, in königlicher Haltung, ſchritt er durch den johlenden
Haufen. Nun fielen Schlag auf Schlag Gewaltſtreiche gegen die Uni-
verſität, die an die Vertreibung der Göttinger Sieben erinnerten. Raſch
nach einander wurden die beiden Juriſten Phillips und Moy beſeitigt,
dann der Hiſtoriker Höfler, dann Döllinger, Deutinger, Sepp, alle die
clericalen Gelehrten, welche Ludwig einſt ſelber berufen hatte um ſein
München zu einem katholiſchen Berlin zu erheben. So zertrümmerte
er in blindem Unmuth ſein eigenes Werk. Unter den berühmten ultra-
montanen Profeſſoren blieben nur zwei verſchont: der greiſe Görres —
denn Ludwig befahl: den alten Mann laßt mir in Ruh’ — und der getreue
Nepomuk Ringseis. Der hatte ſich entſchieden für Laſaulx’s Antrag aus-
geſprochen; ſein alter Freund aber meinte: „der Muckerl meint es gut,
er hat mir ſchon oft bittere Wahrheiten geſagt.“

Im Sommer ging Ludwig nach ſeinem geliebten altfuldiſchen Schloſſe
Brückenau. Es bezeichnete ſeinen künſtleriſchen Sinn, daß er unter den
vielen ſchönen Stellen ſeines Landes nicht die übermächtige, das Gemüth ſo
leicht erdrückende Pracht der Alpenlandſchaften bevorzugte, ſondern die ſanfte
Anmuth dieſes ſtillen vom Waldgebirge der Rhön umſchloſſenen Wieſen-
grundes: hier ließ ſich’s träumen und dichten. Seine Lola folgte ihm
bald nach; Küraſſiere ritten neben ihrem Wagen um den katholiſchen Pöbel
fern zu halten. Er ſelbſt wurde, als er nachher in die Pfalz reiſte, über-
all mit der alten treuen Herzlichkeit aufgenommen. Unterwegs beſuchte
ihn der Bundesgeſandte Graf Dönhoff, und wie erſtaunte der Preuße,
den König ſo verwandelt, ſo ganz umgetauſcht zu finden: über alle die
Männer, welche Ludwig einſt in München gegen Dönhoff vertheidigt hatte,
ſprach er jetzt mit der äußerſten Heftigkeit.*) Dem Würzburger Biſchof
Stahl hielt er eine ungnädige Rede, die er von zwei Flügeladjutanten
niederſchreiben ließ: „Der Beſchützer der Kirche — als ſolcher bewies ich
mich — ihr Wohlthäter — keiner meiner Vorfahren machte aus eigenen
Mitteln ſo viele Stiftungen — der wird von der ultrakirchlichen Partei
ſo ſchändlich behandelt, daß ſie den Jacobinern nichts übrig läßt. Die
dem Papſte feindliche Partei iſt’s auch mir. Seit Jahren gingen mir die
Augen auf, immer mehr und mehr, und ſollten auch alle hell ſehenden

*) Dönhoff’s Bericht, Aſchaffenburg, 20. Aug. 1847.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0669" n="655"/><fw place="top" type="header">Abel&#x2019;s Sturz. Mißhandlung der Univer&#x017F;ität.</fw><lb/>
La&#x017F;aulx entla&#x017F;&#x017F;en. Die Studenten, die den phanta&#x017F;ti&#x017F;chen Philologen doch<lb/>
als anregenden, beredten Lehrer liebten, eilten in Schaaren hinaus um<lb/>
von ihm Ab&#x017F;chied zu nehmen, dann zogen &#x017F;ie vor das Haus Lola&#x2019;s, die<lb/>
den lärmenden Haufen drunten von ihrem Fen&#x017F;ter her verhöhnte. Mitten<lb/>
im Getümmel er&#x017F;chien plötzlich der König, Alles machte ihm ehrfurchtsvoll<lb/>
Platz; doch als er nach langer Fri&#x017F;t von der Geliebten zurückkehrte, da<lb/>
brach die Frechheit des Pöbels los, und der Schöpfer des neuen Münchens<lb/>
wurde in die&#x017F;er Stadt, die ihm Alles verdankte, per&#x017F;önlich be&#x017F;chimpft.<lb/>
Kalt und ruhig, in königlicher Haltung, &#x017F;chritt er durch den johlenden<lb/>
Haufen. Nun fielen Schlag auf Schlag Gewalt&#x017F;treiche gegen die Uni-<lb/>
ver&#x017F;ität, die an die Vertreibung der Göttinger Sieben erinnerten. Ra&#x017F;ch<lb/>
nach einander wurden die beiden Juri&#x017F;ten Phillips und Moy be&#x017F;eitigt,<lb/>
dann der Hi&#x017F;toriker Höfler, dann Döllinger, Deutinger, Sepp, alle die<lb/>
clericalen Gelehrten, welche Ludwig ein&#x017F;t &#x017F;elber berufen hatte um &#x017F;ein<lb/>
München zu einem katholi&#x017F;chen Berlin zu erheben. So zertrümmerte<lb/>
er in blindem Unmuth &#x017F;ein eigenes Werk. Unter den berühmten ultra-<lb/>
montanen Profe&#x017F;&#x017F;oren blieben nur zwei ver&#x017F;chont: der grei&#x017F;e Görres &#x2014;<lb/>
denn Ludwig befahl: den alten Mann laßt mir in Ruh&#x2019; &#x2014; und der getreue<lb/>
Nepomuk Ringseis. Der hatte &#x017F;ich ent&#x017F;chieden für La&#x017F;aulx&#x2019;s Antrag aus-<lb/>
ge&#x017F;prochen; &#x017F;ein alter Freund aber meinte: &#x201E;der Muckerl meint es gut,<lb/>
er hat mir &#x017F;chon oft bittere Wahrheiten ge&#x017F;agt.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Im Sommer ging Ludwig nach &#x017F;einem geliebten altfuldi&#x017F;chen Schlo&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Brückenau. Es bezeichnete &#x017F;einen kün&#x017F;tleri&#x017F;chen Sinn, daß er unter den<lb/>
vielen &#x017F;chönen Stellen &#x017F;eines Landes nicht die übermächtige, das Gemüth &#x017F;o<lb/>
leicht erdrückende Pracht der Alpenland&#x017F;chaften bevorzugte, &#x017F;ondern die &#x017F;anfte<lb/>
Anmuth die&#x017F;es &#x017F;tillen vom Waldgebirge der Rhön um&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen Wie&#x017F;en-<lb/>
grundes: hier ließ &#x017F;ich&#x2019;s träumen und dichten. Seine Lola folgte ihm<lb/>
bald nach; Küra&#x017F;&#x017F;iere ritten neben ihrem Wagen um den katholi&#x017F;chen Pöbel<lb/>
fern zu halten. Er &#x017F;elb&#x017F;t wurde, als er nachher in die Pfalz rei&#x017F;te, über-<lb/>
all mit der alten treuen Herzlichkeit aufgenommen. Unterwegs be&#x017F;uchte<lb/>
ihn der Bundesge&#x017F;andte Graf Dönhoff, und wie er&#x017F;taunte der Preuße,<lb/>
den König &#x017F;o verwandelt, &#x017F;o ganz umgetau&#x017F;cht zu finden: über alle die<lb/>
Männer, welche Ludwig ein&#x017F;t in München gegen Dönhoff vertheidigt hatte,<lb/>
&#x017F;prach er jetzt mit der äußer&#x017F;ten Heftigkeit.<note place="foot" n="*)">Dönhoff&#x2019;s Bericht, A&#x017F;chaffenburg, 20. Aug. 1847.</note> Dem Würzburger Bi&#x017F;chof<lb/>
Stahl hielt er eine ungnädige Rede, die er von zwei Flügeladjutanten<lb/>
nieder&#x017F;chreiben ließ: &#x201E;Der Be&#x017F;chützer der Kirche &#x2014; als &#x017F;olcher bewies ich<lb/>
mich &#x2014; ihr Wohlthäter &#x2014; keiner meiner Vorfahren machte aus eigenen<lb/>
Mitteln &#x017F;o viele Stiftungen &#x2014; der wird von der ultrakirchlichen Partei<lb/>
&#x017F;o &#x017F;chändlich behandelt, daß &#x017F;ie den Jacobinern nichts übrig läßt. Die<lb/>
dem Pap&#x017F;te feindliche Partei i&#x017F;t&#x2019;s auch mir. Seit Jahren gingen mir die<lb/>
Augen auf, immer mehr und mehr, und &#x017F;ollten auch alle hell &#x017F;ehenden<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[655/0669] Abel’s Sturz. Mißhandlung der Univerſität. Laſaulx entlaſſen. Die Studenten, die den phantaſtiſchen Philologen doch als anregenden, beredten Lehrer liebten, eilten in Schaaren hinaus um von ihm Abſchied zu nehmen, dann zogen ſie vor das Haus Lola’s, die den lärmenden Haufen drunten von ihrem Fenſter her verhöhnte. Mitten im Getümmel erſchien plötzlich der König, Alles machte ihm ehrfurchtsvoll Platz; doch als er nach langer Friſt von der Geliebten zurückkehrte, da brach die Frechheit des Pöbels los, und der Schöpfer des neuen Münchens wurde in dieſer Stadt, die ihm Alles verdankte, perſönlich beſchimpft. Kalt und ruhig, in königlicher Haltung, ſchritt er durch den johlenden Haufen. Nun fielen Schlag auf Schlag Gewaltſtreiche gegen die Uni- verſität, die an die Vertreibung der Göttinger Sieben erinnerten. Raſch nach einander wurden die beiden Juriſten Phillips und Moy beſeitigt, dann der Hiſtoriker Höfler, dann Döllinger, Deutinger, Sepp, alle die clericalen Gelehrten, welche Ludwig einſt ſelber berufen hatte um ſein München zu einem katholiſchen Berlin zu erheben. So zertrümmerte er in blindem Unmuth ſein eigenes Werk. Unter den berühmten ultra- montanen Profeſſoren blieben nur zwei verſchont: der greiſe Görres — denn Ludwig befahl: den alten Mann laßt mir in Ruh’ — und der getreue Nepomuk Ringseis. Der hatte ſich entſchieden für Laſaulx’s Antrag aus- geſprochen; ſein alter Freund aber meinte: „der Muckerl meint es gut, er hat mir ſchon oft bittere Wahrheiten geſagt.“ Im Sommer ging Ludwig nach ſeinem geliebten altfuldiſchen Schloſſe Brückenau. Es bezeichnete ſeinen künſtleriſchen Sinn, daß er unter den vielen ſchönen Stellen ſeines Landes nicht die übermächtige, das Gemüth ſo leicht erdrückende Pracht der Alpenlandſchaften bevorzugte, ſondern die ſanfte Anmuth dieſes ſtillen vom Waldgebirge der Rhön umſchloſſenen Wieſen- grundes: hier ließ ſich’s träumen und dichten. Seine Lola folgte ihm bald nach; Küraſſiere ritten neben ihrem Wagen um den katholiſchen Pöbel fern zu halten. Er ſelbſt wurde, als er nachher in die Pfalz reiſte, über- all mit der alten treuen Herzlichkeit aufgenommen. Unterwegs beſuchte ihn der Bundesgeſandte Graf Dönhoff, und wie erſtaunte der Preuße, den König ſo verwandelt, ſo ganz umgetauſcht zu finden: über alle die Männer, welche Ludwig einſt in München gegen Dönhoff vertheidigt hatte, ſprach er jetzt mit der äußerſten Heftigkeit. *) Dem Würzburger Biſchof Stahl hielt er eine ungnädige Rede, die er von zwei Flügeladjutanten niederſchreiben ließ: „Der Beſchützer der Kirche — als ſolcher bewies ich mich — ihr Wohlthäter — keiner meiner Vorfahren machte aus eigenen Mitteln ſo viele Stiftungen — der wird von der ultrakirchlichen Partei ſo ſchändlich behandelt, daß ſie den Jacobinern nichts übrig läßt. Die dem Papſte feindliche Partei iſt’s auch mir. Seit Jahren gingen mir die Augen auf, immer mehr und mehr, und ſollten auch alle hell ſehenden *) Dönhoff’s Bericht, Aſchaffenburg, 20. Aug. 1847.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/669
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 655. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/669>, abgerufen am 02.05.2024.